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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 13.03.2019 - unbekannt - asyl.net: M27160
https://www.asyl.net/rsdb/M27160
Leitsatz:

Nur Abschiebungsverbot, kein internationaler Schutz, für eine syrische Kurdin und ihren Sohn:

1. Keine Flüchtlingseigenschaft für syrische Frau kurdischer Volkszugehörigkeit und muslimischen Glaubens sowie ihr Kleinkind.

2. Kein subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AsylG wegen drohender Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung.

3. Kein subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 AsylG wegen individueller Bedrohung im bewaffneten Konflikt. Nur noch Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zors sowie die Kurdengebiete sind von Kampfhandlungen unterschiedlichen Umfangs betroffen. Ein bewaffneter Konflikt mit einer Gefahrverdichtung für alle dort lebenden Zivilpersonen herrscht derzeit nur noch in der Provinz Idlib.

4. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG liegt hinsichtlich Syriens vor. Zwar droht der Antragstellerin in Syrien keine individuelle Gefahr durch einen konkret handelnden Akteur, so dass keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar ist (unter Bezug auf BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 - asyl.net: M20529). Aufgrund der derzeitigen humanitären Bedingungen in Syrien droht bei Rückkehr jedoch eine Art. 3 EMRK-Verletzung, da angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage ein außergewöhnlicher Einzelfall i.S.d. EGMR-Rechtsprechung vorliegt (unter Bezug auf EGMR, Urteil vom 21.11.2011, Nr. 11449/07 Sufi und Elmi gg. das Vereinigte Königreich).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Syrien, Abschiebungsverbot, politische Verfolgung, Flüchtlingseigenschaft, Verfolgungsgrund, Rückkehrgefährdung, Asylantrag, Auslandsaufenthalt, subsidiärer Schutz, illegale Ausreise, bewaffneter Konflikt, willkürliche Gewalt, extreme Gefahrenlage, Europäische Menschenrechtskonvention, humanitäre Bedingungen, allgemeine Gefahr, Bescheid, Sippenhaft, Idlib, Aleppo,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3b Abs. 1, AsylG § 4 Abs. 1 Nr. 2, AsylG § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, AsylG § 4 Abs. 1 Nr. 3, AsylG § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, AufenthG § 60 Abs. 5, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

1. und 2. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte liegen nicht vor. [...]

Die Antragstellerin 1 gab an, keiner persönlichen Verfolgung in Syrien ausgesetzt gewesen zu sein. Der Tatbestand des.§ 3 Abs. 1 AsylG ist somit nicht erfüllt. [...]

3. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus liegen nicht vor. [...]

Die Antragsteller waren in ihrem Herkunftsland weder oppositionell tätig oder aus einem sonstigen Grunde unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden. Auch Konflikten mit nicht staatlichen Gruppierungen waren sie persönlich nicht ausgesetzt. Ihnen droht daher weder die Verhängung der Todesstrafe, noch besteht die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung in einer schutzauslösenden Intensität.

Nachdem das syrische Regime mit seinen Verbündeten insbesondere im letzten Jahr weite Teile des Landes zurückerobert hat, kann derzeit nicht mehr für alle Landesteile Syriens von einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt ausgegangen werden. Von Kampfhandlungen unterschiedlichen Umfangs betroffen sind nur noch Idlib, Teile Aleppos, Raqqas (Rakkas) und Deir ez Zors sowie die Kurdengebiete. Nur in der Provinz Idlib herrscht noch ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt mit einer Gefahrverdichtung für alle Zivilpersonen. Der Tatbestand des § 4 Abs. 1 AsylG ist somit nicht erfüllt.

4. Ein Abschiebungsverbot liegt vor.

Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG liegen hinsichtlich Syriens vor. [...]

Wie bereits im Rahmen der Prüfung des § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG festgestellt, droht den Antragstellern in Syrien keine, durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte, Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. In Bezug auf Gefahren einer Verletzung des Art. 3 EMRK, die individuell durch einen konkret handelnden Täter drohen, ist daher keine andere Bewertung als bei der Prüfung des subsidiären Schutzes denkbar (vgl. BVerwG, U. v. 13.01.2013, 10.C 16.12). [...]

Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Syrien führen zu der Annahme, dass bei Abschiebung der Antragsteller eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliegt.

Angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage bestehen für Rückkehrer wenige Möglichkeiten zur Schaffung einer ausreichenden Lebensgrundlage bzw. der Sicherung des Existenzminimums; die Grundversorgung wird fast vollständig von den UN-Hilfsprogrammen gedeckt. Die Grundversorgung und die Möglichkeiten zur Überlebenssicherung sind in ganz Syrien, mitunter stark, eingeschränkt. In Syrien bestehen sehr schlechte humanitäre Bedingungen. Bezogen auf Syrien wird derzeit von einem Extremfall im Sinne der EGMR-Entscheidung vom 21.11.2011 (Sufi/Elmi v. UK) ausgegangen. Es ist daher ein Abschiebungsverbot im Sinne des § 60 Abs. 5 AufenthG auszusprechen. [...]