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VG Mainz

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Zitieren als:
VG Mainz, Beschluss vom 14.06.2021 - 4 L 472/21.MZ - asyl.net: M29780
https://www.asyl.net/rsdb/m29780
Leitsatz:

Corona-Zwangstests zur Durchführung von Abschiebungen zulässig:

Eine ausreisepflichtige Person muss eine ärztliche Untersuchung zur Abnahme eines Covid-19-Tests dulden, wenn sie sich nicht freiwillig testen lässt. Die Maßnahme stellt eine Maßnahme zur Feststellung der Reisefähigkeit nach § 82 Abs. 4 S. 1 AufenthG dar; hilfsweise ist sie als Maßnahme zur Förderung der Ausreise nach § 46 Abs. 1 AufenthG zu qualifizieren.

(Leitsätze der Redaktion; siehe auch OVG Niedersachsen, Beschluss vom 28.01.2021 - 10 LA 12/21 (Asylmagazin 3/2021, S. 102 f) - asyl.net: M29301)

Schlagwörter: Corona-Virus, Abschiebung, Test, ärztliche Untersuchung, Reisefähigkeit, Zwangsmittel, Corona-Test,
Normen: AufenthG § 82 Abs. 4 S. 1, AufenthG § 82 Abs. 4 S. 2, AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1, AufenthG § 46 Abs. 1,
Auszüge:

[...]

Die Anordnung der ärztlichen Untersuchung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage dafür ist § 82 Abs. 4 Satz 1 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet – Aufenthaltsgesetz, AufenthG –. Danach kann, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach diesem Gesetz erforderlich ist, u.a. eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit angeordnet werden. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Der Antragsteller ist vollziehbar ausreisepflichtig. Bei der geplanten Aufenthaltsbeendigung durch Abschiebung des Antragstellers nach Aserbaidschan handelt es sich um eine Maßnahme nach dem AufenthG. Dass die Veranlassung einer ärztlichen Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit eine konkrete Maßnahme zur Aufenthaltsbeendigung sein kann, hat der Gesetzgeber mit der Aufnahme einer solchen Untersuchung in § 60c Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a) AufenthG nunmehr ausdrücklich klargestellt (vgl. VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16. Dezember 2020 – 1 B 168/20 –, juris Rn. 8).

Bei dem Covid-19-Test in der Form eines laborbasierten PCR-Tests handelt es sich um eine medizinische Untersuchung, die nach dem Bescheid vom 11. Juni 2021 durch ärztliches bzw. medizinisches Fachpersonal durch Entnahme eines Abstrichs aus den oberen und tiefen Atemwegen durchgeführt werden soll. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Entnahme des Abstrichs nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst durchgeführt werden wird.

Die ärztliche Untersuchung, hier die Entnahme eines Abstrichs zum Zweck der Ermittlung einer SARS-CoV-2-Infektion, dient der Feststellung der Reisefähigkeit. Eine Reiseunfähigkeit in diesem Sinne kann sich nicht nur aus Gefahren für den Abzuschiebenden selbst aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung ergeben, sondern auch daraus, dass der Betreffende aufgrund seines gesundheitlichen Zustands eine erhebliche Gefahr für Dritte darstellt und deshalb nicht reisen darf. Unfähig zur Reise ist mithin auch derjenige, der andere Menschen mit einer potentiell lebensbedrohenden Krankheit wie SARS-CoV-2 anstecken kann, weil er selbst mit diesem Erreger infiziert ist (vgl. VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16. Dezember 2020 – 1 B 168/20 –, juris Rn. 11; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 4. November 2020 – 11 L 1494/20 –, juris Rn. 11 ff., a.A.: VG Köln, Beschluss vom 27.Oktober 2020 – 12 L 1926/20 –, n.v.). Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 15/420, S. 96 f.), wonach eine Untersuchung nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG insbesondere erforderlich sein kann, um die gesundheitlichen Voraussetzungen einer Rückführung auf dem Luftwege zu klären (vgl. OVG RP, Beschluss vom 2. Dezember 2020 – 7 B 11323/20 –, juris Rn. 4, OVG Nds, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 10 LA 12/21 –, juris Rn. 19). Sofern ein Antragsteller mit Covid-19 infiziert ist, ist eine Rückführung auf dem Luftweg aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich. Dies folgt schon daraus, dass andernfalls eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Mitreisenden besteht, die sich auf dem Flug mangels Einhaltung des Mindestabstands oder Belüftungsmöglichkeiten anstecken könnten (vgl. vgl. VG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16. Dezember 2020 a.a.O., juris Rn. 11). Darüber hinaus setzt die Überstellung des Antragstellers nach Aserbaidschan das Vorliegen eines negativen Covid-19-Tests, der nicht älter als 48 Stunden sein darf, voraus. Demnach dient eine solche Untersuchung der Klärung der gesundheitlichen Voraussetzungen der Rückkehr und ist erforderlich zur Feststellung der Reisefähigkeit im Sinne des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG.

Selbst wenn man § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG enger verstehen würde, dürften sich die Verpflichtung des Antragstellers zur Duldung und die Anordnung einer ärztlichen Untersuchung zur Durchführung eines Covid-19-Tests auf § 46 Abs. 1 AufenthG stützen lassen (vgl. hierzu VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 1. Dezember 2020 – 2 L 875/20.NW –, juris Rn. 3 ff.). [...]

Die angeordnete Maßnahme erweist sich ferner nicht als ermessensfehlerhaft, sie ist insbesondere verhältnismäßig. [...]

Auch die Androhung unmittelbaren Zwangs im Hinblick auf die Durchführung eines Covid-19-Tests ist rechtlich nicht zu beanstanden. So sieht § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG vor, dass, sofern der Ausländer einer Anordnung im Sinne des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG – hier der Durchführung einer ärztlichen Untersuchung – nicht nachkommt, diese zwangsweise durchgesetzt werden kann. [...]