OVG Thüringen

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Zitieren als:
OVG Thüringen, Urteil vom 02.07.2013 - 3 KO 222/09 - asyl.net: M21918
https://www.asyl.net/rsdb/M21918
Leitsatz:

1. § 28 Abs. 2 AsylVfG ist mit Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2004/83/EG - Qualifikationsrichtlinie - vereinbar.

2. Ein im Ausland exilpolitisch tätiger Asylbewerber aus Vietnam muss im Falle seiner Rückkehr nur dann mit asylrelevanter Verfolgung rechnen, wenn seine oppositionellen Aktivitäten besonders hervorgetreten, ihre Wirkung nicht auf das Ausland begrenzt und sie seitens der vietnamesischen Behörden als Ausdruck ernstzunehmender, nicht bloß asyltaktischer Opposition gewertet werden.

3. Auch eine namentlich gekennzeichnete Beteiligung an regimekritischen Internetforen führt ohne das Hinzutreten weiterer Umstände nicht zur Annahme einer Verfolgungsgefahr.

(Amtliche Leitsätze)

Schlagwörter: Asylrecht, Nachfluchtgründe, subjektive Nachfluchtgründe, selbstgeschaffene Nachfluchtgründe, Vietnam, Internet, Asylfolgeantrag, Exilpolitik,
Normen: AsylVfG § 28, AsylVfG § 71, VwVfG § 51, AufenthG § 60,
Auszüge:

[...]

Dazu hat der Senat in seinem Urteil vom 6. März 2002 ausgeführt:

"Das Risiko, bei einer Rückkehr nach Vietnam wegen exilpolitischer Betätigungen bestraft zu werden, wird von den sachverständigen Stellen unterschiedlich beurteilt.

Das Auswärtige Amt geht davon aus, Rückkehrern könne im Einzelfall eine Bestrafung gemäß Art. 82 a. F. VStGB drohen. Dies hänge vom Inhalt der jeweiligen politischen Aktivitäten und von deren Öffentlichkeitsgrad ab. Die Auslandsaktivitäten der vietnamesischen Exilgruppen würden von der breiten vietnamesischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Kritik an der im Verwaltungsapparat verbreiteten Korruption werde mit hoher Wahrscheinlichkeit von vornherein nicht zur Verfolgung führen. Im Bekanntenkreis geäußerte Ansichten, selbst wenn sie vietnamesischen Behörden bekannt würden, seien als harmlos einzustufen. Hingegen könnten aktive Gegner des "Sozialismus" und des Alleinherrschaftsanspruchs der Kommunistischen Partei inhaftiert und bestraft werden. Bisher sind dem Auswärtigen Amt jedoch keine Fälle bekannt geworden, dass Rückkehrer auf Grund der Mitgliedschaft in einem im Ausland gegründeten Verein oder der Teilnahme an Demonstrationen gegen den Kommunismus in Vietnam bestraft worden sind (vgl. Lagebericht vom 26. Februar 1999 und Auskunft an das Verwaltungsgericht Meiningen vom 26. November 1996). Auch sei in Vietnam kein Strafverfahren auf Grund des Art. 82 VStGB (a. F.) eröffnet worden. Ebenso sei nicht bekannt, dass gegen Personen, die im Ausland gegen diese Bestimmung verstoßen hätten, ein Verfahren eröffnet worden sei (vgl. Auskunft an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 22. Januar 1996).

Zusammenfassend schätzt das Auswärtige Amt ein, dass weder die Teilnahme an Veranstaltungen in Deutschland, noch die Mitgliedschaft in im Ausland existierenden, gegen die vietnamesische Regierung gerichteten Vereinen, noch die Mitarbeit bei Zeitungen mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer staatlichen Verfolgung in Vietnam führe. Sofern ein vietnamesischer Staatsangehöriger auf Grund seiner Tätigkeit im Ausland Bekanntheit in Vietnam erlangt haben sollte, sei nach Ansicht des Auswärtigen Amtes eher davon auszugehen, dass ihm die Einreise verweigert werde, als dass er (nach der Einreise) verhaftet werde (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000; Auskunft an das Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr. vom 20. Februar 1996).

