Kein Aufenthalt nach § 25 Abs. 5 AufenthG in Familiennachzugskonstellation wenn lange Trennungsdauer selbstverschuldet ist:
1. In einer Familiennachzugskonstellation wird kein Aufenthaltsrecht nach § 25 Abs. 5 AufenthG begründet, wenn Betroffene nicht alles in ihrer Kraft Stehende und Zumutbare dazu beitragen, etwaige Ausreisehindernisse zu überwinden. Ist ein Ausreisehindernis in der Trennung von Familienangehörigen begründet, umfasst dies auch alle Maßnahmen, um die Dauer eines Visumsverfahrens zum Familiennachzug möglichst kurz zu halten. Hierunter fallen auch die Einholung einer Vorabzustimmung zur Visumserteilung und das Bemühen um die Verlängerung der Ausreisefrist bis kurz vor dem Termin zur Visumserteilung bei der Auslandsvertretung (unter Bezug auf VGH Bayern, Beschluss vom 24.6.2021 - 10 CE 21.748 und 10 C 21.752 - unveröffentlicht).
2. Die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 S. 1 AufenthG findet nach § 10 Abs. 3 S. 3 AufenthG keine Anwendung, wenn ein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht. Ein solcher Anspruch muss sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen müssen erfüllt sein. Eine "Ermessensreduzierung auf Null" reicht nicht aus. Dies gilt auch für Regelansprüche und Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften (unter Bezug auf BVerwG, Urteil vom 17.12.2015 - 1 C 31.14 (= Asylmagazin 6/2016, S. 183 ff.) - asyl.net: M23517; Urteil vom 12.07.2016 - 1 C 23.15 - asyl.net: M24172; Urteil vom 12.07.2018 - 1 C 16.17 - asyl.net: M26496).
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
7 Nach § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG findet die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Falle eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels keine Anwendung. Anspruch in diesem Sinne ist aber nur ein gesetzlicher Anspruch (vgl. insoweit zur Inhaltsidentität von § 10 Abs. 1 und § 10 Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG: BVerwG, U. v. 16.12.2008 - 1 C 37.07 - juris Rn. 23). Ein gesetzlicher Anspruch im Sinne dieser Regelungen muss sich unmittelbar aus dem Gesetz ergeben. Ein derart strikter Rechtsanspruch setzt voraus, dass alle zwingenden und regelhaften Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, weil nur dann der Gesetzgeber selbst eine Entscheidung über das zu erteilende Aufenthaltsrecht getroffen hat (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.2015 - 1 C 31.14 - juris Rn. 20; U.v. 12.7.2016 - 1 C 23.15 - juris Rn. 21; U.v. 10.12.2017 - 1 C 15.14 - juris Rn. 15; U.v. 12.7.2018 - 1 C 16.17 - juris Rn. 19). Ansprüche aufgrund einer Ermessensvorschrift führen hingegen nicht zu einem gesetzlichen Anspruch im Sinne des § 10 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 3 Halbs. 1 AufenthG, und zwar auch dann nicht, wenn das Ermessen im Einzelfall "auf Null" reduziert ist. Dies gilt auch für Regelansprüche und Ansprüche aufgrund von Sollvorschriften. Da auch Asylbewerber nach Abschluss ihres Asylverfahrens bei Beantragung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck der Visumpflicht unterliegen (BayVGH, B.v. 24.9.2019 - 10 C 19.1849 - juris Rn. 7 m.w.N.; NdsOVG, B.v. 3.5.2019 - 13 PA 97/19 - juris Rn. 16 m.w.N.) und eine Befreiung vom Erfordernis der Einreise mit dem entsprechenden Visum nur im Ermessenswege in Betracht kommt, greift auch im Falle eines gesetzlichen Anspruches die Titelerteilungssperre des § 10 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, es sei denn der Betreffende kann seinen Aufenthaltstitel vom Inland aus beantragen (§ 39 AufenthV). [...]
