VG Wiesbaden

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Zitieren als:
VG Wiesbaden, Beschluss vom 05.03.2014 - 7 L 213/14.WI.A - asyl.net: M21660
https://www.asyl.net/rsdb/M21660
Leitsatz:

Entgegen der Annahme der Bundesamtes kann dem Bericht des UNHCR keine Äußerung entnommen werden, dass systemische Mängel einer Überstellung nach Italien nicht entgegenstehen.

Schlagwörter: Italien, aufschiebende Wirkung, Suspensiveffekt, Dublinverfahren, Selbsteintritt, Mindeststandards, Aufnahmebedingungen, Obdachlosigkeit, systemische Mängel, UNHCR, psychische Erkrankung, psychosoziale Versorgung, medizinische Versorgung, Auswärtiges Amt, EGMR,
Normen: AsylVfG § 34a Abs. 2, VO 343/2003 Art. 3 Abs. 2 S. 1, EMRK Art. 3,
Auszüge:

[...]

Nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat das Bundesamt zu Unrecht den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt und seine Abschiebung nach Italien angeordnet. Vielmehr hätte das Bundesamt von seinem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO Gebrauch machen müssen. [...]

In Bezug auf Abschiebungen nach Italien hat die Kammer bereits durch mehrere Beschlüsse (vgl. Beschluss vom 12.04.2011 - 7 L 303/11.WI.A -, Beschluss vom 21.01.2013 - 7 L 43/13.WI.A -, Beschluss vom 25.07.2013 - 7 L 705/13.WI.A -, Beschluss vom 05.12.2013-7 L 1150/13.WI.A -) und Urteile (Urteil vom 10.03.2010 - 7 K 1389/09.WI.A -, Urteil vom 02.10.2012 - 7 K 1278/11.WI.A) unter Bezugnahme auf zahlreiche andere verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen und unter Berücksichtigung der bis dato veröffentlichen Erkenntnisquellen ausgeführt, dass nicht ausgeschlossen werden kann, das Italien aufgrund der dort vorherrschenden Verhältnisse aktuell nicht in der Lage ist, seinen europa- und menschenrechtlichen Schutzverpflichtungen gegenüber Asylbewerbern nachzukommen. Hieran hält die Kammer weiterhin - auch und gerade unter Beachtung der weiteren Entwicklungen und neueren Erkenntnisquellen - fest. Aufgrund der summarischen Prüfung im Eilverfahren liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt auf der Grundlage der der Kammer vorliegenden aktuellen Erkenntnisse weiterhin ernstzunehmende Anhaltspunkte dafür vor, dass die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Verfahrenspraxis in Italien nicht den zu fordernden unions- bzw. völkerrechtlichen Mindeststandards entsprechen. Es ist für die Kammer nicht erkennbar, dass sich die Situation für Dublin-Rückkehrer entscheidend verbessert haben könnte.

Die Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge in Italien sind weiterhin völlig überlastet, so dass die große Mehrheit der Asylsuchenden ohne Obdach und ohne gesicherten Zugang zur Nahrung leben muss. So berichtet das Magazin "Stern" in seiner Ausgabe Nr. 43 vom 18.10.2012 ("Der Fluch des Fingerabdrucks") ausführlich über die Situation eines eritreischen Flüchtlings nach einer Abschiebung von Deutschland nach Italien und seine dortige Situation. Der Journalist und der Fotograf haben einen eritreischen Flüchtling in Rom getroffen und ihn begleitet.

In einer Auskunft an das VG Minden vom 09.10.2012 führt das Auswärtige Amt aus, dass die Möglichkeiten für eine Asylbewerberin nach einer Überstellung nach Italien auf der Grundlage der Dublin II-VO sowohl im Hinblick auf ihre Unterbringung und Versorgung als auch bezüglich einer Arbeitsstelle "grundsätzlich im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten" bestünden und "je nach persönlichem Engagement, Vorgeschichte, Geschick, aktuellen Sprachkenntnissen, finanziellen Möglichkeiten und Kontakten ... gewisse Chancen" gegeben seien. Es sei aber "nicht völlig auszuschließen, dass die Situation der Klägerin im Falle einer Rückführung schlecht sein wird".