Nach Auffassung von Prof. Dr. Lulei (früher Südostasien-Institut im Fachbereich Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität Berlin) kann eine Bestrafung wegen exilpolitischer Betätigungen nicht ausgeschlossen werden. Seiner Ansicht nach hänge deren Wahrscheinlichkeit und das Strafmaß jedoch entscheidend davon ab, wie die zuständigen Stellen in Vietnam die Wirksamkeit der Aktivitäten in Vietnam selbst einschätzten und wie sie die Aktivitäten des Betreffenden beurteilten. Bei den meisten im Ausland gegründeten Organisationen müsse man davon ausgehen, dass sie nur begrenzte Möglichkeiten hätten, in Vietnam selbst wirksam zu werden. Die vietnamesische Bevölkerung sei vor allem an der Verbesserung ihrer sozialen und ökonomischen Situation interessiert; sie tendiere mehr zur Fortsetzung schrittweiser Reformen als zu prinzipiellen politischen Veränderungen. Insgesamt stellten deshalb die oppositionellen Parteien und Organisationen von Vietnamesen im Ausland zumindest derzeit keine ernsthafte Gefahr für die Regierung Vietnams und für die Herrschaft der Kommunistischen Partei Vietnams dar, wie Dr. Will für die politischen Verhältnisse im Zeitpunkt der gutachterlichen Stellungnahme Oktober 1996/Januar 1997 ausgeführt hat. Trotzdem sei festzustellen, dass die Exilorganisationen durchaus die Bemühungen von Regierung und Partei um Festigung ihrer innenpolitischen Position und ihr Ansehen im Ausland stören könnten. Deshalb sei eine strafrechtliche Verfolgung auch in Zukunft nicht auszuschließen. Insgesamt sei jedoch die Politik Vietnams mehr darauf gerichtet, auch die Auslandsvietnamesen für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Die Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung werde deshalb weniger von den Tätigkeiten in der Vergangenheit, als von den politischen Aktivitäten in der Gegenwart bestimmt. Die Teilnahme an Veranstaltungen und Demonstrationen im Ausland gegen die Politik Vietnams, das Verfassen regimekritischer Artikel usw. werde vor allem bei Personen, die in Vietnam vor ihrer Ausreise nicht in dieser Richtung aktiv gewesen seien, als Versuch gewertet, im Gastgeberland als Asylbewerber Anerkennung zu finden. In der Mehrzahl der Fälle werde es deshalb zu keiner Bestrafung kommen (vgl. Gutachten für den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 31. Oktober 1996 und für das Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr. vom 2. Januar 1997).

Diese Auffassung hat Prof. Dr. Lulei ebenso in der Folgezeit vertreten und prognostisch eine mögliche Bestrafung noch weniger für wahrscheinlich gehalten. Die vietnamesischen Behörden wendeten die angekündigte "Großzügigkeit und Milde" offensichtlich in weitem Maße an. Die Reformpolitik wirke über die Wirtschaft hinaus. Rückkehrer aus dem Ausland würden in der Regel großzügig behandelt, schon, um die Öffnungspolitik nicht zu gefährden und Auslandsvietnamesen zu Investitionen zu ermuntern. Die Teilnahme an regimekritischen Demonstrationen und Versammlungen werde kaum zur Strafverfolgung führen. Derartige Angelegenheiten würden die vietnamesischen Staatsorgane nicht so wichtig nehmen (vgl. Gutachten für das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes vom 24. Februar 1998).

Nach Auffassung von amnesty international sei es sehr schwer einzuschätzen, ob und welche Sanktionen Rückkehrern, die das Regime öffentlich kritisiert hätten, im Einzelfall drohten. Bei besonders massiver Kritik an der vietnamesischen Regierung, die zudem durch die gewählten Medien eine besonders breite öffentliche Wirkung erreicht, werde mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Strafverfolgung und Bestrafung im Falle einer Rückkehr auszugehen sein (vgl. Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Münster vom 1. Juli 1998 und an das Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr. vom 7. Januar 1997). Wer kritische Artikel zu Fragen der Wohnungsverteilung, der Verteilung von sonstigen Hilfen, vor allem aber zum Zustand des sozialistischen Systems verfasse oder sich für die Religionsfreiheit, für mehr Freiheit und Demokratie und für die Einhaltung der Menschenrechte einsetze, müsse mit langjährigen Haftstrafen rechnen (vgl. Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr. vom 17. Oktober 1995).

Der Gutachter Dr. Will (früher Wissenschaftlicher Rat am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln) weist darauf hin, die Kommunistische Partei Vietnams bestehe trotz der außenwirtschaftlichen Öffnung und wirtschaftlicher Reformen auf ihrem uneingeschränkten Herrschaftsmonopol. Die vietnamesische Partei- und Staatsführung messe nicht zuletzt der ideologischen Arbeit unter den im Ausland lebenden vietnamesischen Staatsbürgern einen sehr hohen Stellenwert bei. So seien noch Ende 1996 in der Zeitung der vietnamesischen Armee die regimekritischen Aktivitäten der im Ausland lebenden Vietnamesen erneut scharf verurteilt und alle vietnamesischen Staatsbürger eindringlich davor gewarnt worden, sich an derartigen Aktivitäten zu beteiligen (vgl. Gutachten für das Verwaltungsgericht Meiningen vom 25. November 1996). Erkenntnisse über die exilpolitischen Aktivitäten von Auslandsvietnamesen würden nicht zuletzt mit dem Ziel gesammelt, um gegen die betreffenden Staatsbürger bei ihrer Rückkehr nach Vietnam strafrechtlich vorgehen und um in dem familiären Umfeld des Betreffenden in Vietnam entsprechende Nachforschungen anstellen zu können.