10 Unabhängig von der vom Senat zuletzt mehrfach offengelassenen Frage, ob § 25 Abs. 5 AufenthG in der vorliegenden Konstellation vor dem Hintergrund der Regelungen über Aufenthaltserlaubnisse zum Familiennachzug überhaupt anwendbar ist (vgl. zuletzt etwa BayVGH, B.v. 24.6.2021 - 10 CE 21.748 und 10 C 21.752 - noch nicht veröffentlicht - Rn. 54; B.v. 3.9.2019 - 10 C 19.1700 - juris Rn. 4 m.w.N.), steht der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis bereits entgegen, dass das vom Kläger behauptete rechtliche Ausreisehindernis - hier die vom Kläger als unzumutbar lang angesehene Trennung von seinen Kindern zur Durchführung des Visumverfahrens - durch ein Verschulden des Klägers entstanden ist (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG), weil er nicht das getan hat, was für eine familienfreundliche Ausgestaltung der Nachholung des Visumverfahrens erforderlich, möglich und zumutbar ist (ausführlich dazu BayVGH, B.v. 24.6.2021 - 10 CE 21.748 und 10 C 21.752 - noch nicht veröffentlicht - Rn. 56).
11 Ein Verschulden bedeutet in diesem Zusammenhang ein subjektiv zurechenbares vorwerfbares Verhalten. Dies ist der Fall, wenn die Person durch ein in ihrem freien Willen stehendes Verhalten ihre freiwillige Ausreise oder zwangsweise Rückführung verhindert. Dem ausreisepflichtigen Ausländer obliegt es nach § 25 Abs. 5 AufenthG, alles in seiner Kraft Stehende und ihm Zumutbare dazu beizutragen, damit etwaige Ausreisehindernisse überwunden werden. Welche Bemühungen ihm hierbei zumutbar sind, ist unter Berücksichtigung aller Umstände und Besonderheiten des Einzelfalls zu entscheiden (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2018 - 19 C 16.670 - juris Rn. 7). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (BayVGH, U.v. 23.3.2006 - 24 B 05.2889 - juris; U.v. 11.12 2006 - 24 B 06.2158 - juris; U. v. 14.3.2012 - 10 B 10.109 - juris Rn. 34; B.v. 7.5.2018 - 10 CE 18.464 - juris Rn. 11) ergibt sich aus § 82 Satz 1 AufenthG für den Ausländer eine Mitwirkungs- und Initiativpflicht. Dies bedeutet, dass er an allen zumutbaren Handlungen mitwirken muss, die die Behörden von ihm verlangen. Er ist gehalten, die von ihm konkret geforderten Schritte zu unternehmen sowie konstruktiv die ihm aufgezeigten Aktivitäten zu entwickeln. Daneben hat er eigenständig die Initiative zu ergreifen, um nach Möglichkeiten zu suchen, bestehende Ausreisehindernisse zu beseitigen. Soweit ein Ausreisehindernis in der Trennung von Familienangehörigen begründet sein soll, umfasst dies alle Maßnahmen, um die Dauer des Visumverfahrens möglichst kurz zu halten.
12 Nach den vom Kläger im Zulassungsvorbringen zwar angezweifelten, aber (ausdrücklich) nicht in Frage gestellten Feststellungen des Verwaltungsgericht würde die Durchführung des Visumverfahrens angesichts des Entgegenkommens des Beklagten (Vorabzustimmung, Verlängerung der Ausreisefrist bis kurz vor dem Termin beim Generalkonsulat usw.) bei gewissenhafter Vorbereitung des Klägers maximal zwei bis drei Monate dauern, was das Erstgericht als auch im Hinblick auf den Schutz der Bindung des Klägers zu seinen Kindern als zumutbar erachtet hat. Die vagen und in Teilen schwer nachvollziehbaren Ausführungen im Zulassungsvorbringen zeigen nicht auf, dass eine solche Trennung das Kindeswohl beeinträchtigen könnte, denn sie beschränken sich darauf, allgemeine Problem des Visumverfahrens zu beschreiben und die Rechtfertigung des Visumverfahren mit einem nicht nachvollziehbaren Verweis auf die Möglichkeiten einer Videoverhandlung nach § 128a ZPO (sic) in Frage zu stellen.
13 Dass im Falle des Klägers mit einem deutlich längeren Visumverfahren zu rechnen ist, hat der Kläger im dargestellten Sinne selbst verschuldet. Nach den vom Zulassungsvorbringen nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts verweigert der Kläger jegliche Kooperation im Hinblick auf eine freiwillige Ausreise, obwohl er von der Ausländerbehörde mehrfach auf die Möglichkeiten einer Beschleunigung des Visumverfahrens hingewiesen wurde. [...]