OVG Schleswig-Holstein

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Zitieren als:
OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.04.2021 - 4 LB 7/20 - asyl.net: M30578
https://www.asyl.net/rsdb/m30578
Leitsatz:

Kein Anspruch auf Einbürgerung wegen ungeklärter Identität einer in Deutschland geborenen Person:

1. Die Einbürgerung setzt grundsätzlich die Klärung von Identität und Staatsangehörigkeit voraus. Dies gilt auch, wenn die betroffene Person als asylberechtigt anerkannt und in Deutschland geboren ist.

2. Auch bei Asylberechtigten erfolgt der für eine Einbürgerung notwendige Nachweis der Identität in erster Linie durch die Vorlage eines Nationalpasses oder anderer amtlicher Identitätsdokumente des Herkunftsstaates. Ist die Vorlage des Passes objektiv nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar, so kann auf anderweitige Beweismittel zurückgegriffen werden, wozu auch nichtamtliche Urkunden oder Dokumente gehören.

(Leitsätze der Redaktion; Entscheidung unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 23.09.2020 - 1 C 36.19 - asyl.net: M29222)

Schlagwörter: Identitätsfeststellung, Identitätsklärung, Einbürgerung, gestufte Prüfung, Personalien, Pass, Passersatz, Beweisnot, Beweismittel, Mitwirkungspflicht, Beweislast, in Deutschland geboren, Flüchtlingskinder, in Deutschland geborene Kinder, Flüchtlingsanerkennung, Asylberechtigung,
Normen: StAG § 10, StAG § 8, GFK Art. 34 S. 1, PStG § 54, AufenthG § 82,
Auszüge:

[...]

31 II. Das Verwaltungsgericht hat die Klage auf Verpflichtung des Beklagten, die Klägerin in den deutschen Staatsverband einzubürgern, zu Recht abgewiesen. [...]

33 Danach steht der Klägerin ein Anspruch auf Einbürgerung weder gemäß § 10 Abs. 1 StAG, noch gemäß § 8 Abs. 1 StAG zu. Beide Tatbestände setzen für die Einbürgerung in den deutschen Staatsverband unter anderem voraus, dass die Identität und Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist.

34 Vorliegend sind weder die Identität (dazu unter 1.) noch die Staatsangehörigkeit (dazu unter 2.) der Klägerin geklärt.

35 Die Identität und die bisherige Staatsangehörigkeit sind im Sinn des Gesetzes grundsätzlich dann "geklärt", wenn zur Überzeugung der Behörde oder des Gerichts nachgewiesen ist, dass der Ausländer unter den angegebenen Identitätsmerkmalen (wie Titel, Vorname, Nachname, Geburtsname, Geburtsdatum, Geburtsort, Familienstand) in seinem Herkunftsland zutreffend registriert ist. Dabei trifft die Nachweispflicht den Antragsteller. Es entspricht dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass die Nichterweislichkeit von Tatsachen zu Lasten der Partei geht, die aus ihnen eine günstige Rechtsfolge herleiten will, soweit sich aus dem materiellen Recht nichts Gegenteiliges ergibt (BVerwG, Urteil vom 13. April 2005 – 10 C 8.04 –, juris Rn. 26). [...]

