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VG Saarland

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Zitieren als:
VG Saarland, Urteil vom 23.01.2015 - 5 K 534/13 - asyl.net: M22670
https://www.asyl.net/rsdb/M22670
Leitsatz:

Keine Schutzzuerkennung für bisexuellen Mann aus Algerien:

Die in Algerien für homosexuelle Betätigungen geltenden Strafbestimmungen sind für einen Mann nicht asylrechtlich unzumutbar, sofern dieser sich nicht nur zu Männern, sondern auch zu Frauen hingezogen fühlt, da ein solcher Mann aufgrund seiner Veranlagung in der Lage wäre, auch mit einer Frau eine Partnerschaft zu führen und seine Sexualität auszuleben.

Insoweit unterscheidet sich ein solcher Sachverhalt von den vom EuGH (Urteil vom 07.11.2013 - C-199/12; C-200/12; C-201/12 X,Y,Z gegen Niederlande (Asylmagazin 12/2013) - asyl.net: M21260) entschiedenen Fällen, in denen die Betroffenen ihre ausschließlich homosexuelle Orientierung entweder gänzlich verleugnen oder aber im Verborgenen ausleben müssten, um einer Bestrafung zu entgehen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Algerien, bisexuell, Bisexualität, Strafbarkeit, sexuelle Orientierung, sexuelle Identität, homosexuell, soziale Gruppe, Diskretion, Diskretionsgebot, Homosexualität, Verfolgungshandlung, Verfolgungsgrund, Genfer Flüchtlingskonvention, Strafbarkeit, sexuelle Orientierung, Ausleben, unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung, Geheimhaltung, geschlechtsspezifische Verfolgung,
Normen: GG Art. 1 Abs. 1, RL 2011/95/EG Art. 10 Abs. 1 Bst. d, AufenthG § 60 Abs. 1, AsylVfG § 3, AsylVfG § 3 Abs. 1, AsylVfG § 4,
Auszüge:

[...]

Nach Maßgabe dieser Kriterien sind die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht gegeben. Zur Überzeugung des Gerichts lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger vor seiner Ausreise aus Algerien oder bei seiner Rückkehr dorthin landesweit aufgrund seiner Neigung, sich zu Menschen beiderlei Geschlechts hingezogen zu fühlen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung drohte bzw. drohen würde.

Der Kläger hat glaubhaft geltend gemacht, seine sexuelle Orientierung beziehe sich auf Männer und Frauen. Er hat des Weiteren erklärt, er sei Vater eines in Deutschland gezeugten Sohnes und unterhalte hier in Deutschland seit zwei Jahren eine Beziehung zu einem Mann.

Die sexuelle Identität stellt einen konstitutiven Bestandteil der Persönlichkeit eines jeden Menschen dar. Wird ein Mensch gezwungen, diesen wesentlichen Bestandteil seiner Persönlichkeit zu negieren, ist er in seiner durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Menschenwürde in erheblichem Umfang beeinträchtigt (EuGH, Urteil vom 07.11.2013 -C -199112-; VG Düsseldorf, Urteil vom 13.12.2013 -13 K 3683113.A-; zitiert nach juris).

Im Hinblick auf die gleichgeschlechtliche Orientierung des Klägers ist zu berücksichtigen, dass homosexuelle Handlungen in Algerien nach Art. 338 des code penal strafbar sind. Daneben sieht Art. 333 eine qualifizierte Strafbarkeit für Erregung öffentlichen Ärgernisses mit Bezügen zur Homosexualität vor. Art. 333, der grundsätzlich jede Erregung öffentlichen Ärgernisses unter Strafe stellt, gilt auch für heterosexuelle Paare (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Regensburg vom 20.05.2008; Auskunft des Dt. Orient Instituts an VG Regensburg vom 26.06.2008; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevate Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 31.01.2013 (Stand: November 2012)).

Nach der Rechtsprechung des EuGH in der zitierten Entscheidung vom 07.11.2013 ist Art. 10 Abs. 1 d der RL 2011/95/EG dahin auszulegen, dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind. Allerdings kann das bloße Bestehen von Rechtsvorschriften, nach denen homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, nicht als Maßnahme betrachtet werden, die den Betroffenen in so erheblicher Weise beeinträchtigt, dass der Grad an Schwere erreicht ist, der erforderlich ist, um diese Strafbarkeit als Verfolgung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie ansehen zu können. Dagegen ist eine Freiheitsstrafe, mit der homosexuelle Handlungen bedroht sind und die im Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird, als unverhältnismäßige oder diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar.