Seit dem Sommer 1995 sei eine sehr rigide Anwendung des Strafrechts durch vietnamesische Gerichte zu beobachten, sobald der Anspruch der Kommunistischen Partei auf das alleinige Herrschafts- und Machtmonopol berührt werde (vgl. Gutachten für das Verwaltungsgericht Frankfurt/Oder vom 7. Juni 1996). Auf dem ZK-Plenum im Frühjahr 1995 sei noch einmal mit großem Nachdruck darauf hingewiesen worden, dass die ideologische Arbeit gerade unter den im Ausland lebenden Vietnamesen von besonderer Wichtigkeit sei und jegliche oppositionellen Aktivitäten mit aller Entschlossenheit bekämpft werden müssten. Für vietnamesische Staatsbürger, die in Deutschland an regimekritischen Aktivitäten teilgenommen oder solche gar organisiert hätten, bestehe ein hohes Bestrafungsrisiko (vgl. Gutachten für das Verwaltungsgericht Ansbach vom 15. Februar 1996). Für die Vermutung, die strafrechtlichen Vorschriften würden auf Rückkehrer, die sich in der Bundesrepublik Deutschland in herausgehobener Weise regimekritisch engagiert hätten, keine Anwendung finden, lägen ihm schon deshalb keine konkreten Anhaltspunkte vor, weil ihm eine Rückkehr derartiger Vietnamesen nicht bekannt sei (vgl. Gutachten an das Verwaltungsgericht Berlin vom 17. November 1999). Nachdem sich etwa seit Anfang 1998 die Kräfte, die die uneingeschränkte Durchsetzung des Führungsmonopols der Kommunistischen Partei forderten, gegenüber den Befürwortern der Reformpolitik zunehmend stärker durchgesetzt hätten, sei eine Verschärfung des politischen Klimas eingetreten, infolge derer das Bestrafungsrisiko bei regimekritischen Äußerungen noch sehr viel höher als in den davor liegenden Jahren angesetzt werden müsse. Dies gelte umso mehr, als sich die Position der Reformer durch einen drastischen Rückgang der ausländischen Investitionen und durch ein Abflachen der wirtschaftlichen Zuwachsraten erheblich verschlechtert habe. Auf Grund dieser Umstände führe die Teilnahme an regimekritischen Veranstaltungen in Deutschland bei einer Rückkehr zu einer Bestrafung nach Art. 82 VStGB a. F. Die aktive Mitgliedschaft in einer regimekritischen Organisation werde sich dabei strafverschärfend auswirken (vgl. Gutachten für das Verwaltungsgericht Aachen vom 2. April 1998, ebenso Gutachten für das Verwaltungsgericht München vom 14. September 2000).

Auf der Grundlage des am 21. September 1995 in Kraft getretenen "Deutsch-Vietnamesischen Rückübernahmeabkommens" vom 21. Juli 1995 (BGBl. II S. 743 ff.), genauer: seit dem 15. Mai 1996, sind andererseits annähernd 7.200 Personen nach Vietnam zurückkehrt (zum Wortlaut des Abkommens vgl. Anlage zum Notenwechsel des vietnamesischen Vizeaußenministers Nguyen Dy Nien mit dem damaligen Bundesminister des Innern, Dr. Kanther vom 21. Juli 1995; zu den Zahlenangaben vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000, S. 8), ohne dass ein Fall bekannt geworden wäre, in dem Staatsschutzstrafrecht Anwendung gefunden hätte. Angesichts dieser Zahlen ist der Hinweis von Dr. Will, Referenzfälle könnten nur deshalb nicht angeführt werden, weil seines Wissens bisher kein in Deutschland exilpolitisch aktiver Vietnamese in sein Heimatland zurückgekehrt sei (vgl. Gutachten vom 17. November 1999 an das Verwaltungsgericht Berlin, zu Ziff. 4.), nicht nachvollziehbar. Das Abkommen von 1995 jedenfalls nimmt (erfolglos gebliebene) Asylbewerber nicht von der Rückübernahme aus.

Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) geht - allerdings ohne nähere Einzelheiten zur Begründung darzulegen - ebenfalls davon aus, dass vietnamesische Asylbewerber, die exilpolitisch tätig gewesen sind oder eine nicht von der vietnamesischen Regierung unterstützte Zeitung herausgeben, für diese geworben oder diese nur gelesen haben, bei ihrer Rückkehr dafür belangt werden könnten, und weist in diesem Zusammenhang auf einen Artikel der Quartalszeitschrift "An Ninh Thu Do" (Sicherheit der Hauptstadt) in der Ausgabe Nr. 4/1995 hin, der sich sehr ausführlich mit dem Art. 82 VStGB a. F. und dessen Strafmaß auseinander setze (vgl. IGFM, Rückführungen von Vietnamesen aus Deutschland - Praxis und Erfahrungen, Januar 1997, Seite 23).