37 Danach hat grundsätzlich auch ein anerkannter Asylberechtigter den Nachweis seiner Identität zuvörderst und in der Regel durch Vorlage eines Passes, hilfsweise auch durch einen anerkannten Passersatz oder ein anderes amtliches Identitätsdokument mit Lichtbild (z. B. Personalausweis oder Identitätskarte) seines Herkunftsstaates zu führen. Ist er nicht im Besitz eines solchen amtlichen Identitätsdokuments und ist ihm dessen Erlangung objektiv nicht möglich oder subjektiv nicht zumutbar, so kann er seine Identität auch mittels anderer geeigneter amtlicher Urkunden nachweisen, bei deren Ausstellung Gegenstand der Überprüfung auch die Richtigkeit der Verbindung von Person und Name ist. Nur wenn der Einbürgerungsbewerber auch nicht im Besitz dieser sonstigen amtlichen Dokumente ist und ihm die Erlangung zudem objektiv nicht möglich oder nicht zumutbar ist, so kann sich der Ausländer zum Nachweis seiner Identität sonstiger nach § 84 LVwG zugelassener Beweismittel bedienen, wozu auch nichtamtliche Urkunden und Dokumente gehören. Ein Übergang von eine dieser Stufen zu einer nachgelagerten Stufe ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dabei nur zulässig, wenn es dem Einbürgerungsbewerber trotz hinreichender Mitwirkung nicht gelingt, den Nachweis seiner Identität zu führen. Während die Einbürgerungsbehörde insoweit primär eine Hinweis- und Anstoßpflicht trifft, unterliegt der Einbürgerungsbewerber gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 StAG i. V. m. § 82 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf die Klärung seiner Identität einer umfassenden, bis zur Grenze der objektiven Möglichkeit und subjektiven Zumutbarkeit reichenden Initiativ- und Mitwirkungsobliegenheit. Die auf den verschiedenen Stufen zu berücksichtigenden Beweismittel müssen hierfür jeweils in sich stimmig sein und auch bei einer Gesamtbetrachtung jeweils im Einklang mit den Angaben des Einbürgerungsbewerbers zu seiner Person und seinem übrigen Vorbringen stehen. Dabei ist der Ausländer gehalten, eigenständig die Initiative zu ergreifen, um seine Identität nachzuweisen, und alles ihm Mögliche und Zumutbare zu unternehmen, um die hierfür erforderlichen Beweismittel beizubringen. Genügt er dieser Pflicht nicht oder nicht in dem geschuldeten Umfang, so ist dem im Rahmen der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen. Können verbleibende Zweifel an der Richtigkeit der angegebenen Personalien nicht ausgeräumt werden, so trägt der Einbürgerungsbewerber diediesbezügliche Feststellungslast (BVerwG, Urteil vom 23. September 2020, a. a. O., juris Rn. 17 ff., und Urteil vom 1. September 2011 – 5 C 27.10 –, juris Rn. 16, 25).

38 1. Nach den vorliegenden Erkenntnissen hat die Klägerin nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare unternommen, um geeignete Dokumente zum Nachweis ihrer Identität im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG und § 8 Abs. 1 StAG vorzulegen. [...]

43 cc) Auch die im Rahmen der Antragstellung vorgelegte Kopie eines Auszugs aus dem Geburtseintrag der Klägerin erfüllt nicht die auf erster Stufe der Identitätsprüfung zu stellenden Anforderungen. Bei dem Registerauszug handelt es sich nicht um ein amtliches Identitätsdokument mit Lichtbild, sondern um eine andere amtliche Urkunde, mit der die Identität nur nachgewiesen werden kann, wenn die Erlangung eines amtlichen Identitätsdokumentes dem Ausländer auf erster Stufe unter Beachtung der weitreichenden Initiativ- und Mitwirkungsobliegenheit nicht möglich oder zumutbar ist. Dies ist hier indes nicht der Fall.

44 b) Zur Überzeugung des Senats hat die Klägerin nicht alles ihr Mögliche und Zumutbare unternommen, um geeignete Dokumente zum Nachweis ihrer Identität und Staatsangehörigkeit zu erlangen.

45 Die Klägerin hat ihren Namen von der unverheirateten Mutter abgeleitet bekommen, deren Identität jedenfalls nicht nachgewiesen ist. Die Angaben zum eigenen Personenstand der Klägerin und dem der Mutter beruhen allein auf den Angaben der Mutter. Dass es sich bei dem Namen der Klägerin tatsächlich um den Familiennamen der Mutter handelt, ist nicht hinreichend sicher festzustellen; geeignete Dokumente fehlen. Die Klägerin hat betreffend ihrer Eltern, insbesondere die Mutter, keine amtlichen Identitätsdokumente wie Pass oder Personalausweis vorgelegt.

46 Dass die Beschaffung aserbaidschanischer Identitätsdokumente für sie oder ihre Eltern tatsächlich nicht möglich ist, legt die Klägerin nicht substantiiert dar. Mit dem Hinweis darauf, dass die Eltern keine Unterlagen hätten, genügt die Klägerin ihren Mitwirkungspflichten ebenso wenig, wie mit dem im gerichtlichen Verfahren erstmals geäußerte pauschale Vortrag, dass die Versuche der Eltern, Abstammungsnachweise in Aserbaidschan zu erlangen, erfolglos geblieben seien. Die bloße Behauptung genügt nicht den Anforderungen an eine substantiierte Darlegung.

