Zum Verlust des Schutzes des UNRWA bei "freiwilliger Ausreise" in anderes Einsatzgebiet:
1. Bei der Beurteilung, ob eine staatenlose Person palästinensischer Herkunft, die unter dem Schutz des UNRWA-Mandats steht, diesen Schutz verloren hat, sind alle Operationsgebiete des Einsatzgebietes des UNRWA zu berücksichtigen, wobei zu klären ist, ob die Betroffenen die Möglichkeit haben, in diese Gebiete einzureisen und sich sicher dort aufzuhalten.
2. Dies gilt auch für den Fall, dass sich in der Zeit zwischen der Ausreise und der nationalen Entscheidung die Situation in den UNRWA-Gebieten verändert hat, wenn nach nationalem Recht auf die Sachlage zum Entscheidungszeitpunkt abzustellen ist.
3. Eine "freiwillige“ Ausreise aus einem Operationsgebiet bedeutet nicht immer, dass die betroffene Person gezwungen war, das gesamte Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen. Es bleibt den nationalen Behörden und Gerichten überlassen, die genauen Umstände zu ermitteln. Wichtig ist dabei, ob die betroffene Person über konkrete Informationen zur Situation in den jeweiligen Einsatzgebieten des UNRWA verfügt. Dabei ist der plötzliche und unvorhersehbare Charakter von Situationen zu berücksichtigen, beispielsweise bei der Schließung der Grenzen zwischen den Operationsgebieten und beim Ausbruch von Konflikten.
(Leitsätze der Redaktion; unter Bezug auf EuGH, Urteil vom 19.12.2012 - C-364/11 (= Asylmagazin 4/2013, S. 122 ff.) - asyl.net: M20496; EuGH, Urteil vom 25.07.2018 - C-585/16 - asyl.net: M26700)
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67 Nach alledem ist auf die erste, die zweite und die vierte Frage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass zur Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, im Rahmen einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände des fraglichen Sachverhalts alle Operationsgebiete des Einsatzgebiets des UNRWA zu berücksichtigen sind, in deren Gebiete ein Staatenloser palästinensischer Herkunft, der dieses Einsatzgebiet verlassen hat, eine konkrete Möglichkeit hat, einzureisen und sich dort in Sicherheit aufzuhalten. [...]
80 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a Satz 2 der Richtlinie 2011/95 dahin auszulegen ist, dass nicht angenommen werden kann, dass der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, wenn ein Staatenloser palästinensischer Herkunft das Einsatzgebiet des UNRWA ausgehend von einem Operationsgebiet dieses Einsatzgebiets, in dem er sich in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befand und in dem das UNRWA nicht imstande war, ihm seinen Schutz oder Beistand zu gewähren, verlassen hat, sofern er sich zum einen aus einem anderen Operationsgebiet dieses Einsatzgebiets, in dem er sich nicht in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befunden hatte und in dem er den Schutz oder Beistand des UNRWA hatte in Anspruch nehmen können, freiwillig in dieses Operationsgebiet begeben hat und sofern er zum anderen auf der Grundlage ihm vorliegender konkreter Informationen vernünftigerweise nicht damit rechnen konnte, in dem Operationsgebiet, in das er eingereist ist, durch das UNRWA Schutz oder Beistand zu erfahren oder in absehbarer Zeit in das Operationsgebiet, aus dem er ausgereist ist, zurückkehren zu können, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. [...]