Diese zum Teil erheblich voneinander abweichenden Einschätzungen eines Bestrafungsrisikos wegen exilpolitischer Betätigung sind - bei bisher fehlenden Referenzfällen von bestraften Rückkehrern - unter Verwertung von Erkenntnissen über die Bestrafungspraxis gegen Oppositionelle und die weitere innenpolitische Entwicklung in der jüngsten Vergangenheit zu würdigen und für die Gefährdungsprognose im Sinne einer Gesamtbeurteilung mit in den Blick zu nehmen.

Im einzelnen:

Das am 1. Juli 2000 in Kraft getretene VStGB enthält weiterhin eine Reihe von - im Wortlaut unverändert gebliebenen - Staatsschutzvorschriften. Im Hinblick auf die Durchsetzung des Alleinherrschaftsanspruchs der KP Vietnams rechnet daher das Auswärtige Amt damit, dass exponierte, in Vietnam aktive Gegner der Kommunistischen Partei inhaftiert und nach den verschiedensten Bestimmungen des vietnamesischen Strafgesetzbuches zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. Von dieser Möglichkeit machten die Behörden nach wie vor auch Gebrauch (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000). So wurden in den Jahren 1995 und 1996 gegen verschiedene Oppositionelle, die Kritik an der vietnamesischen Regierung geübt und sich für eine Veränderung des politischen Systems in Vietnam eingesetzt hatten, langjährige Freiheitsstrafen verhängt (vgl. amnesty international, Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Neustadt/Wstr. vom 7. Januar 1997).

Als Vietnam der politische und ökonomische Zusammenbruch drohte, beschloss der 6. Politik der Erneuerung (Doi Moi), die mit umfassenden Reformen verbunden war. Diese betrafen u. a. die politische und ökonomische Öffnung Vietnams und den Übergang von der sozialistischen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft (vgl. Prof. Dr. Lulei, Jahrbuch Dritte Welt 1997, S. 165 ff.; ferner amnesty international, Vietnam - Erneuerung [Doi Moi], Rechtsordnung und Menschenrechte in den 80er Jahren, englischsprachige Dokumentation vom 21. Februar 1990 mit deutscher Übersetzung).

Im Zuge dieser Reformbestrebungen kam es zunächst zu einer politischen Liberalisierung, in deren Verlauf die Kommunistische Partei zu offener Meinungsäußerung und Kritik ermunterte. Nach dem politischen Umbruch in Mittel- und Osteuropa versuchte die kommunistische Regierung Vietnams, gegen sie gerichtete Kräfte zu kontrollieren und einzuschüchtern, um ihr Machtmonopol zu erhalten. So agierten die Behörden im Vorfeld des im Juni 1991 durchgeführten 7. Parteitages übervorsichtig und repressiv.

In der Folgezeit lockerte jedoch das Regime seine Haltung gegenüber Oppositionellen. So wurde im April 1992 das letzte, seit 1975 bestehende Umerziehungslager aufgelöst; über 100 ehemalige Funktionäre aus dem früheren Süd-Vietnam wurden freigelassen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 15. Januar 1997 (Stand: Dezember 1996); gleich lautend: Lagebericht vom 29. August 1997 (Stand: August 1997); amnesty international "Vietnam - Weiterhin Grund zur Besorgnis", Bericht vom Oktober 1993). Anfang 1993 wurde eine Reihe von politischen Gefangenen aus der Haft entlassen (vgl. amnesty international, "Vietnam - Weiterhin Grund zur Besorgnis, Bericht vom Oktober 1993).

Im April 1992 wurde eine neue vietnamesische Verfassung verabschiedet, in der erstmals eine Reihe von Grundrechten aufgeführt sind (z. B. Presse-, Meinungsund Religionsfreiheit, Unverletzlichkeit der Person), wenn auch die Verwirklichung dieser Rechte unter dem Vorbehalt einer gesetzlichen Regelung bzw. der Konformität mit bestehenden Gesetzen steht (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 16. Juni 1993 [Stand: 1. Juni 1993]). Dieser Kurs der Erneuerung hat auf dem Ende Januar 1994 abgehaltenen Zwischenparteitag seine Fortsetzung gefunden (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage vom 23. September 1994 [Stand: 1. September 1994]). Der 9. Parteitag der Kommunistischen Partei im April 2001, der den eher konservativen bisherigen Generalsekretär Le Kha Phieu durch den als gemäßigten Reformer geltenden Nong Duc Manh ersetzte, hat den eingeleiteten Reformkurs erneut bestätigt und den Reformflügel innerhalb der KPV gestärkt. Auch wenn die KPV an ihrem politischen Machtmonopol festhält und sich einer Reform des politischen Systems in Richtung pluralistischer Demokratie im westlichen Sinne bisher verweigert, so werden in einzelnen Bereichen des staatlichen Lebens, der öffentlichen Verwaltung und des Rechtswesens - bisher aber nur sehr langsame und zögerliche - Strukturanpassungen vorgenommen (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 9. Juli 2001).