47 Auch sonst geht der Senat nicht davon aus, dass Bemühungen um Geburtsurkunden und Identitätsnachweise der Eltern über die aserbaidschanische Botschaft oder aserbaidschanischen Behörden unmöglich oder offensichtlich aussichtslos wären. Grundsätzlich kommt eine Identitäts- und Staatsangehörigkeitsbestimmung über die Botschaft in Berlin in Betracht, wenn es auch für armenische Staatsangehörige schwierig ist, aserbaidschanische Ausweisdokumente zu erlangen (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation, Aserbaidschan, Gesamtaktualisierung am 10. Dezember 2020, S. 47). Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Eltern der Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag im Asylverfahren bereits als Kinder nach Russland verbracht wurden und erst im Jahr 2000 nach Deutschland eingereist sind, wobei zumindest der Vater angibt, eine Geburtsurkunde besessen zu haben. Nach der Auskunftslage besteht grundsätzlich die Möglichkeit für als Minderjährige aus Aserbaidschan ausgereisten Personen, die als Volljährige gegenüber deutschen Behörden ihre Identität nachweisen müssen, sich an die aserbaidschanische Botschaft in Berlin zu wenden. Wenn diese auch gelegentlich den Nachweis verweigert, hilft nach der Auskunftslage die Kontaktaufnahme mit den Behörden in Aserbaidschan, wo Personalausweis und Reisepass an sieben Tagen die Woche in den ASAN-Zentren des Landes beantragt werden können (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Aserbaidschan, Stand November 2020, S. 23). [...]

49 c) Danach stellt sich die Frage, welcher Beweiswert gemäß § 54 Abs. 2 PStG dem Auszug aus dem Geburtseintrag zukommt, dem Senat nicht. Beurkundungen in Personenstandsregistern kommen als andere geeignete amtliche Urkunden im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur gestuften Prüfung der Identität nur dann in Betracht, wenn die Klärung der Identität des Einbürgerungsbewerbers durch einen Pass oder amtliche Identitätsdokumente nicht möglich und zumutbar ist. Wie aufgezeigt hat die Klägerin jedoch ihrer bis zur Grenze des objektiv möglichen und subjektiv zumutbaren reichenden Initiativ- und Mitwirkungsobliegenheit nicht genügt. Der Übergang in eine nachgelagerte Stufe der Identitätsprüfung mit den dort berücksichtigungsfähigen Beweismitteln kommt vorliegend nicht in Betracht.

50 2. Zudem ist auch die Staatsangehörigkeit der Klägerin nicht geklärt. Dem Senat liegen schon keinerlei Unterlagen vor, die im Ansatz eine Staatsangehörigkeit der Klägerin belegen könnten. Die Mutter hat bei der Meldung als Asylsuchende und gegenüber dem Landesamt für Ausländerangelegenheiten zunächst angegeben, aserbaidschanische Staatsangehörige zu sein. Im Rahmen ihrer Anhörung zu den Fluchtgründen gab sie an, wohl keine Staatsangehörigkeit zu besitzen und auch in der anlässlich der Geburt der Klägerin abgegebenen eidesstattlichen Versicherung vom 14. März 2000 bezeichnete sie ihre eigene Staatsangehörigkeit als ungeklärt. Dies entspricht den in der Geburtsanzeige des Krankenhauses gemachten Angaben im Hinblick auf die Mutter der Klägerin. Auch aus dem vorliegenden Auszug aus dem Geburtseintrag der Klägerin ergibt sich keine Information über die Staatsangehörigkeit der Klägerin. Der Eintrag im Reiseausweis für Flüchtlinge, der die Klägerin als aserbaidschanische Staatsangehörige bezeichnet, kommt schon deshalb kein Beweiswert zu, da er auf eigenen Angaben der Klägerin beruht und im Widerspruch zum sonstigen Vorbringen der sich selbst als ungeklärte Staatsangehörige bezeichnenden Mutter der Klägerin steht. Die Frage, ob vorgelegte Unterlagen überhaupt im Rahmen einer gestuften Prüfung geeignet sind, die Klärung der Identität oder Staatsangehörigkeit zu bewirken, stellt sich damit vorliegend nicht.

51 Auch insoweit geht die aufgezeigte Verletzung ihrer Initiativ- und Mitwirkungsobliegenheit zu Lasten der Klägerin. Sie trägt als Einbürgerungsbewerberin die Beweislast, den erforderlichen Nachweis zur Staatsangehörigkeit zu erbringen.

