OVG Sachsen-Anhalt

Merkliste
Zitieren als:
OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 08.08.2002 - 1 L 87/02 - asyl.net: M2527
https://www.asyl.net/rsdb/M2527
Leitsatz:

Der Nordirak stellt eine inländische Fluchtalternative dar. (Leitsatz der Redaktion)

Schlagwörter: Irak, Kurden, Zentralirak, Blutrache, Glaubwürdigkeit, Nachfluchtgründe, Subjektive Nachfluchtgründe, Antragstellung als Asylgrund, Illegale Ausreise, Interne Fluchtalternative, Nordirak, Gebietsgewalt, Verfolgungssicherheit, Existenzminimum, Versorgungslage, Flüchtlingslager, Unterbringung, medizinische Versorgung
Normen: AuslG § 51 Abs. 1; AuslG § 53
Auszüge:

Die Beklagte hat zu Recht entschieden, dass die Voraussetzungen eines Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht vorliegen und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht bestehen.

Es mag dahinstehen, ob der nicht als politisch Verfolgter ausgereiste Kläger im Falle seiner Rückkehr in den Zentralirak wegen seiner Asylantragstellung und seines Auslandsaufenthaltes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit abschiebungsrelevante Maßnahmen zu befürchten hat (so zuletzt OVG Lüneburg, Urt. v. 21.6.2002 - 9 LB 3662/01 -; OVG Koblenz, Urt. v. 4.6.2002 - 7 A 10365/02 -; VGH München, Urt. v. 30.4.2002 - 23 B 02.30161 -; a. A. OVG Münster, Urt. v. 19.7.2002 - 9 A 4596/01.A - u. - 9 A 1346/02A. -). Dem Kläger steht jedenfalls für den Fall, dass er bei einer Rückkehr in den Machtbereich des zentralirakischen Regimes asylerhebliche Nachteile befürchten muss, der Nordirak als inländische Fluchtalternative zur Verfügung.

Der Kläger ist im Nordirak vor einer politischen Verfolgung durch den Zentralirak hinreichend sicher.

Für Asylsuchende, die aus dem Zentralirak stammen, besteht im Nordirak bei generalisierender Betrachtungsweise ungeachtet ihrer Volks- und Religionszugehörigkeit auch keine sonstige existenzielle Gefährdung. Dabei kommt dem Gesichtspunkt der Menschenwürde neben der Existenzgewährung keine eigenständige Bedeutung zu. Die Menschenwürde ist vielmehr als gewahrt anzusehen, wenn eine Existenzmöglichkeit zur Verfügung steht (BVerwG, B. v. 16.6.2000 - 9 B 255.00 -,Buchholz 402.240 § 51 AuslG Nr. 34, S. 26: "das zu einem menschenwürdigen Leben erforderliche wirtschaftliche Existenzminimum ...").

Das zur Führung eines menschenwürdigen Lebens notwendige wirtschaftliche Existenzminimum ist gegeben, wenn die wirtschaftliche Existenz des Asylbewerbers am Ort der inländischen Fluchtalternative durch eine ihm zumutbare Beschäftigung oder auf sonstige Weise gewährleistet ist (BVerwG, Urt. v. 15.7.1997 - 9 C 2.97 -, BayVB/. 1998,250 m. w. N.). Das Existenzminimum beschränkt sich dabei auf das zur Aufrechterhaltung der physischen Existenz absolut Notwendige.

Hiernach kann entsprechend dem Vorbringen des Klägers unterstellt werden, dass keine Verwandten von ihm im Nordirak ansässig sind, die ihm eine existenzsichernde Hilfeleistung ermöglichen würden (vgl. Urt. d. Senats v. 11.12.1998 - A 1 S 394/98 -). Denn mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit steht dem Kläger jedenfalls in den Flüchtlingslagern des Nordirak eine ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage zur Verfügung. An dieser in seinem Urteil vom 6.

Dezember 2001 (1 L 2/01) getroffenen Einschätzung hält der Senat auch in Ansehung weiterer Erkenntnismittel fest. Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln, die von verschiedenen sachverständigen Stellen erstellt worden sind und eine verlässliche Bewertung der Versorgungslage der Flüchtlinge in den Lagern ermöglichen, ist dort eine ausreichende Grundversorgung der Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln gewährleistet.

Objektive Anhaltspunkte, die eine Änderung der Versorgungslge im Nordirak in absehbarer Zeit als real erscheinen lassen könnten, bestehen nicht.

Bei generalisierender Betrachtungsweise sind Asylsuchende auch bei ihrer Unterbringung in den Lagern des Nordirak beachtlich wahrcheinlich keiner existenziellen Gefährdung ausgesetzt.

Nach der Stellungnahme des Deutschen Orient-Instituts (v. 6.5.2002 an VG Leipzig) ist im Übrigen auch eine Standardbedürfnisse abdeckende medizinische Grundversorgung gewährleistet. Dies entspricht den bereits erwähnten Äußerungen der Gutachterin Hogg im Rahmen der mündlichen Verhandlung des Senats am 6. Dezember 2001 (1 L 2/01). Abgesehen davon ist die medizinische Grundversorgung im Nordirak bei generalisierender Betrachtung jedenfalls besser als im Zentralirak (AA, Lagebericht v. 20.3.2002). Durch eine Übersiedlung in den Nordirak erfährt der Kläger damit keine unzumutbare Verschlechterung seiner Lebensumstände.

Dem schließlich vom VGH München (a. a. O.) angesprochenen Gesichtspunkt, dass im Falle eines für möglich gehaltenen Wiedereinmarsches zentralirakischer Kräfte in den Nordirak die Lagerinsassen als Regimegegner verdächtigt würden und auch deshalb eine Lagerunterbringung nicht zumutbar sei, vermag der Senat schon deshalb nicht zu folgen, weil für einen derartigen Wiedereinmarsch jegliche Anhaltspunkte fehlen.