Keine Gruppenverfolgung armenischer Christen in Syrien:
1. Armenischen Christen droht in Syrien keine Gruppenverfolgung.
2. Einem minderjährig ausgereisten Syrer droht wegen Wehrdienstentziehung keine Verfolgung aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung, da er auch aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte nicht verpflichtet war, sich in Hinblick auf die Ableistung seines Wehrdienstes zur Verfügung zu halten (unter Bezugnahme auf OVG Bremen, Urteil vom 24.01.2018 - 2 LB 237/17 - asyl.net: M26102).
3. Ihm droht auch nicht allein aufgrund der Herkunft aus einem Unruhegebiet Verfolgung wegen unterstellter oppositioneller Gesinnung (hier: Qamischli).
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
17 [...] Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 4, Abs. 1 AsylG. [...]
28 [...] Eine mögliche Verfolgungshandlung ist mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit weder auf eine dem Kläger wegen seiner Ausreise, seines Auslandsaufenthalts und der Asylantragstellung zugeschriebene politische Überzeugung (aa.) noch auf eine dem Kläger wegen einer möglichen, durch die Ausreise erfolgten Wehrdienstentziehung zugeschriebene politische Überzeugung (bb.) zurückzuführen. Die erforderliche Verknüpfung zwischen Verfolgungsgrund und Verfolgungshandlung ergibt sich ebenso wenig aus der Zugehörigkeit des Klägers zur Volksgruppe der Armenier und seiner christlichen Religion (cc.) seiner Herkunft aus Qamischli (dd.) oder einer Kombination aller Merkmale (ee.). Dem Kläger ist die Flüchtlingseigenschaft schließlich auch nicht im Hinblick auf eine ihm drohende Zwangsrekrutierung (ff. und gg.) oder auf eine Verfolgungshandlung nach § 3 Abs. 1, § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG zuzuerkennen (hh.). [...]
36 bb. Dem Kläger droht auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit deshalb Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 AsylG, weil er sich aus Sicht des syrischen Regimes mit dem Verlassen des Landes der Militärdienstpflicht entzogen hätte und das Regime ihm aufgrund dessen eine oppositionelle politische Haltung zuschriebe. Zwar kann in einer Ausreise trotz bestehender Militärdienstpflicht ein zusätzliches, gefahrerhöhendes Moment im oben genannten Sinne liegen, mit der möglichen Folge, dass syrischen Männern, die sich auf diese Weise dem Militärdienst entzogen haben, im Hinblick darauf Verfolgung wegen der ihnen seitens des syrischen Regimes zugeschriebenen politischen Überzeugung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 AsylG droht. Hierüber hat der Senat noch nicht entschieden. Beim Kläger besteht dieser Zusammenhang jedoch bereits deshalb nicht, weil er zum Zeitpunkt seiner Ausreise aus Syrien noch nicht wehrpflichtig war. [...]
45 Beim Kläger fehlte es aufgrund seines Lebensalters zum Zeitpunkt seiner Ausreise an dieser tatsächlich bestehenden Militärdienstpflicht, weshalb auch aus Sicht der Sicherheitskräfte eine oppositionelle Gesinnung in seiner Ausreise mangels Militärdienstpflicht nicht zum Ausdruck kommt. In Syrien besteht nach dem Gesetz unverändert eine Wehrdienstpflicht für alle männlichen Syrer erst ab dem Alter von 18 Jahren. Der Senat geht davon aus, dass der Kläger Syrien am 05.05.2015 verlassen hat und somit bei seiner Ausreise aus Syrien kurz vor Vollendung des 15. Lebensjahres stand. War der Kläger danach zum Zeitpunkt seiner Ausreise 14 Jahre alt, so befand er sich noch nicht im wehrpflichtigen Alter, so dass er auch keine Ausreisegenehmigung benötigte (vgl. für den Fall, dass das wehrpflichtige Alter bereits überschritten war: OVG Saarland, Urt. v. 17.10.2017 – 2 A 365/17 – juris, Rn. 25). Der Kläger war daher auch aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte nicht verpflichtet, sich schon im Hinblick auf die Ableistung seines Wehrdienstes zur Verfügung zu halten. [...]
46 cc. Es ist ebenfalls nicht beachtlich wahrscheinlich, dass dem Kläger aufgrund seiner Religionszugehörigkeit oder seiner Ethnie Verfolgung droht oder ihm deswegen seitens des syrischen Regimes eine politische Überzeugung zugeschrieben würde und ihm deshalb Verfolgung drohte (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 1 u. 3, Abs. 2 AsylG).