Zwar gibt es, wie die Antragsgegnerin in dem angegriffenen Bescheid erwähnt, keine Aufforderung des UNHCR an die EU-Mitgliedstaaten, von Überstellungen nach Italien im Rahmen der Dublin II-VO abzusehen. UNHCR listet aber in seiner Auskunft an das VG Braunschweig vom 24.04.2012 zahlreiche Defizite im italienischen Asyl-/Schutzsystem auf, die sich als Verstöße gegen einschlägige europäische und nationale Rechtsvorschriften darstellen und ihm "noch Anlass zur Sorge" geben. Auch in seinem letzten Bericht "Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien" von Juli 2013 (http://www.de/recht/länderinformationen.html) benennt er diese Defizite im italienischen Flüchtlingsschutzsystem mit Grundrechtsbezug und leitet daraus verschiedene Forderungen nach Mängelbeseitigung und Einhaltung bestimmter Rechte ab. Aus dem Bericht ergeben sich zahlreiche Aspekte, die für einen Prüfbedarf hinsichtlich einer mit Art. 4 GRCh konformen Behandlung im Zielland sprechen können. Dies betrifft beispielsweise die Ausführungen über Verzögerungen bei der Registrierung und damit verbundenen Zugang zu Aufnahmebedingungen auch für in Dublin-Verfahren rücküberstellte Personen (S. 6 f.), Abschiebungen vor einer Entscheidung über den eingelegten Rechtsbehelf (S. 9), Kapazitätsmängel im Aufnahmesystem (S. 13) und niedrige Chancen auf Unterbringung nach Zuerkennung eines italienischen Schutzstatus (S. 14 f.).

Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin kann dem Bericht des UNHCR keine Äußerung entnommen werden, dass systemische Mängel einer Überstellung nach Italien nicht entgegenstehen. Vertreter des UNHCR haben bei Tagungen immer wieder darauf hingewiesen, dass der Begriff des "systemischen Mangels" ein vom EuGH kreierter Terminus sei, der für UNHCR nicht ausschlaggebend sei. Vielmehr habe UNHCR in verschiedenen Zusammenhängen immer wieder betont, dass in jedem Einzelfall geprüft werden müsse, ob eine tatsächliche Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung einer Überstellung im Dublin-System entgegensteht. Somit ist nach Ansicht von UNHCR Aufgabe der Behörden und Gerichte, im Einzelfall festzustellen, ob drohende Grundrechtsverletzungen einer Überstellung in einen Mitgliedsstaat entgegenstehen. Soweit UNHCR in anderen Fällen (z.B. Griechenland oder Bulgarien) generelle Empfehlungen ausgesprochen hat, kann hieraus allerdings im Umkehrschluss nicht gefolgert werden, dass bezüglich anderer Mitgliedsstaaten Überstellungsverbote nicht in Betracht kämen. Diese Position hat UNHCR in Deutschland im März 2014 in den Ergänzenden Informationen zur Veröffentlichung "UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien - Juli 2013" nochmals bekräftigt: "Lediglich in besonderen Ausnahmekonstellationen hat UNHCR bislang eine generelle Empfehlung ausgesprochen, Asylsuchende nicht im Rahmen des Dublin-Verfahrens in einen bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen (Griechenland, Ungarn - für Asylsuchende die durch Serbien gereist sind, und Bulgarien). Aus der Tatsache, dass in dem UNHCR Papier keine Äußerung enthalten ist, ob systemische Mängel einer Überstellung nach Italien entgegenstünden, kann nicht geschlossen werden, dass UNHCR die Auffassung vertrete, dass keine einer Überstellung entgegenstehende Umstände vorlägen. Dies ist nicht zuletzt deswegen der Fall, da sich dieses Papier in erster Linie mit Empfehlungen zur Verbesserung des Flüchtlingsschutzes an die italienische Regierung richtet. Im kürzlich veröffentlichten Positionspapier zu Bulgarien weist UNHCR ausdrücklich darauf hin, dass durchaus Umstände bestehen können, in denen eine Überstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens auf Grund des tatsächlichen Risikos einer Rechtsverletzung auszuschließen ist, auch wenn keine systemische Mängel vorliegen. Es ist aus Sicht von UNHCR die Aufgabe der Behörden und Gerichte, im Einzelfall zu entscheiden, ob drohende Verletzungen von Art. 3 EMRK eine Überstellung in einen Mitgliedstaat ausschließen. Diese Einordnung der Informationen von UNHCR über die Situation des Asylsystems in Italien hat UNHCR im Hinblick auf das Papier vom Juli 2012 auch gegenüber dem britischen Supreme Court vorgetragen.

