VG Hannover

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Zitieren als:
VG Hannover, Urteil vom 06.08.2018 - 4 A 428/18 (gleichlautend: 4 A 521/18) - asyl.net: M26597
https://www.asyl.net/rsdb/M26597
Leitsatz:

Flüchtlingsanerkennung für ruandische Staatsangehörige und ihr minderjähriges Kind:

Abgelehnten Schutzsuchenden, die nach Ruanda zurückkehren, droht mit hinreichender Sicherheit die Gefahr politischer Verfolgung durch den ruandischen Staat aufgrund unterstellter oppositioneller Gesinnung allein wegen Aufenthalt und Asylantragstellung im Ausland.

(Leitsatz der Redaktion; weitestgehend gleichlautend vom selben Tag: VG Hannover - 4 A 521/18)

Schlagwörter: Ruanda, Auslandsaufenthalt, Asylantrag, Antragstellung als Asylgrund, oppositionelle Gesinnung, Opposition, Flüchtlingsanerkennung, Familienflüchtlingsschutz,
Normen: AsylG § 3, AsylG § 3 Abs. 1,
Auszüge:

[…]

Die Klägerin zu 2) hat im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. […]

Das Gericht geht in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Mehrheit der zu Ruanda an verschiedene Verwaltungsgerichte erstatteten Auskünfte zusammengefasst davon aus, dass die ruandische Regierung in besonderer Weise um ein positives Bild des Landes in den Augen der Weltöffentlichkeit besorgt ist (1.) und von den Staatsangehörigen Ruandas erwartet, sich dieses Anliegen zu eigen zu machen und sich aktiv in die Gesellschaft einzubringen (2.), während zugleich innerstaatliche Kritik oder Opposition unterdrückt werden (3.); dass die ruandische Regierung im Rahmen dieser Politik das Stellen von Asylanträgen im Ausland durch Einwohner generell als dem Ruf Ruandas in der Welt abträglich und konkret als Ablehnung des Ruandischen Staates durch den Antragsteller betrachtet (4.); dass die Regierung mit dehnbaren Straftatbeständen ein erhebliches Sanktionspotential für politisch abweichende Ansichten geschaffen hat und durch einen hierarchischen Aufbau von Verwaltung und Regierungspartei zu kleinräumiger Überwachung in der Lage ist (5.); dass die ruandische Regierung Einschüchterung, Gewalt und Freiheitsentziehungen bei der Unterdrückung jeglicher Opposition willkürlich und ohne effektive justizielle Kontrolle einsetzt (6.) und im Ergebnis abgelehnte und abgeschobene Asylbewerber bei ihrer Befragung durch die Sicherheitsbehörden mit hinreichender Sicherheit Gefahr laufen, unabhängig vom Wahrheitsgehalt solcher Vorwürfe mit oppositionellen Bestrebungen in Verbindung gebracht und entsprechend behandelt zu werden, ohne dass ihnen effektiver (Rechts-) Schutz zur Seite steht (7.). […]

Im Fall der Klägerin zu 2) muss zudem in Rechnung gestellt werden, dass das Gericht jedenfalls ihrer Angabe, die Nichte des vom ruandischen Regime verfolgten P. und auch die Nichte des in Belgien als asylberechtigt anerkannten Q. zu sein, Glauben schenkt. […]

Der Kläger zu 1) hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Er selbst will Verfolgung aus den von der Klägerin zu 2) genannten Gründen fürchten. Dem Gericht ist es nicht möglich, den Kläger als - wie er es angibt - ruandischen Staatsangehörigen zu identifizieren, so dass aus der Sicht des Gerichts eine Zurückführung dorthin nicht wahrscheinlich ist. Näher liegt es, den Kläger zu 1) als Ugander anzusehen, was jedenfalls bis 2012 auch das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts war. Denn er spricht die ruandische Sprache Kinyarwanda nicht. Außerdem ist der Kläger zu 1) offenkundig bemüht, seine Identität zu verbergen. […]

Der Kläger zu 1) hat auch keinen Anspruch darauf, als Familienangehöriger der Klägerin zu 2) nach § 26 Abs. 5, Abs. 1 AsylG die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz zu erhalten. Maßgeblich hierfür wäre, dass eine Ehe zwischen der Klägerin zu 2) und dem Kläger zu 1) in Ruanda bestanden haben müsste (§ 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG). Die beiden Kläger haben nicht glaubhaft gemacht, in Ruanda geheiratet zu haben, so dass es vorliegend an einer Ehe i.S.d. § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG fehlt. […]

Die Entscheidung zugunsten der Klägerin zu 3) beruht auf § 26 Abs. 5, Abs. 2 AsylG. Danach ist ein zum Zeitpunkt seiner Asylantragstellung minderjähriges lediges Kind eines international Schutzberechtigten die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn die Zuerkennung des internationalen Schutzes unanfechtbar ist und nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist. […]