SG Köln

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Zitieren als:
SG Köln, Beschluss vom 22.05.2018 - S 20 AL 204/18 ER - Asylmagazin 7-8/2018, S. 281 ff. - asyl.net: M26284
https://www.asyl.net/rsdb/M26284
Leitsatz:

Vorläufige ausbildungsbegleitende Hilfe für afghanischen Asylsuchenden:

1. Ein rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalt, der für die Ausbildungsförderung von § 132 Abs. 1 SGB III vorausgesetzt wird, kann nicht deshalb angenommen werden, weil die betroffene Person eine Ausbildung aufgenommen hat. Dann müssten alle Asylsuchenden gefördert werden, die eine Ausbildung beginnen. Es kann aber nicht erwartet werden, dass im Anschluss an die Ausbildung eine Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Beschäftigung nach § 18a AufenthG erteilt wird (ausdrücklich entgegen SG Potsdam, Beschluss vom 29.03.2017 - S 6 AL 13/17 ER - asyl.net: M24882).

2. Welche Maßstäbe für die sogenannte gute Bleibeperspektive anzulegen sind, ist sozialgerichtlich noch nicht abschließend entschieden. Für die Bejahung dieser Voraussetzung kann jedoch nicht allein auf eine Asylanerkennungsquote von mindestens 50% abgestellt werden, wie es der VGH Bayern zur Frage der Teilnahme an Integrationskursen getan hat (Beschluss vom 21.02.2017 - 19 CE 16.2204 - asyl.net: M24910). Diese Quote ist nämlich erheblichen Schwankungen unterworfen, und die Behörden schätzen diese nicht einheitlich ein (unter Bezug auf uneinheitliche BAMF Einschätzung und auch Einschätzung der Bundesarbeitsagentur, siehe Erlasse M25227 vom 12.07.17 und M25643 vom 09.11.17).

3. Die Folgenabwägung im Eilrechtsschutz muss zugunsten des Betroffenen ausfallen, da die Nachteile bei Ablehnung der existenzsichernden Beihilfe bei Begründetheit der Klage schwerer wiegen als die Nachteile bei Stattgabe des Eilrechtsschutzantrags bei Unbegründetheit der Hauptsache (sich anschließend an LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16.11.2017 - L 18 AL 182/17 B ER ZVW - asyl.net: M25672, Asylmagazin 3/2018, S. 103).

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Berufsausbildungsbeihilfe, Ausbildungsförderung, Asylsuchende, Asylverfahren, Ausbildung, Berufsausbildung, ausbildungsbegleitende Hilfe, Afghanistan, Bleibeperspektive, Schutzquote, einstweilige Anordnung, Anerkennungsquote, Aufenthaltsgestattung, dauerhafter Aufenthalt, rechtmäßiger Aufenthalt, Gesamtschutzquote, Ausbildungsbeihilfe,
Normen: SGG § 86b Abs. 2 S. 2, SGB III § 132 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, SGB III § 59, SGB III § 56, SGB III § 122, SGB III § 132, AufenthG § 18 Abs. 1a, AufenthG § 60a Abs. 2 S. 4, AufenthG § 44 Abs. 4 S. 2,
Auszüge:

[...]
Hinsichtlich der ausbildungsbegleitenden Hilfen ist hingegen seinem Antrag zu entsprechen. [...]

Der Antragsteller fällt nicht unter den förderungsfähigen Personenkreis nach § 59 SGB III. [...]

Der Antragsteller gehört auch nicht zu dem von § 59 Abs. 2 SGB III erfassten Personenkreis. Zwar ist der zuvor geforderte 4-jährige Mindestaufenthalt vor Aufnahme einer beruflichen Ausbildung mit Wirkung zum 1. August 2016 auf 15 Monate verkürzt worden (vgl. Art. 3 Nr. 4b und Art. 6 Abs. 5 des 25. BAföG, BGBI. 1, S. 2475). [...] Der Antragsteller hat jedoch nicht den Status eines Geduldeten, denn über seinen Asylantrag ist noch keine Entscheidung getroffen worden. Damit kommt für die Annahme eines Anspruchs allein § 132 SGB III in Betracht. der den Kreis der förderberechtigten Personen erweitert.