Im Zuge der mit der wirtschaftlichen Umgestaltung einhergehenden zunehmenden Öffnung gegenüber den westlichen Staaten wurden die vietnamesischen Stellen verstärkt mit Menschenrechtsfragen konfrontiert. Dabei zeigten sie sich zu internationaler Zusammenarbeit bereit. Menschenrechtsorganisationen können die Achtung der Menschenrechte in Vietnam überprüfen. So reiste bereits im März 1993 erstmals eine Delegation von "Asia Watch" durch das Land. Mit amnesty international pflegt die vietnamesische Regierung institutionellen Kontakt. Im November 1993 besuchte der Menschenrechtskoordinator des Auswärtigen Amtes Vietnam. 1997 hielten sich die Mitglieder des Bundestages Neumann und Eppelmann in Vietnam auf, um sich über die Menschenrechtslage zu unterrichten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage vom 23. September 1994 [Stand: 1. September 1994] und Lagebericht vom 3. August 2000).

Auf Grund von zwei vom Staatspräsidenten verfügten Sonderamnestien kamen im Jahre 1998 insgesamt 7.849 Inhaftierte frei, unter denen sich etliche politische Häftlinge, insbesondere die führenden Oppositionellen Prof. Doan Viet Hoat und Nguyen Dan Que, befanden. Die Freilassungen sind nicht zuletzt auch dem anhaltenden Druck des Auslands gegenüber der vietnamesischen Regierung in der Menschenrechtsfrage zu verdanken (vgl. dazu Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000; amnesty international, Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Münster vom 27. August 1999; Dr. Will, Gutachten für das Verwaltungsgericht Münster vom 30. Oktober 1998).

Trotz des zunehmenden Übergangs zu einem marktwirtschaftlich orientierten System und der damit verbundenen verstärkten Ausrichtung an westlichen Staaten sowie des insgesamt festzustellenden inneren Wandels Vietnams bleibt die Kommunistische Partei die einzige politische Kraft, die bestimmend ist für Politik und Staat. Das politische Leben wird weiterhin von ihr dominiert, der Legislative und Rechtsprechung verpflichtet sind. Ein Mehrparteiensystem im westlichen Sinne und eine pluralistische Gesellschaft werden nicht angestrebt (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 3. August 2000; gleich lautend: Lageberichte vom 29. August 1997 [Stand: August 1997] und vom 15. Januar 1997 [Stand: Dezember 1996]). Allerdings ist in den letzten Jahren eine Tendenz zur stärkeren Trennung von Staat und Partei und einer klareren Abgrenzung der Verantwortlichkeiten der verschiedenen Staatsorgane erkennbar. Insbesondere hat die Nationalversammlung unter ihrem bisherigen Präsidenten und jetzigen Generalsekretär der KPV Nong Duc Manh eine deutliche Aufwertung erfahren (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 9. Juli 2001).

Stellt der Senat diese Tatsachen mit ein, lässt sich die Auskunftslage dahin gehend zusammenfassen, dass zwar eine einfache gegen das vietnamesische System gerichtete exilpolitische Betätigung durch Mitgliedschaft in Organisationen und die Beteiligung an Demonstrationen u. ä. nicht beachtlich wahrscheinlich eine Bestrafung zur Folge haben wird. Andererseits eine solche aber dann ernstlich in Betracht kommt, wenn vietnamesische Staatsangehörige mit ihren exilpolitischen Betätigungen besonders hervorgetreten sind und ihre Wirkung nicht auf das Ausland begrenzt geblieben ist."

Der Senat hält auch unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel an dieser Einschätzung fest.

Allgemein ist die Lage weiterhin als zwiespältig zu charakterisieren. Die Kommunistische Partei Vietnams hält nach wie vor an ihrem Machtmonopol fest. Gleichwohl befindet sich das Land immer noch in einem wirtschaftlichen Transformierungsprozess von einem zentral gesteuerten zu einem marktwirtschaftlich orientierten System (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 23. Juni 2013). Es werden Reformbestrebungen zur Entfaltung und Sicherung des privaten Wirtschaftssektors unternommen, die auf dem Bankensektor allerdings aufgrund der Einwirkungen der internationalen Finanzkrise ins Stocken geraten sind (Konrad-Adenauer-Stiftung, Länderbericht Vietnam Oktober 2012). Im Zuge der Umgestaltung wird auch an der Veränderung des sozialistisch geprägten Rechtssystems gearbeitet; so wurde unter anderem zu diesem Zweck 2009 d der "deutsch-vietnamesische Rechtsdialog" ins Leben gerufen, der den Rahmen für die Abarbeitung eines Programmes zur deutschen Hilfestellung bei der Rechtsentwicklung darstellt (Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 23. Juni 2013).

