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OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 28.01.2021 - 10 LA 12/21 (Asylmagazin 3/2021, S. 102 f) - asyl.net: M29301
https://www.asyl.net/rsdb/M29301
Leitsatz:

Corona-Zwangstests zur Durchführung von Abschiebungen zulässig:

"Eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit im Sinne des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann auch die Durchführung eines Corona-Tests zur Feststellung einer Covid-19 Erkrankung sein."

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Corona-Virus, Reisefähigkeit, Abschiebung, ärztliche Untersuchung, Zwangsmittel, Corona-Test,
Normen: AufenthG § 82 Abs. 4 S. 1, AufenthG § 82 Abs. 4 S. 2, AsylG § 78 Abs. 3 Nr. 1,
Auszüge:

[...]

1 Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Denn der von ihm geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist von ihm nicht hinreichend dargelegt worden bzw. liegt nicht vor. [...]

9 Diesen Anforderungen genügt der Zulassungsantrag des Klägers nicht.

10 Er hält die Fragen für klärungsbedürftig,

11 "ob die Durchsetzung von Corona-Zwangstests bei Geflüchteten in der Bundesrepublik Deutschland auf Anforderung anderer europäischer Länder als Negativnachweis auf der Grundlage von § 82 Abs. 4 S. 1 und 2 AufenthG rechtskonform ist, wenn die Behörden der Herkunftsstaaten die zur Bedingung für eine Aufnahme / Einreise machen" [...]

15 Zu der ersten vom Kläger aufgeworfenen Frage legt er nicht dar, aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren, mithin es sich um eine Frage von allgemeiner, über den Fall des Klägers hinausgehender Bedeutung handelt. Zudem hat der Kläger auch die Entscheidungserheblichkeit dieser Frage nicht hinreichend dargetan. Nach dem von ihm in seinem Zulassungsvorbringen herangezogenen § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, für den Fall, dass ein Ausländer in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Der Kläger hat nicht hinreichend dargetan, weshalb die Rechtswidrigkeit der Durchsetzung eines Corona-Zwangstests bei Geflüchteten auf der Grundlage von § 82 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AufenthG dazu führen würde, dass - wie er mit seinem Zulassungsantrag weiter vorbringt - die Abschiebung nicht durchgeführt werden kann. Maßgeblich für die Durchführbarkeit der Abschiebung dürfte letztlich nicht die vom Kläger aufgeworfene Frage der Rechtswidrigkeit eines zwangsweisen Corona- Tests sein, zumal der Kläger auch schon nicht dargelegt hat, dass bei ihm ein Corona-Test (auf der Grundlage von § 82 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AufenthG) überhaupt durchgeführt werden soll, sondern vielmehr seine angekündigte Weigerung für den Fall der Durchführung eines Tests.

16 Selbst wenn man die erste Frage des Klägers und seinen weiteren Vortrag daher dahingehend versteht, dass er geklärt haben möchte, ob die Anordnung der Duldung eines Corona-Tests auf der Grundlage von § 82 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AufenthG rechtswidrig ist und eine Abschiebung daher nicht im Sinne von 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden kann, wenn er einen freiwilligen Corona-Test verweigert, hat er die grundsätzliche Bedeutung der von ihm aufgeworfenen Frage nicht dargelegt bzw. liegt diese nicht vor. Denn abgesehen davon, dass er die allgemeine Klärungsbedürftigkeit der Frage nicht dargelegt hätte, wäre seinem Vortrag auch nicht hinreichend zu entnehmen, weshalb sein Unwille ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis oder ein inlandsbezogenes Vollzugshindernis im Sinne eines Duldungsgrundes (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 17.9.2014 - 2 BvR 1795/14 -, BeckRS 2014, 56447 Rn. 9 f.) begründen sollte.

17 Überdies wäre die so verstandene Frage auch ohne die Durchführung eines Berufungsverfahrens anhand des Gesetzeswortlauts und der üblichen Regeln sachgerechter Auslegung sowie auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung zu beantworten: Der vom Kläger geäußerte Unwille, einen Corona-Test dulden zu wollen, führt nicht dazu, dass die Abschiebung nicht im Sinne des § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG durchgeführt werden kann, weil die Anordnung der Duldung eines Corona-Tests gemäß § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erfolgen und - bei dem Vorliegen der weiteren Voraussetzungen - nach § 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gegebenenfalls auch zwangsweise durchgesetzt werden kann.

18 Nach § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann, soweit es zur Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen nach diesem Gesetz und nach ausländerrechtlichen Bestimmungen in anderen Gesetzen erforderlich ist, angeordnet werden, dass […] eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit durchgeführt wird. Kommt der Ausländer einer Anordnung nach Satz 1 nicht nach, kann sie zwangsweise durchgesetzt werden (§ 82 Abs. 4 Satz 2 AufenthG).

19 Dem Einwand des Klägers, dass die Feststellung einer Covid-19 Erkrankung nicht von der Frage der Reisefähigkeit umfasst sei, ist nicht zu folgen (so auch: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 2.12.2020 – 7 B 11323/20 –, juris Rn. 4; VG Schleswig, Beschluss vom 16.12.2020 – 1 B 168/20 –, juris Rn. 10; VG Berlin, Beschluss vom 24.11.2020 – 11 L 408/20 –, juris Rn. 12; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 4.11.2020 – 11 L 1494/20 –, juris Rn. 13; a.A. VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 1.12.2020 – 2 L 875/20.NW –, juris Rn. 3 f. (§ 46 Abs. 1 AufenthG als Rechtsgrundlage)). Maßgeblich für den Begriff der Reisefähigkeit im Sinne des § 82 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ist insoweit, ob der Abschiebung in den zu überstellenden Mitgliedsstaat im Wege einer ärztlichen Untersuchung festzustellende Gründe entgegenstehen. Dies ist bei einer mittels eines Corona-Tests festzustellenden Covid-19 Erkrankung der Fall. Denn auch dann stehen der Durchführung der Abschiebung, konkret der Einreise in den zu überstellenden Mitgliedsstaat, in der Person des Betroffenen liegende gesundheitliche Gründe entgegen (so im Ergebnis auch: VG Schleswig, Beschluss vom 16.12.2020 – 1 B 168/20 –, juris Rn. 11; VG Berlin, Beschluss vom 24.11.2020 – 11 L 408/20 –, juris Rn. 13; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 4.11.2020 – 11 L 1494/20 –, juris Rn. 13). Die Reisefähigkeit im Sinne der Vorschrift ist nicht - wie der Kläger wohl meint - nur dann betroffen, wenn sich durch die Durchführung der Abschiebung sein Gesundheitszustand verschlechtern würde (so: VG Neustadt (Weinstraße), Beschluss vom 1.12.2020 – 2 L 875/20.NW –, juris Rn. 4), wie es etwa § 60 Abs. 7 Sätze 1 und 3 AufenthG voraussetzt. Ein solch enges Verständnis ist weder dem Wortlaut noch der Gesetzesbegründung, wonach die Untersuchung insbesondere erforderlich sein kann, "um die gesundheitlichen Voraussetzungen einer Rückführung auf dem Luftwege zu klären" (BT-Drs. 15/420, S. 96 f) zu entnehmen (vgl. auch: Kluth in BeckOK, Ausländerrecht, Stand: 1.10.2020, § 82 Rn. 42.1). [...]