OVG Sachsen

Merkliste
Zitieren als:
OVG Sachsen, Beschluss vom 30.04.2014 - 3 B 17/14 - asyl.net: M21961
https://www.asyl.net/rsdb/M21961
Leitsatz:

1. Ob unter § 5 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 AufenthG auch der Regelerteilungsanspruch gemäß § 28 Abs. 1 S. 3 AufenthG fällt, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang noch nicht geklärt.

2. Einer Thailänderin und ihrem Ehemann ist es zumutbar, dass die Thailänderin nach Thailand zurückkehrt und dort das Visumverfahren durchläuft, wenn sie sich in der näheren Vergangenheit bereits dort zur Erlangung deutscher Sprachkenntnisse und auch der auf sie nicht dringend angewiesene Ehemann sich bereits zuvor in Thailand längere Zeit aufgehalten hat.

Schlagwörter: Sicherung des Lebensunterhalts, eheliche Lebensgemeinschaft, Visumsverfahren, Nachholung des Visumsverfahrens, Deutschkenntnisse, deutscher Ehegatte,
Normen: AufenthG § 28 Abs. 1 S. 3, AufenthG § 5 Abs. 2 S. 2 2. Alt.,
Auszüge:

[...]

Ob von diesen Erfordernissen im Wege des § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG abgesehen werden kann, ist derzeit offen. Denn weder ist im Rahmen der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 123 VwGO erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ersichtlich, dass die Antragstellerin die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt, noch lassen es die besonderen Umstände des Einzelfalls erkennen, dass es der Antragstellerin unzumutbar wäre, das Visumverfahren nachzuholen.

Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AufenthG kann von der Nachholung des Visumverfahrens zum einen abgesehen werden, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfüllt sind. Ob die Voraussetzungen eines solchen strikten Anspruchs hier vorliegen, ist aber offen. Denn die Antragstellerin hat - wie vorgezeigt - wegen der fehlenden Sicherung ihres Lebensunterhalts allenfalls einen Regelerteilungsanspruch gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 AufenthG. Ob unter § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AufenthG auch ein solcher Regelanspruch fällt, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang noch nicht geklärt (zuletzt offengelassen von BVerwG, Beschl. v. 16. Februar 2012 - 1 B 22.11 -, juris Rn. 4 m. w. N.). Für die Klärung einer solchen Frage ist das vorliegende Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht geeignet, so dass ihre Klärung dem Verfahren in der Hauptsache vorbehalten bleiben muss. Damit ist die Rechtslage im Hinblick auf die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AufenthG hier als offen zu bezeichnen. In diesem Fall hat das Gericht eine Interessenabwägung unter den öffentlichen sowie privaten Belangen vorzunehmen. Das Gleiche gilt, wenn zu Gunsten der Antragstellerin angenommen würde, ihr stehe nach §§ 27, 28 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hier ein gesetzlicher Anspruch i. S. d. § 5 Abs. 2 Satz 2 1. Alt. AufenthG zu; in das dann auszuübende Ermessen ("hiervon kann abgesehen werden") sind alle Erwägungen einzustellen, die für und gegen die Nachholung des Visumverfahrens sprechen (zur Ermessensausübung Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Loseblattsammlung Stand: März 2014, § 5 Rn. 141 m. w. N.). Auch in einem solchen Fall hat das erkennende Gericht, solange keine Ermessensreduzierung auf Null erkennbar ist, eine entsprechende Interessenabwägung vorzunehmen (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2013, § 123 Rn. 12).