Auch bezogen auf die Situation zurückkehrender Asylbewerber ist eine gravierende Veränderung der Lage nicht festzustellen. Zwar ist seit Frühjahr 2007 ein verschärftes Vorgehen gegen die Demokratiebewegung zu beobachten (Lagebericht vom 23. Juni 2013), das zur Verhaftung zahlreicher Oppositioneller geführt hat, damit ist aber keine gesteigerte Gefahr der Verfolgung zurückkehrender Asylbewerber, die nicht exilpolitisch besonders hervorgetreten sind, verbunden. Das bilaterale Rückführungsabkommen von 1995 wird weiterhin umgesetzt, bis 2011 wurden ca. 15.000 Personen aus Deutschland nach Vietnam zurückgeführt, dabei ist eine Drangsalierung von Rückkehrern weiterhin nicht bekannt geworden.

Der Senat sieht auch weiterhin kein gesteigertes Risiko von Verfolgungsmaßnahmen, die von im Ausland lebenden Asylbewerbern durch publizistische Aktivitäten im Rahmen der Nutzung exilpolitisch orientierter Internetplattformen bewirkt werden können. Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 23. Juni 2013, S. 13, wird unverändert dargelegt, dass die Auslandsaktivitäten vietnamesischer Exilgruppen von der breiten Öffentlichkeit in Vietnam kaum wahrgenommen werden. Zwar ist unverkennbar, dass der vietnamesische Staat das Internet als ein Medium wahrnimmt, das von Oppositionellen zur Verbreitung missliebiger Propaganda genutzt wird. Es ist auch davon auszugehen, dass regimekritische Veröffentlichungen im Internet nicht deshalb irrelevant sind, weil dem vietnamesischen Staat technische Mittel zur Blockade von Internetplattformen und -foren zu Gebote stehen. Aus den vorliegenden Quellen ist jedoch nach wie vor nicht erkennbar, dass Rückkehrer allein wegen ihrer im Ausland entfalteten, über das Internet veröffentlichten oppositionellen Aktivitäten Repressalien ausgesetzt gewesen sind. Dies lässt sich auch den jüngsten Berichten über eine Ende September 2012 bekanntgewordene Bestrafung von Regimekritikern, die sich auch des Internets zur Verbreitung ihrer oppositionellen Auffassung bedienten (amnesty international, "urgent action" vom 3. Oktober 2012; NZZ vom 26. September 2012, FAZ vom 25. September 2012) nicht entnehmen. Auch nach Darstellung des Lageberichtes vom 23. Juni 2013 (S. 19) kann Rückkehrern im Einzelfall eine Bestrafung wegen Propaganda gegen die sozialistische Gesellschaftsordnung nach dem Strafgesetzbuch drohen, dies ist jedoch abhängig vom Charakter der jeweiligen politischen Betätigung. Fälle, die den Rückschluss darauf zulassen, dass in ihr Heimatland zurückkehrende vietnamesische Staatsangehörige allein aufgrund ihres im Internet veröffentlichten exilpolitischen Engagements verfolgt werden, sind nicht bekannt. Allen geschilderten Fällen der Verfolgung von Oppositionellen, die auch im Internet aktiv sind, ist gemein, dass sie bereits über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügt haben, der durch vorangegangene oppositionelle Betätigung im Inland erworben wurde. Auch wenn Ländergrenzen und geografische Entfernungen für die Verfügbarkeit der im Internet bereitgestellten Informationen eine weit geringere Rolle spielen, als dies bei der Verbreitung von Informationen über Fernsehen, Zeitungen und Flugblätter der Fall ist, kommt es nach aktueller Erkenntnislage für die Frage der Verfolgung oppositionellen Engagements in Vietnam darauf an, ob der Regimegegner auch im Inland oppositionell tätig und auch wahrgenommen wurde. Es ist auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Internet in immer stärkerem Maße von der Bevölkerung genutzt wird und dass die Beobachtung des Internets durch die vietnamesischen Behörden zweifellos in den letzten Jahren technisch perfektioniert wurde, nicht davon auszugehen, dass allein die Verbreitung oppositionellen Gedankenguts im Internet von den vietnamesischen Behörden als eine Bedrohung angesehen wird, die für den im Ausland weilenden Urheber im Falle seiner Rückkehr Verfolgung nach sich ziehen wird.