Ausländer, bei denen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist, können danach zum förderungsfähigen Personenkreis nach § 59 SGB III für Leistungen nach § 75 gehören, wenn ihr Aufenthalt seit mindestens drei Monaten gestattet ist. Ausgeschlossen ist ein Anspruch nach Abs. 1 Satz 1 SGB III, wenn der Ausländer zu den Ausländern aus sicheren Herkunftsstaaten (§ 132 Abs. 1 S. 2 SGB III i.V m. § 29a Asylgesetz Anlage II) gehört; hierzu gehört Afghanistan nicht.

Die Bundesagentur für Arbeit ist bis zum 31.12.2018 davon ausgegangen, dass bei Afghanen ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt zu erwarten ist und hat diese dem Personenkreis nach § 59 SGB III gleichgestellt. Davon ist sie ab Beginn des Jahres 2018 abgewichen, ohne dass den Weisungen entnommen werden kann, welche Tatsachen sich in welcher Weise geändert haben, so dass sie eine Einbeziehung nicht mehr rechtfertigen. Auch die Agentur für Arbeit Köln konnte keine weiteren Begründungen vorlegen.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann ein rechtmäßiger und dauerhafter Aufenthalt aber nicht deshalb angenommen werden, weil der Antragsteller eine Ausbildung aufgenommen hat und daher die Möglichkeit besteht, dass ihm nach Abschluss der Ausbildung eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Nach § 18 Abs. 1a AufenthG ist, wenn eine Duldung nach § 60a Absatz 2 Satz 4 erteilt wurde, nach erfolgreichem Abschluss dieser Berufsausbildung für eine der erworbenen beruflichen Qualifikation entsprechende Beschäftigung eine Aufenthaltserlaubnis für die Dauer von zwei Jahren zu erteilen, wenn die Voraussetzungen von § 18 Abs. 1 Nrn. 2 bis.7 vorliegen und die Bundesagentur für Arbeit nach § 39 AufenthG zugestimmt hat. Nach Auffassung des Gerichts kann im Rahmen der Ausbildungsförderung und der Auslegung des § 132 SGB III nicht der zukünftig denkbare rechtmäßige Aufenthalt nach § 18 AufenthG herangezogen werden. Anderenfalls müssten die ausbildungsfördernden oder -begleitenden Leistungen allen Asylbewerbern bewilligt werden, die eine Ausbildung beginnen, da bei allen bei erfolgreichem Abschluss die Möglichkeit eine Aufenthaltsberechtigung besteht. Der Antragsteller trägt vor, dass die Bewilligung von ausbildungsbegleitenden Hilfen notwendig ist, damit er erfolgreich die Ausbildung beenden kann. Diese sind also Voraussetzung dafür, dass er - nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung - hier bleiben darf. Dann kann aber nicht zugleich angenommen werden, dass erwartet werden kann, dass der Antragsteller diesen Aufenthaltstitel erhalten wird (vgl. SG Karlsruhe, Urteil vom 24. Januar 2018 - S 2 AL 3795/17 -, juris; a.A. SG Potsdam, Beschluss vom 29.03.2017, S 6 AL 13/17 ER).

Hintergrund des § 132 SGB III ist vielmehr das Bestreben des Gesetzgebers, denjenigen bereits die Möglichkeit einer erfolgreichen Ausbildung zu ermöglichen, bei denen aus anderen als ausbildungsbedingten Gründen davon ausgegangen werden kann, dass sie weiter in der Bundesrepublik bleiben werden und daher eine Integration schon frühzeitig gefördert werden soll. Dies lässt sich der Vorschrift insoweit entnehmen, als Personen aus sicheren Herkunftsländern von vornherein von Leistungen ausgeschlossen sein sollen. Dies ergibt sich auch aus der vom Antragsteller angesprochenen Begründung zum Integrationsgesetz (BT-Drs. 18/8615, S. 31). Er hat nur den Teil unterstrichen, der seine Auffassung trägt. Wesentlich ist aber das Erfordernis; dass die Person eine gute Perspektive hat, als Asylberechtigte anerkannt zu werden.

