VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 24.08.2017 - 28 L 346.17 A - asyl.net: M25692
https://www.asyl.net/rsdb/M25692
Leitsatz:

Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet (sicherer Herkunftsstaat Mazedonien), weil die Möglichkeit der Schutzgewährung wegen Transsexualität nicht ausgeschlossen ist. Im Falle nicht-staatlicher Verfolgung ist ungeklärt, ob der mazedonische Staat willens und in der Lage ist, wirksamen Schutz zu bieten.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Mazedonien, Transsexuelle, homosexuell, offensichtlich unbegründet, Diskriminierung, nichtstaatliche Verfolgung, geschlechtsspezifische Verfolgung, Schutzfähigkeit, Schutzbereitschaft, interne Fluchtalternative, interner Schutz, Vorverfolgung,
Normen: VwGO § 80 Abs. 5, AsylG § 3, AsylG § 4 Abs. 1, AsylG § 29a Abs. 1, AsylG § 3b Abs. 1 Nr. 4 Bst. b, AsylG § 3c Nr. 3, AsylG § 3e,
Auszüge:

[...]

Gemessen hieran erscheint es vorliegend angesichts der Angaben der Antragstellerin, den Ergänzungen durch ihre Verfahrensbevollmächtigten und den eingeführten Erkenntnissen nach summarischer Prüfung zumindest möglich, dass ihr aufgrund ihrer besonderen Lage abweichend von der allgemeinen Lage in Mazedonien Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 AsylG droht.

Die Antragstellerin hat im Rahmen ihrer Anhörung durch das Bundesamt und im gerichtlichen Verfahren schlüssig vorgetragen, transsexuell zu sein. Sie zählt damit zu der Personengruppe der LGBT-Menschen, welche in der Mazedonien ausweislich der eingeführten Erkenntnisse zur Situation in der Mazedonien eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird (§ 3b Abs. 1 Nr. 4 li t. b AsylG). So berichtet etwa die European Commission against Racism and Intolerance (ECRI) des Europarates, dass in den mazedonischen Medien eine negative Stereotype über LGBT-Menschen vorherrschend sind. Ferner werden sowie homo- und transphobe Hetze ("hate speech") - auch durch mazedonische Politiker - als ein zunehmendes und weitverbreitetes Problem beschreiben (ECRI, ECRI Report on "The former Yugoslav Republic of Macedonia", 7. Juni 2016, S. 14 Abs. 19 ff., m.w.N.). Das Auswärtiges Amt (AA) berichtet, dass sexuelle Minderheiten aus Sorge vor der Reaktion ihres Umfelds und den mit einem "Outing" möglicherweise verbundenen Konsequenzen wie Arbeitsplatzverlust und Ausgrenzung, sogar in der eigenen Familie, im öffentlichen Leben kaum in Erscheinung treten (vgl. AA, Bericht im Hinblick auf die Einstufung der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien als sicheres Herkunftsland im Sinne des § 29a AsylVfG, 2. Dezember 2016, S. 12). [...]

Schließlich erscheint es zumindest möglich, dass der Antragstellerin - die sich allein auf die Furcht vor Übergriffen nichtstaatlicher Akteure beruft - durch den mazedonischen Staat kein wirksamer Schutz vor Verfolgung geboten wird, weil dieser hierzu (möglicherweise) erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens ist, § 3c Nr. 3 AsylG. Nach § 3d Abs. 2 Satz 2 ist ein solcher Schutz generell gewährleistet, wenn der mazedonische Staat geeignete Schritte einleitet, um die Verfolgung zu verhindern, beispielsweise durch wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung darstellen, und wenn der Ausländer Zugang zu diesem Schutz hat. Zwar enthält der Vortrag der Antragstellerin keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass ihr mit Blick auf die vorgetragenen Übergriffe konkret gesuchter staatlicher Schutz verweigert worden wäre. Insbesondere gibt sie hinsichtlich der geschilderten Misshandlung im Wald an, aus Angst vor Stigmatisierung gar nicht erst zur Polizei gegangen zu sein. Aber nach den eingeführten Erkenntnissen ist zumindest offen, ob der Mazedonische Staat willens und in der Lage ist, der Antragstellerin wirksamen Schutz zu bieten. Den Berichten zufolge herrscht in Mazedonien ein Klima, in dem aufgrund der verbreiteten homo- und transphobischen Stimmung in Politik, Medien und Gesellschaft Gewalt gegen LGBT-Menschen zunehmend akzeptiert wird (vgl. ECRI, a.a.O., S. 19 Abs. 39 m.w.N.; US State Department [USD], Macedonia 2016 Human Rights Report, S. 37 f.). Zwar sollen auf gegenüber der Polizei angezeigte Straftaten - jedenfalls in den meisten Fällen - tatsächlich Ermittlungen durchgeführt werden, aber das (mögliche) homo- bzw. transphobe Tatmotiv wird regelmäßig nicht erfasst (vgl. ECRI, a.a.O., S. 20 Abs. 43 f.). So wurde beispielsweise in einem Bericht des mazedonischen Innenministeriums über einen Angriff auf das Büro der LGBT-Gemeinschaft in Skopje im Jahr 2013 durch etwa 40 vermummte Männer, der homo- und transphobe Hintergrund der Tat nicht erwähnt und der Vorfall sogar verharmlost (vgl. ECRI, a.a.O., S. 20 Abs. 45). Zudem soll es Berichten zufolge eine hohen Dunkelziffer nicht gemeldeter Übergriffe geben, da gerade LGBT-Menschen durch Offenlegung ihrer sexuellen Identität Stigmatisierung zu befürchten haben (vgl. ECRI, a.a.O., S. 19 Abs. 39) und ihr Vertrauen in die Polizei überaus gering ist (vgl. USD, a.a.O., S. 38). Ferner wird berichtet, dass von bislang sechs Überfällen auf das Büro der LGBT-Gemeinschaft in Skopje - trotz Videoaufzeichnungen von Überwachungskameras - bislang nur ein Fall aufgeklärt und der Täter verurteilt wurde (vgl. AA, a.a.O., S. 12).

Angesichts der offenbar im ganzen Land vorherrschenden homo- und transphoben Stimmung sowie der besonderen Umstände der Antragstellerin , die ihren Angaben zufolge schon aufgrund ihres Verhaltens als Transsexuelle erkannt wird , erscheint es ebenfalls möglich, dass ihr eine inländische Fluchtalternative nicht zur Verfügung steht (§ 3e AsylG ). [...]