VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.02.2019 - 11 S 401/19 - asyl.net: M27132
https://www.asyl.net/rsdb/M27132
Leitsatz:

Zuständigkeit und Prüfungsumfang der Rechtmäßigkeit von Dublin-Überstellungen:

1. Die Zuständigkeit für die Anordnung und Durchführung einer Dublin-Überstellung sowie die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG und die Abschiebung nach § 58 AufenthG vorliegen, liegt bei Ablehnung als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG beim BAMF. Gleiches gilt für die Prüfung, ob der Überstellung Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG oder inlandsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60a Abs. 2 AufenthG entgegenstehen.

2. Den Ausländerbehörden steht insoweit keine eigene Prüfungs- und Entscheidungszuständigkeit zu, da sie lediglich im Wege der Amtshilfe für das Bundesamt tätig werden. Auch der gerichtliche Prüfungsumfang im Verfahren nach § 123 VwGO beschränkt sich auf Maßnahmen zur konkreten Durchführung der Amtshilfe. Ausnahmen hiervon kommen nur in Betracht, wenn effektiver Rechts­schutz andernfalls nicht gewährleistet werden kann, z.B. wenn eine rechtswidrige Abschiebung bereits eingeleitet wurde.

(Leitsätze der Redaktion, unter Bezug auf VG Stuttgart, Beschluss vom 21.06.2018 - 4 K 6710/18 - asyl.net: M26473; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 20.07.2017 - 7 B 11085/17 - asyl.net: M25521; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.05.2011 - A 11 S 1523/11 - asyl.net: M18698)

Schlagwörter: Dublinverfahren, Abschiebungsanordnung, Abschiebungshindernis, Zuständigkeit, sachliche Zuständigkeit, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Ausländerbehörde, höhere Ausländerbehörde, zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot, inlandsbezogenes Abschiebungshindernis, Ausländerbehörde, Prüfungsumfang,
Normen: AsylG § 34a Abs. 1, AsylG § 5 Abs. 1 S. 2, AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, AufenthG § 58, AufenthG § 60a Abs. 2, AsylG § 34a Abs. 2, VwGO § 123, GG Art. 19 Abs. 4,
Auszüge:

[...]

8 [...] Denn nach § 34a Abs. 1 und § 5 Abs. 1 Satz 2 AsylG liegt in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die Zuständigkeit für die Anordnung und Durchführung der Abschiebung eines Ausländers beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Diese Zuständigkeit umfasst die Prüfung, ob die Voraussetzungen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG und diejenigen einer Abschiebung nach § 58 AufenthG vorliegen; ebenfalls umfasst ist die Prüfung, ob einer Abschiebung zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG oder inlandsbezogene Vollzugshindernisse nach § 60a Abs. 2 AufenthG entgegenstehen (so zutreffend und mit ausführlicher Begründung VG Stuttgart, Beschluss vom 21.06.2018 - 4 K 6710/18 -, juris Rn.10 ff.; vgl. ferner den Beschluss des Senats vom 31.05.2011 - A 11 S 1523/11 -, juris Rn. 3 ff., sowie OVG Rh-Pf., Beschluss vom 20.07.2017 - 7 B 11085/17 -, juris Rn. 9 f.).

9 Den Ausländerbehörden des Antragsgegners sind insoweit keine eigenen Prüfungs- und Entscheidungszuständigkeiten zugewiesen. Das Regierungspräsidium Karlsruhe unterstützt zwar das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in den Fällen des § 34a Abs. 1 AsylG bei der Durchführung von Abschiebungen. Es wird insofern aber nur im Wege der Amtshilfe tätig (§§ 4 ff. VwVfG).

10 In Konsequenz sind Rechtsstreitigkeiten, die in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die oben angesprochenen Themen betreffen, für die nach § 34a Abs. 1 AsylG die alleinige Zuständigkeit beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge liegt, gegen die Bundesrepublik Deutschland als Trägerin dieser Behörde zu führen. Dabei sind die speziellen prozessualen Regelungen in § 34a Abs. 2 AsylG zu beachten.

11 Dem Regierungspräsidium Karlsruhe als Ausländerbehörde des Antragsgegners und auch dem Verwaltungsgericht im gegen den Antragsgegner gerichteten Verfahren nach § 123 VwGO ist die Prüfung der oben angesprochenen Themen hingegen entzogen.

12 Anderes kann allenfalls für ungewöhnliche Ausnahmefälle gelten, wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls bei einer durch Stellen des Landes im Wege der Amtshilfe bereits eingeleiteten Abschiebung eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO gegen die Bundesrepublik Deutschland zu spät käme, um die Durchführung der Abschiebung noch abzuwenden. In Ausnahmefällen dieser Art kann es die verfassungsrechtliche Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gebieten, dem Träger der Amtshilfe leistenden Behörde auf Antrag durch einstweilige Anordnung aufzugeben, die bereits eingeleitete Abschiebung zu stoppen (vgl. OVG Rh-Pf., Beschluss vom 20.07.2017 - 7 B 11085/17 -, juris Rn. 8 mit weiteren Nachweisen). Für eine solche Anordnung ist allerdings kein Raum, wenn bei Dublin-Rückführungen ein auch kurzfristig funktionierender Informationsfluss zwischen dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und der Amtshilfe leistenden Behörde besteht.

13 Ein weiterer Ansatzpunkt für Rechtsschutz gegen den Träger der Amtshilfe leistenden Behörde kann sich aus der Verantwortungsteilung im Rahmen der Amtshilfe ergeben. Diese Verteilung der Verantwortung wird im Innenverhältnis durch § 7 Abs. 2 VwVfG geregelt. Im Außenverhältnis gilt, dass Rechtsschutz gegen denjenigen Rechtsträger zu suchen ist, dessen Behörde die beanstandete Maßnahme getroffen hat oder zu treffen gedenkt (Raumsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, 19. Aufl. 2018, § 7 Rn. 11; Kastner, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 4. Aufl. 2016, § 7 VwVfG Rn. 7). Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen, die von der Amtshilfe leistenden Behörde im Zuge der konkreten Durchführung der Amtshilfe getroffen werden, sind also gegen den Träger dieser Behörde zu richten. Dies betrifft im vorliegenden Zusammenhang etwa Maßnahmen des Regierungspräsidiums zur konkreten Ausgestaltung einer im Wege der Amtshilfe durchgeführten Abschiebung, soweit dieser Maßnahme eigenständiger Eingriffscharakter zukommt und § 44a VwGO einer isolierten gerichtlichen Überprüfung nicht entgegensteht (Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 9. Aufl. 2018, § 7 Rn. 9; Funke-Kaiser, in: Bader/Ronellenfitsch, BeckOK VwVfG, Stand: 01.10.2016, § 7 Rn. 10). Dagegen sind Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen der ersuchenden Behörde gegen den Träger dieser Behörde zu richten. Dies betrifft im vorliegenden Zusammenhang die Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG und die Durchführung der Abschiebung an sich. [...]