47 Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass der syrische Staat armenische Christen wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer Religion verfolgt. Die Angaben zum Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung Syriens vor Beginn des Bürgerkrieges schwanken zwischen 5 bis 15%, wobei sich die Christen in zahlreiche Konfessionen gliedern (BAMF, Syrien, Aktuelle Situation der Christen, Juni 2013, S. 3 f.; ACCORD, Lage von armenischen Christen, insbesondere in Aleppo v. 29.7.2014, S. 2; Deutsche Orient- Stiftung/Deutsches Orient-Institut (DOIS), Die orthodoxen Christen in Syrien und Libanon, Aug. 2014, S. 4; Konrad-Adenauer-Stiftung, Otmar Oehring (KAS / Oehring), Christen in Syrien, Febr. 2017, S. 18). Die Volksgruppe der Armenier stellte einen bedeutenden Anteil der syrischen Christen dar (BAMF, Juni 2013, S. 6).
48 Seit Beginn des Regimes der Baath-Partei 1963 gilt Syrien als säkularer Staat; die Verfassung von 1973 garantiert Religionsfreiheit. Allerdings muss sich der Staatspräsident zum islamischen Glauben bekennen und die islamische Jurisprudenz ist Hauptquelle der Gesetzgebung (BAMF, Juni 2013, S. 8; BFA, Länderinformationsblatt v. 25.1.2018, S. 53). Christen konnten unter dem Baath-Regime ihren Glauben offen praktizieren, christliche Feiertage wurden anerkannt und der Bau christlicher Kirchen unterstützt (DOIS, August 2014, S. 4 u. 9). Kirchen genossen staatlichen Schutz, solange sie sich nicht gegen das Regime stellten (BAMF, Juni 2013, S. 8). Syrische Christen konnten unter dem Baath-Regime in relativer Sicherheit leben (BAMF, Juni 2013, S. 9). Eine systematische staatliche Benachteiligung oder Existenzbedrohung gab es nicht (KAS / Oehring, Febr. 2017, S. 9). Da die Christen weder staatlich noch gesellschaftlich diskriminiert wurden, galt Syrien lange Zeit als eines der sichersten Länder für Christen im Nahen und Mittleren Osten (DOIS, August 2014, S. 4 u. 9). Gleichzeitig sind aber auch Christen wegen vermuteter oder tatsächlicher staatsfeindlicher Aktivitäten Opfer staatlicher Repressionen geworden (KAS / Oehring, Febr. 2017, S. 9).
49 Die gewährte Religionsfreiheit sowie die Fragmentierung der Opposition und Zweifel daran, dass die syrische Opposition ein alternatives politisches Konzept anzubieten habe, aber auch gezielte Propaganda des syrischen Regimes führten zu einer mehrheitlich loyalen Verbundenheit der christlichen Minderheit zum Assad-Regime (DOIS, Aug. 2014, S. 7 f. u. S. 18 f.; ACCORD, Juli 2014, S. 1; BAMF, Juni 2013, S. 29), zumindest verhält sich die Mehrheit der Christen indifferent gegenüber dem Regime, weil sie befürchtet, dass sich nach einem Sturz Bashar al Assad ihre Lage verschlechtern würde (BAMF, Juni 2013, S. 9 f.; KAS / Oehring, Febr. 2017, S. 5, 10; BFA, Länderinformationsblatt v. 25.1.2018, S. 55). Insbesondere werden die Implementierung eines islamischen Staates sowie Gefahren für die christliche Minderheit während eines Machtvakuums nach einem Sturz des Assad-Regimes befürchtet (DOIS, Aug. 2014, S. 8 f.).
50 Die Sicherheitslage der christlichen Minderheit hat sich seit Beginn des Bürgerkrieges verschlechtert. Dies beruht insbesondere auf der Erosion des syrischen Staates und dem damit einhergehenden Verlust des staatlichen Schutzes sowie auf dem wachsenden Gewicht religiös motivierter extremistischer Kämpfer auf Seiten der Aufständischen (BAMF, Juni 2013, S. 17), wobei davon ausgegangen werden kann, dass bei einer fortwährenden Destabilisierung gerade Minderheiten gefährdet sind, unter Druck zu geraten. Auch setzt das syrische Regime auf eine Verschärfung konfessioneller Spannungen, um Minderheiten an die Regierung zu binden (BAMF, Syrien, Juni 2013, S. 27; vgl. auch BFA, Länderinformationsblatt v. 25.1.2018, S. 54).