52 3. Das grundsätzliche Erfordernis einer Identitäts- und Staatsangehörigkeitsprüfung kann auch nicht im Hinblick darauf entfallen, dass die Klägerin als Asylberechtigte anerkannt und in Deutschland geboren wurde.

53 Die aufgezeigten Grundsätze des Bundesverwaltungsgerichts zur gestuften Identitätsprüfung gelten auch für anerkannte Flüchtlinge und Asylberechtigte. Die Identitätsprüfung ist aufgrund des nach Art. 34 Satz 1 GFK geltenden besonderen Wohlwollengebotes bei Flüchtlingen nicht generell ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift hat die Bundesrepublik Deutschland so weit wie möglich die Eingliederung und Einbürgerung anerkannter Flüchtlinge zu erleichtern. Die Bestimmung wirkt zwar insbesondere auf die Betätigung des Einbürgerungsermessens ein, setzt jedoch zwingende nationale Einbürgerungsvoraussetzungen für Flüchtlinge nicht außer Kraft und ermächtigt auch nicht die Einbürgerungsbehörden, sich im Einzelfall über sie hinwegzusetzen. Den bei anerkannten Flüchtlingen typischerweise bestehenden Beweisschwierigkeiten in Bezug auf ihre Identität wird nur durch Erleichterungen bei der Beweisführung und durch deren Berücksichtigung bei der Mitwirkungspflicht, nicht aber durch einen generellen Verzicht auf die Identitätsprüfung Rechnung getragen (BVerwG, Urteil vom 1. September 2011, a.a.O., juris Rn. 15).

54 Die Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG ist auch nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass eine Einbürgerung von in Deutschland geborenen Flüchtlingskindern ohne Nachweis der Identität erfolgen kann. Dem steht schon der eindeutige Wortlaut der Regelung entgegen. Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung des § 10 StAG durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 4. August 2019 (BGBl. I S. 1124) die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgegriffen, nach der bereits zuvor die feststehende und geklärte Identität des Einbürgerungsbewerbers zwingende ungeschriebene Voraussetzung einer Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG war (BVerwG, Urteil vom 1. September 2011 a.a.O, juris Rn. 10). Die Anregung einiger vom Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestages angehörter Sachverständiger, für besondere Härtefälle eine Ausnahmeklausel in § 10 Abs. 1 StAG vorzusehen, hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen (Sachsenmeier; in: HTK-StAR, Stand 27. Januar 2020, § 10, Rn. 105f.). Einer Härtefallregelung steht zudem entgegen, dass mit Aushändigung einer Einbürgerungsurkunde nach § 16 Satz 1 StAG einer bestimmten Person mit der in der Urkunde festgehaltenen Identität eine neue Staatsangehörigkeit verliehen wird. Damit werden neben der konstitutiven Änderung der Staatsangehörigkeit Identitätsmerkmale wie Name, Vorname und Geburtsdatum deklaratorisch beurkundet. Schon das öffentliche Interesse daran, dass die Einbürgerungsurkunde auch im Hinblick auf die beurkundeten Personalien richtig ist, macht eine Überprüfung der diesbezüglichen Identitätsangaben erforderlich. Eine Klärung der Frage, unter welchen Personalien ein Einbürgerungsbewerber im Ausland registriert ist, ist aber auch deswegen zwingend geboten, weil die Einbürgerung nicht dazu dient, einer Person eine vollkommen neue Identität oder eine zusätzliche Alias-Identität zu verschaffen. Es besteht ein erhebliches staatliches Interesse daran zu verhindern, dass ein und dieselbe Person im Rechtsverkehr mit mehreren unterschiedlichen Identitäten und amtlichen Ausweispapieren auftreten kann. Dieses Risiko ist nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Kind in Deutschland auf die Welt gekommen ist. Die mögliche Registrierung der Geburt des Kindes im Herkunftsland der Eltern bleibt gleichwohl grundsätzlich möglich.

55 Dem Fehlen einer Härteklausel in § 10 Abs. 1 Satz 1 StAG stehen auch verfassungsmäßige Bedenken nicht entgegen. Einen verfassungsrechtlich geschützten Anspruch auf Einbürgerung gibt es nicht. Art. 16 Abs. 1 GG schützt nur die bestehende deutsche Staatsangehörigkeit (Sachsenmeier; in: HTK-StAR, Stand 27. Januar 2020, § 10, Rn. 117). [..]