Bei einer Verurteilung nach Art. 338 code penal bei homosexuellem Akt ist mit einer Gefängnisstrafe in Höhe von zwei Monaten bis zwei Jahren sowie einer Geldstrafe zwischen 500 und 2.000 Dinar zu rechnen. Wenn einer der Beteiligten jünger als 18 Jahre alt ist, kann die Strafe des Älteren auf bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe und 10.000 Dinar angehoben werden. Bei einer Verurteilung nach Art. 333 (bei Erregung öffentlichen Ärgernisses) ist mit einer Gefängnisstrafe in Höhe von sechs Monaten bis drei Jahren sowie einer Geldstrafe zwischen 1.000 und 10.000 Dinar zu rechnen. Soweit die Beweislage eine Verurteilung zulässt, werden diese Strafen regelmäßig ausgesprochen. Die Gesamtzahl anhängiger Strafsachen lässt sich aufgrund der ungenauen algerischen Statistik nicht genau verifizieren. Es existiert allerdings keine nationale Statistik, sondern allenfalls eine Registrierung anhängiger Rechtssachen auf Ebene der erstinstanzlichen Gerichte. Strafsachen nach Art. 333, 338 machen nach Schätzungen algerischer Rechtsanwälte nur einen verschwindend geringen Bruchteil der anhängigen Verfahren aus (Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Regensburg vom 20.05.2008; Auskunft des Deutschen Orient Instituts an VG Regensburg vom 26.06.2008).

Den vorliegenden zitierten Auskünften (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an VG Regensburg vom 20.05.2008; Auskunft des Dt. Orient Instituts an VG Regensburg vom 26.06.2008; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevate Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 31.01.2013 (Stand: November 2012)) zufolge setzt das Verbot der Homosexualität und insbesondere das Verbot des "Auslebens" der Homosexualität Homosexuelle einem gewissen Verfolgungs- und Geheimhaltungsdruck aus. Dennoch existieren Berichte über eine homosexuelle Subkultur in Algerien. Eine Eingrenzung auf bestimmte Regionen oder Stadtteile scheint allerdings nicht möglich zu sein. Die Subkultur ist überwiegend in Großstädten vorhanden. Dort gibt es sehr "diskrete" Orte für Homosexuelle. Eine gewisse Toleranz scheint gegenüber erwachsenen Homosexuellen in den Städten wahrnehmbar zu sein. Wenn die Homosexualität durch die Betroffenen erfolgreich verheimlicht werden kann, ist kein Problem mit staatlichen Stellen oder in anderer Form zu erwarten.

Zur Überzeugung des Gerichts lässt sich aber wegen der Besonderheit des vorliegenden Falles, die darin zu sehen ist, dass der Kläger sich nicht ausschließlich zu Männern, sondern auch zu Frauen hingezogen fühlt, nicht feststellen, dass die in Algerien für homosexuelle Betätigung geltenden Strafbestimmungen für ihn asylrechtlich unzumutbar sind. Der Kläger wäre nämlich aufgrund seiner Veranlagung in der Lage, auch mit einer Frau in Algerien eine Partnerschaft zu führen und seine Sexualität auszuleben. Diese Annahme wird dadurch gestützt, dass der Kläger in Deutschland bereits Vater eines Kindes geworden ist. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von den vom EuGH (Urteil vom 07.11.2013 - C-199/12-; juris) entschiedenen Fällen, in denen es um die homosexuelle Orientierung der Betroffenen ging. Bei Homosexualität wäre die Person im Unterschied zum Kläger des vorliegenden Falles aber gezwungen, ihre sexuelle Orientierung gänzlich zu verleugnen oder aber im Verborgenen auszuleben, um in Algerien der Gefahr einer Bestrafung zu entgehen.

Dem Kläger, der seinen Angaben zufolge seine Beziehung zu Männern in Algerien nicht öffentlich gelebt hat, stand auch vor seiner Ausreise eine Verfolgung nicht unmittelbar bevor, denn er hatte wegen seiner Orientierung keine Probleme mit staatlichen Stellen oder islamistischen Gruppierungen gehabt. Lediglich seine Familie und Nachbarn im Heimatort hätten bemerkt, dass er eine Beziehung zu einem Mann unterhalten habe. Insoweit wäre es ihm zuzumuten, sich an einem anderen Ort als seinem Heimatort niederzulassen, zumal er ohnehin keinen Kontakt mehr zu seiner Familie in Algerien unterhält.

Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG. Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass ihm in Algerien ein ernsthafter Schaden i. S. v. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 - 3 AsylVfG, mithin die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (Nr. 1), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (Nr. 2) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (Nr. 3) drohen könnte, sind - wie bereits zuvor dargelegt - nicht ersichtlich.

Weiterhin bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass nationale Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG einschlägig sein könnten (vergleiche zur allgemeinen Lage: Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien vom 31.01.2013 (Stand: November 2012)). [...]