Auch unter Berücksichtigung der vom Kläger vorgelegten Presseveröffentlichungen und Berichten über die Verfolgung Oppositioneller in Vietnam gilt nichts anderes. Die Veröffentlichungen bestätigen die fehlende Toleranz und die Bereitschaft des vietnamesischen Regimes, mit Mitteln des Strafrechts und der Einschüchterung gegen Oppositionelle vorzugehen; allen diesen Fällen ist jedoch gemein, dass die Betroffenen neben Auftritten im Internet auch in lokalen oppositionellen Organisationen und Netzwerken im Inland aktiv waren. Nichts anderes folgt auch aus dem vom Kläger mit Schriftsatz vom 15. Dezember vorgelegten Artikel der Zeitschrift "An ninh the gioi" über die Verhaftung eines aus den USA eingereisten, im Internet publizierenden Regimekritikers. Ihm wurden - aufgrund einer konkreten Strafanzeige - konkrete Pläne zur Durchführung eines örtlich und zeitlich genau bestimmten Terroranschlages auf das südkoreanische Generalkonsulat unterstellt, und nicht lediglich regimekritische Agitation vorgeworfen.

In Anwendung dieser Grundsätze ist für den Kläger auch unter Berücksichtigung seiner kontinuierlich fortgesetzten exilpolitischen Aktivitäten nicht davon auszugehen, dass er nach seiner Rückkehr nach Vietnam ernsthaft befürchten muss, wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten verfolgt oder an Leib und Leben, bzw. in seiner Freiheit beeinträchtigt zu werden.

Eine auf seinen hier entfalteten oppositionellen Aktivitäten beruhende Verfolgungsgefahr ist auch nicht den vom Kläger im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Briefen vom 16. Juni 2005 und vom 22. Dezember 2005 zu entnehmen, in denen der Vater des Klägers schildert, wegen der regimekritischen Aktivitäten des Klägers von den vietnamesischen Sicherheitsbehörden aufgesucht, bzw. vorgeladen zu sein. Der Senat hält diese Briefe für Gefälligkeitserklärungen. Dafür spricht der Umstand, dass die Briefe zwar bestimmte Veranstaltungen und Aktivitäten benennen, die dem Vater angeblich von den Sicherheitsbehörden vorgehalten worden sind, aber keinerlei persönliche Erlebnisse oder familiäre Ereignisse wiedergegeben werden, wie sie in Briefen über Kontinente getrennter Familienangehöriger zu erwarten wären. Es ist zudem nicht nachvollziehbar, warum die darüber hinaus im Brief vom 16. Juni 2005 pauschal behaupteten, nach der Ausreise des Klägers einsetzenden Nachstellungen bis dahin keinen Eingang in den Vortrag des Klägers gefunden haben. Insgesamt erwecken die Briefe vielmehr den Eindruck von Bestätigungen, die gezielt den Vortrag des Klägers stützen sollen. Auch auf die Nachfragen des Senats in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger diesen Eindruck nicht entkräften können. Gegen die Glaubhaftigkeit des auf die Briefe gestützten Vortrages spricht zudem, dass der Kläger bereits im Erstverfahren gefälschte, von seinem Vater übersandte Dokumente vorgelegt hat.

Unter Würdigung der vorliegenden Erkenntnismittel hat der Kläger nicht mit einer Bestrafung oder sonstiger Verfolgung wegen seiner gegen das vietnamesische Regime gerichteten Auslandsaktivitäten zu rechnen. Die Wirkungen seiner exilpolitischen Tätigkeiten sind nach Einschätzung des Senats beschränkt geblieben. Der Kläger hat nicht dargetan, dass seine Tätigkeiten in Deutschland irgendeine spürbare Wirkung auf die politische Stimmung und Meinungsbildung in Vietnam gehabt haben könnten. Das Gesamtverhalten des Klägers bietet keine Anhaltspunkte, die die Annahme rechtfertigen könnten, dass die vietnamesischen Behörden seine oppositionellen Auslandsaktivitäten anders als asyltaktisch, insbesondere zur Verschaffung eines Bleiberechts in Deutschland, einordnen könnten. Der Kläger war zwar in vielfältiger Weise exilpolitisch tätig, insbesondere durch die Teilnahme an Veranstaltungen und Demonstrationen mit Redebeiträgen, die Mitgliedschaft und Ausübung von Funktionen in verschiedenen exilpolitischen Organisationen sowie durch die Veröffentlichung von Zeitschriften- und Internetartikeln. Mit diesen Aktivitäten aus dem üblichen Spektrum exilpolitischer Betätigung ist er jedoch nicht in einer solch exponierten Weise in Erscheinung getreten, dass er sich dadurch aus dem großen Kreis der in vergleichbarer Weise exilpolitisch tätigen Vietnamesen hervorgehoben und auch in Vietnam ein gewisses Maß an Bekanntheit erlangt haben könnte.

So ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger mit seiner Mitgliedschaft in der Exilorganisation RFVN und der Wahrnehmung seiner Funktion als "Beauftragter für Propaganda und Agitation der Regierungsvertretung/Komitee für Volksangelegenheiten des Bezirks Suhl/Hildburghausen" Aktivitäten ausgeübt hat, die über das regionale exilpolitische Spektrum hinaus bekannt geworden ist und deshalb aus Sicht der vietnamesischen Behörden als ernstzunehmende Gefahr angesehen werden könnte. Dies gilt auch für seine Funktion als Herausgeber der Internetseite www.vietnamtudonet.de. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte für eine Reaktion seitens Vietnams auf diese Aktivitäten des Klägers, die - wie etwa die namentliche Kritik exilpolitischen Verhaltens in Zeitschriften der Sicherheitsorgane, z. B. der "CON AN NAN DAN" (vgl. hierzu Urteil des Senats vom 6. März 2002 - 3 KO 428/99 -, juris), - den Schluss rechtfertigen könnte, dass das Wirken des Klägers aus Sicht vietnamesischer Behörden als ernstzunehmende, nicht bloß asyltaktische motivierte Opposition gewertet wird.

Entsprechendes gilt für die Teilnahme an exilpolitischen Veranstaltungen, Versammlungen und Flugblattaktionen. Zwar wurde in der regionalen Presse, wie dem Meininger Tageblatt, über einige dieser Veranstaltungen berichtet. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass diese Veranstaltungen auch in Vietnam von einem nennenswerten Personenkreis zur Kenntnis genommen worden sind. Erst Recht bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass gerade der Kläger mit seinen Redebeiträgen als exilpolitischer Agitator hervorgetreten ist und dadurch Aufmerksamkeit bei den vietnamesischen Behörden hätte finden können.

Für die Teilnahme des Klägers an verschiedenen Mahnwachen und Demonstrationen und seine bei diesen Veranstaltungen gehaltenen Reden gilt nichts anderes. Obwohl sie in direkter Nachbarschaft zu den diplomatischen Vertretungen der Sozialistischen Republik Vietnam stattgefunden haben, ist nichts dafür ersichtlich, dass diese Veranstaltungen besondere Aufmerksamkeit - etwa in den Medien - auf sich gezogen haben und der Kläger deshalb von den vietnamesischen Behörden als hervortretende exilpolitische Persönlichkeit angesehen werden könnte.

Auch die Veröffentlichung einer Vielzahl regimekritischer Zeitschriftenartikel und die namentliche Nennung des Klägers als Herausgeber der Internetzeitschrift "vietnamtudonet" mit Lichtbildern begründen nicht die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer ernsthaften Verfolgungsgefahr. Angesichts der weiten Verbreitung exilpolitischer Zeitungen und Zeitschriften auch im Internet ist unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen nicht damit zu rechnen, dass veröffentlichte Artikel oder die Redaktionsmitarbeit in einer Exilzeitschrift oder einem Internetforum von den vietnamesischen Behörden als außergewöhnliche regimekritische Aktivität aufgefasst werden.

Dabei übersieht das Gericht auch nicht die Quantität der vom Kläger im Laufe des Folgeverfahrens unternommenen Aktivitäten. Eine Vielzahl unbedeutender Aktivitäten führen auch in ihrer Summe jedoch nicht zu der erforderlichen Exponiertheit. Entscheidend sind vielmehr Gewicht und Wirkung der jeweiligen Beiträge (Senatsurteil vom 6. März 2002 - 3 KO 428/99 -, juris). Dieses Gewicht weisen die exilpolitischen Aktivitäten des Klägers weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit auf.

Zudem ist konkret festzustellen, dass nach allen vorliegenden Erkenntnisquellen und dem eigenen Vortrag des Klägers kein Fall bekannt geworden ist, in dem zurückkehrende Asylbewerber nach ihrer Rückkehr nach Vietnam allein wegen ihrer Mitgliedschaft in der Exilorganisation RFVN, der der Kläger angehört, verfolgt worden sind, oder dass diese Organisation als solche Gegenstand von Abwehrreaktionen der vietnamesischen Sicherheitsbehörden geworden ist.

2. Aus den dargelegten Gründen folgt weiter, dass der Kläger Abschiebungsschutz auch nicht nach den weiteren Absätzen des § 60 AufenthG beanspruchen kann. Insoweit sind zunächst die unionsrechtlich begründeten Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG zu prüfen. Sie beruhen auf Art. 15 der Qualifikationsrichtlinie und sind durch Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970) in das Aufenthaltsgesetz aufgenommen worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bilden sie einen eigenständigen und nicht weiter teilbaren, vorrangig vor den verbleibenden nationalen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG zu prüfenden Streitgegenstand (BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4.09 -, BVerwGE 136, 360). Anhaltspunkte dafür, dass für den Kläger in Vietnam die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden, dass er dort wegen einer Straftat gesucht wird und die Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe besteht oder dass er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist, sind weder hinreichend vorgetragen noch dem Senat sonst ersichtlich. Entsprechendes gilt auch für die nachrangigen nationalen Abschiebungsverbote aus § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 und 3 AufenthG, die ebenfalls einen einheitlichen und nicht weiter teilbaren Verfahrensgegenstand bilden (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. September 2011 - 10 C 23.10 - NVwZ 2012, 244). [...]