51 Es gibt auch Berichte über Angriffe auf Kirchen und christliche Einrichtungen sowie Angehörige der christlichen Minderheit in Syrien (vgl. bspw. Gesellschaft für bedrohte Völker, Die Verfolgung der Christen in Syrien seit 2011, v. 02.03.2016; KAS / Oehring, Febr. 2017, S. 10). Bei diesen Berichten bleibt aber weitgehend unklar, ob es sich um Angriffe im Rahmen von Kampfhandlungen handelt und ob den Angriffen religiöse oder womöglich politische Motive zugrunde lagen (vgl. dazu auch BAMF, Juni 2013, S.28). Oehring weist darauf hin, dass im Verlauf des Bürgerkriegs auch Angehörige anderer Minderheiten regelmäßig Opfer gewalttätiger Übergriffe geworden sind, die größte Zahl von Todesopfern aber auf das Kriegsgeschehen zurückzuführen sei, wobei mehr als 90% den Regierungstruppen und ihren Verbündeten angelastet würden (KAS / Oehring, Febr. 2017, S. 12; BFA, Länderinformationsblatt v. 25.1.2018, S. 55 wonach es wegen der Überschneidung politischer, ethnischer und religiöser Gewalt schwierig sei, Übergriffe als lediglich religiös motiviert einzuschätzen). Soweit Oehring von gezielten Übergriffe auf Christen durch das Regime ausgeht, wird dies nicht weiter konkretisiert (Febr. 2017, S. 9). Auch die früheren Erkenntnismittel verweisen darauf, dass hinsichtlich verschiedener Übergriffe nicht klar sei, ob sie auf religiösen Gründen oder bspw. bei Entführungen auf finanziellen Gründen beruhten (BAMF, Juni 2013, S. 24). Des Weiteren wird von Übergriffen in den von der Opposition übernommenen Gebieten berichtet (DOIS, August 2014, S. 8). Eine hochgradige Gefährdung von Christen in Syrien bestand vor allem überall dort, wo die ISIS aktiv war (ACCORD, Juli 2014 Seite 2). Soweit Einzelfälle von Angriffen auf armenische Christen wiedergegeben werden, gingen diese offensichtlich von islamistischen Gruppierungen aus (BAMF, Juni 2013, S. 21).
52 Aus dieser Erkenntnislage ergibt sich nicht eine dem Kläger seitens des syrischen Staates mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende politische Verfolgung wegen seines christlichen Glaubens. Es gibt weiterhin keine Hinweise, dass das syrische Regime Christen wegen ihres Glaubens verfolgt (KAS / Oehring, Febr. 2017, S. 7). Nach Oehring hat es eine systematische staatliche Benachteiligung und existenzielle Bedrohung von Christen aufgrund ihres Glaubens weder in der Amtszeit von Hafez al Assad noch seit dem Amtsantritt von Bashar al Assad gegeben (Febr. 2017, S. 9). Auch ACCORD verweist auf Berichte, nach denen Christen nicht wegen ihres Glaubens, sondern weil sie zwischen die Fronten der Bürgerkriegsparteien geraten, bedroht seien (ACCORD, Juli 2014, S. 3). Soweit der Kläger darauf verweist, dass nach Oehring eine Rückkehr der christlichen Bevölkerung gerade aus dem ländlichen Raum nicht zu erwarten sei, bezieht sich das allgemein auf die Frage, wie sich ein Zusammenleben der verschiedenen Gruppen in oder nach dem Bürgerkrieg gestalten kann. Aus den Erkenntnismitteln ergibt sich des Weiteren nicht, dass dem Kläger in seiner Heimatregion von Seiten nichtstaatlicher Akteure Verfolgung droht. In Qamischli leben weiterhin 5.000 Armenier, die überwiegend christlicher Religionszugehörigkeit sind (KAS / Oehring, Febr. 2017, S. 22).
53 Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlich relevanten Verfolgung der Christen lässt sich auch nicht daraus herleiten, dass der UNHCR (Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der arabischen Republik Syrien fliehen, a.a.O., S. 25 f.), unter "Risikoprofile" auch generell "Mitglieder religiöser Gruppen, einschließlich Sunniten, Alawiten, Ismaelis, Zwölfer-Schiiten, Drusen, Christen und Jesiden" erfasst. Der UNHCR erfasst mit seinem religiösen Risikoprofil praktisch die gesamte Bevölkerung, was den Wert dieser Aussage mindert.
54 Eine andere Beurteilung ist nicht aufgrund der armenischen Volkszugehörigkeit des Klägers geboten. Die Armenier in Syrien bilden eine Minderheit mit einer eigenen Sprache (BAMF, Juni 2013, S. 3). Die Armenier sind in großer Mehrheit Christen (Gesellschaft für bedrohte Völker, a.a.O., S. 15). Ein Großteil der Armenier hat Syrien aufgrund der Bürgerkriegssituation verlassen. Die meisten Armenier leben weiterhin in Aleppo (12.000 bis 15.000), in Damaskus (8.000) und in Qamischli (5.000) (KAS / Oehring, Febr. 2017, S. 22). Es ist nicht ersichtlich, dass es zu Übergriffen auf Armenier wegen ihrer Volkszugehörigkeit kommt.
55 dd. Eine dem Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung wegen einer ihm seitens des syrischen Regimes zugeschriebenen politischen Überzeugung (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3b Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 AsylG) ergibt sich auch nicht aus seiner Herkunft aus Qamischli. [...]