Welche Maßstäbe für die gute Bleibeperspektive anzulegen sind, ist noch nicht sozialgerichtlich abschließend entschieden. Es besteht die Möglichkeit, dass die Kriterien, die zur Bestimmung der wörtlich identischen Voraussetzungen des § 44 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 AufenthG hergeleitet werden, auch für die hier zu entscheidende Frage von Bedeutung sind. Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung hat insoweit für den Anspruch auf Förderung eines Integrationskurses die Frage, ob die Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts begründet ist, grundsätzlich anhand der Gesamtschutzquote des Landes, aus dem der Asylbewerber kommt, beantwortet, solange die Asylentscheidung des Bundesamtes noch nicht ergangen ist (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 21.02.2017, 19 CE 16.2204, juris). Gefolgert wird dies aus der Entwurfsbegründung (BT-Drucks. 18/6185, Seite 1 und 48) und den Umschreibungen "gute Bleibeperspektive", "Asylbewerber, die aus einem Land mit einer hohen Anerkennungsquote kommen" und "Asylbewerber, bei denen eine belastbare Prognose für einen erfolgreichen Asylantrag besteht". Auf Seite 30 geht die Entwurfsbegründung davon aus, dass für die Entscheidung über den Zulassungsantrag eines Asylbewerbers eine Abfrage zum Status des Asylbewerbers aus dem Asylbereich des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge notwendig ist. Daraus kann aber nicht automatisch gefolgert werden, dass nur dann, wenn die Gesamtschutzquote über 50 % liegt, eine gute Bleibeperspektive besteht (so aber wohl LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03. 05.2017 - L 14 AL 52/17 B ER -, juris). Die Gesamtschutzquote kann, wie die in den Geschäftsberichten des BAMF [...] dargestellte Entwicklung dieser Quote für das Herkunftsland Afghanistan belegt, erheblichen Schwankungen unterworfen sein; dies kann auf Entwicklungen im Heimatland des Asylbewerbers, auf einem Wandel der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, auf fallgruppenorientierten Arbeitsabläufen des Bundesamtes, das bestimmte Personenkreise zu bestimmten Zeiten vordringlich bearbeitet, und auf sonstigen Gründen beruhen. Dies wird dadurch belegt, dass nach der aktuellen Geschäftsstatistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge im ersten Quartal nur Syrien und Eritrea überhaupt die Grenze von 50 % übersteigen, während dies für das Jahr 2017 noch Syrien, Eritrea, Irak und Somalia waren. Im Jahre 2017 überstiegen die Anerkennungen für Afghanen auch nicht 50 %, sondern lagen bei 44,3 %; dies spricht dafür, dass die Bundesagentur eine gute Bleibeperspektive auch schon bei unter der Hälfe der Bewilligungsentscheidungen annimmt oder noch weitere Kriterien für die Annahme der Erwartung eines rechtmäßigen und dauerhaften Aufenthalts hatte, als sie für diesen Personenkreis noch bis 31.12.2017 die Förderfähigkeit angenommen hat.

Daher folgt die Kammer der Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg vom 16.11.2017, L 18 AL 182/17 B ER ZVW, juris und entscheidet im Rahmen der nur möglichen summarischen Prüfung zugunsten des Antragstellers im Wege der Folgenabwägung. Die Nachteile, die ihm bei Ablehnung des Antrags bei angenommener Begründetheit der Klage in der Hauptsache entstünden, erweisen sich als schwerwiegender als die die Antragsgegnerin treffenden Nachteile bei Stattgabe des Antrags und angenommener Unbegründetheit der Hauptsache. [...]