OVG Nordrhein-Westfalen

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Zitieren als:
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 09.12.2021 - 17 B 1728/21.A - asyl.net: M30303
https://www.asyl.net/rsdb/m30303
Leitsatz:

Europarechtskonformität einer Ablehnung als unzulässiger Zweitantrag ist offen:

1. Es ist streitig, ob es mit der Asylverfahrensrichtlinie vereinbar ist, einen Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn zuvor ein Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der EU erfolglos durchgeführt wurde.

2. Die Europäische Kommission hat in einem Verfahren vor dem EuGH geltend gemacht, dass die Einstufung als Folgeantrag im Sinne der Asylverfahrensrichtlinie voraussetzt, dass Erstantrag und Folgeantrag im selben Mitgliedstaat gestellt wurden. Das VG Schleswig-Holstein hat die Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt (siehe VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16.08.2021 - 9 A 178/21 - asyl.net: M29953).

3. Der betroffenen Person, die sich gegen die Ablehnung ihres Antrags als Zweitantrag nach § 71a AsylG wendet, ist entsprechend Eilrechtsschutz sowie Prozesskostenhilfe zu gewähren.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Zweitantrag, EuGH, Vorabentscheidungsverfahren, einstweiliger Rechtsschutz, vorläufiger Rechtsschutz, Asylfolgeantrag, Asylverfahrensrichtlinie, EU-Kommission,
Normen: AsylG § 71a, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 5, RL 2013/32/EU Art. 33 Abs. 2, RL 2013/32/EU Art. 2 Bst. q,
Auszüge:

[...]

Der Antragsteller hat gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren auf Anordnung der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung nach § 80b Abs. 2 VwGO. [...] Die Rechtsverfolgung, die nicht mutwillig erscheint, bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Die Europäische Kommission hat in einem Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) geltend gemacht. ein weiterer Antrag auf internationalen Schutz könne nur dann als "Folgeantrag" i.S.v. Art 2 lit. q) und Art. 33 Abs. 2 lit. d) RL 2013/32/EU eingestuft werden, wenn er in demjenigen Mitgliedstaat gestellt wurde, dessen zuständige Stellen einen früheren Antrag desselben Antragstellers mit einer bestandskräftigen Entscheidung abgelehnt haben (vgl. EuGH. Urteil vom 20. Mai 2021 – C-8/20 -, juris Rn. 29).

Der EuGH selbst hat die Frage in seiner Entscheidung orten lassen Das Schlesw.-Holsteinische Verwaltungsgericht hat dem EuGH mit Beschluss vom 16. August 2021 - 9 A 176/21 - daraufhin u.a. folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"Ist eine nationale Regelung, nach der ein Antrag aur internationalen Schutz als unzulässiger Folgeantrag abgelehnt werden kann, mit Art. 33 Abs. 2 Buchst. d und Art. 2 Buchst. q RL 2013/32/EU vereinbar, wenn das erfolglose erste Asylverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der EU durchgeführt wurde?"

Angesichts dessen kann die von dem Antragsteller im Verfahren 17 A 2793/21.A u.a. als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfene Frage, ob § 71 a AsylG mit Art 33 Abs. 2 lit. d RL 2013/32/EU vereinbar ist, jedenfalls nicht weiter als "acte clair" bejaht werden [...].

Vor diesem Hintergrund bewertet der Senat im Rahmen der Interessenabwägung nach § 80b Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO das Interesse des Antragstellers an der Fortdauer der aufschiebenden Wirkung seiner Klage bis zu einer abschließenden Klärung im Hauptsacheverfahren als höher als das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids der Antragsgegnerin. [...]