Diese Interessensabwägung ergibt vorliegend aber, dass das private Interesse der Antragstellerin an einem weiteren Verbleib im Bundesgebiet hier hinter dem öffentlichen Interesse zurückstehen muss, das Visumverfahren gemäß § 6 Abs. 3 AufenthG einzuhalten. Das Verwaltungsgericht hat hierzu zutreffend darauf hingewiesen, dass es der Antragstellerin zumutbar ist, sich zur dessen Durchführung vorübergehend erneut in ihrem Heimatland aufzuhalten, nachdem sie dort zum Erwerb ihres Sprachzertifikats letztmalig nachweisbar von Januar bis März 2013 gelebt hatte. Ihr deutscher Ehemann ist auf die Antragstellerin nicht dringend angewiesen und es ist ihm durchaus zuzumuten, zur Vermeidung einer zeitweisen Trennung mit ihr gemeinsam nach Thailand zurückzukehren, wo er augenscheinlich bereits längere Zeit zusammen mit der Antragstellerin vorher gelebt hatte. Auch die Tatsache, dass die Antragstellerin in S. augenscheinlich ein Anwesen erworben hat, ändert hieran nichts. Denn abgesehen davon, dass nichts dafür spricht, dass das Anwesen nicht zeitweise unbewohnt bleiben kann, hat sich die Antragstellerin mit dem Erwerb des Anwesens vor Erteilung eines dauerhaften Bleiberechts selbst dem Risiko ausgesetzt, nicht kontinuierlich für das Anwesen sorgen zu können. Im Übrigen ist das Anwesen im Frühjahr 2013 bereits für mehrere Monate von der Antragstellerin verlassen worden. Weitere, von der Antragstellerin bislang nicht geltend gemachte Umstände, die die Nachholung des Visumverfahrens bereiten - etwa die Flugkosten - sind als allgemein bekannte Unannehmlichkeit einer Aus- und Wiedereinreise vom Gesetzgeber als zumutbar vorausgesetzt worden (Funke-Kaiser a.a.O. Rn. 132 m.w.N.).

Auch die von der Antragstellerin angeführte und durch eine eidesstattliche Erklärung ihres Ehemannes glaubhaft gemachte Behandlung durch Bedienstete der deutschen Botschaft in Bangkok führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar dürfte die Behandlung der Antragstellerin und ihres Ehemanns während der dreimaligen Vorsprache bei der deutschen Botschaft im Jahr 2011 zu beanstanden sein, wenn sie - was in der Hauptsache noch aufzuklären ist - tatsächlich so stattgefunden haben sollte. Denn aufgrund der in der deutschen Botschaft bekannten Ehe zwischen der Antragstellerin und ihrem deutschen Ehemann hätte eine Beratung in dem Sinne stattfinden müssen, dass bei Nachweis ausreichender Sprachkenntnisse ein Visum gemäß §§ 27, 28 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 3 Satz 2 AufenthG hätte beantragt werden können. In diesem Fall hätte der Erwerb eines Anwesens die Ernsthaftigkeit des Entschlusses, eine eheliche Lebensgemeinschaft in Deutschland zu führen, sogar untermauern können. Allerdings wäre es der Antragstellerin selbst dann zumutbar, das Visumverfahren von ihrem Heimatland aus weiterzuverfolgen, wenn sich die Vorwürfe gegen die deutsche Botschaft bewahrheiten würden. Denn angesichts der mehrfach beschriebenen Lebenssituation der Antragstellerin wäre es ihr in diesem Fall zumutbar, gegen die Entscheidung der Auslandsvertretung (§ 71 Abs. 2 AufenthG) ohne Durchführung eines Vorverfahrens (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VwGO) Verpflichtungsklage beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht Berlin zu erheben und den Ausgang des Rechtsstreits im Heimatland abzuwarten.

Angesichts dessen kann damit zum anderen auch nicht festgestellt werden, dass es der Antragstellerin gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 2. Alt. AufenthG auf Grund der besonderen Umstände des Falls unzumutbar wäre, das Visumverfahren nachzuholen. Sind wie hier aber die Erfolgsaussichten offen, kann die dann anzustellende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der vorbezeichneten öffentlichen und privaten Interessen zu keinem anderen Ergebnis gelangen. Dasselbe folgt aus den vorbezeichneten Gründen auch für die vom Verwaltungsgericht geprüften Voraussetzungen eines Anspruchs nach § 25 Abs. 5, § 60a AufenthG. [...]