In seinem Urteil vom 19. Februar 2014 hat der Supreme Court des Vereinigten Königreichs im Fall EM (Eritrea) ([2014] UKSC 12) diese Auffassungen ausdrücklich bestätigt. Das höchste Gericht des britischen Königreichs betont in diesem Urteil, dass der Prüfungsmaßstab in Dublin-Fällen nicht von dem allgemein gültigen Maßstab des Schutzes vor Art. 3 EMRK-widrigen Behandlungen abweicht (Rn. 58). Im Hinblick auf das Fehlen einer ausdrücklichen Aussage zu Dublin-Überstellungen im UNHCR Papier betont der Supreme Court, dass dies keine Grundlage für Annahmen bilden könne und vielmehr die dargelegten Informationen in die Untersuchung der Umstände des Einzelfalls einbezogen werden müssten (Rn. 74)."

Auch das Gutachten der Flüchtlingsorganisation borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V. vom 01.12.2012 bestätigt die völlig unzureichende Aufnahmesituation von Flüchtlingen in Italien (vgl. borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V., Judith Gleitze, Gutachten vom 01.12.2012 an das VG Braunschweig). So kommt das Gutachten zu folgenden Ergebnissen: Eine ausreichende psychosoziale Versorgung von mental Kranken und Traumatisierten ist in Italien nicht gegeben. Da in Italien nur eine geringe Anzahl von Plätzen für psychisch Kranke zur Verfügung steht, tendieren die Chancen für Dublin-Rückkehrer gegen Null, unter diesen Umständen einen solchen Platz zu erhalten. Die meisten Asylsuchenden und Schutzberechtigten, die nach Italien aufgrund der Dublin-II-VO abgeschoben werden, befinden sich in einer großen Unsicherheit, was die Unterbringung angeht. Diejenigen die vor der Ausreise schon einmal in Italien in einem der staatlichen Zentren wie CARA oder SPRAR untergebracht waren, haben kein Recht mehr auf einen staatlichen Unterbringungsplatz. Das Nichtvorhandensein der Unterkunft bedeutet Obdachlosigkeit, keine Gesundheitsversorgung, Hunger, soziale und sonstige Verelendung und Marginalisierung. Nach Italien zurückgeschickte Asylsuchende sind immer dem konkreten Risiko ausgesetzt, bei Rückkehr in das italienische Staatsgebiet ohne Unterkunft zu bleiben. Dublin-Rückkehrer werden einfach von der Polizei am Flughafen weggeschickt. Nur eine Minderheit der Dublin-Rückkehrer erhält Zugang zu einer längerfristigen staatlichen Unterkunft. Die Behörden der Dublin-Einheiten der Entsende-Staaten geben Informationen wie körperliche und psychische Krankheiten der Dublin-Rückkehrer oftmals nicht an die italienischen Behörden weiter. Dublin-Rückkehrer haben somit keine Chance auf einen adäquaten Unterbringungsplatz oder eine ambulante Versorgung. Es gibt keine spezifischen Unterkunftswartelisten für Rückkehrer. Das Erhalten einer Unterkunft oder gar eines SPRAR-Platzes ist reiner Zufall. Italien wollte den Schein wahren. Es handelt sich um eine politische Strategie, um zu zeigen, dass man die Richtlinien der EU auch umsetze (Gutachten borderline-europe a.a.O., S. 49 f.). Grundvoraussetzung für die Ausstellung einer Gesundheitskarte, die man braucht, um Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten, ist die Wohnsitznahme. Dies ist in vielen Regionen Italiens sehr problematisch, wenn der Asylsuchende oder der Schutzberechtigte keinen regulären Platz zum Wohnen hat und diesen verlassen muss, da eine Frist des Verbleibs in einem Zentrum abgelaufen ist. Besonders betroffen sind vor allem Inhaber von Schutztiteln, die keine Unterbringung in einem CARA oder SPRAR finden. Da es keine klaren Regelungen gibt, wie lange Asylsuchende tatsächlich in staatlichen Aufnahmezentren bleiben können, ist immer mit einer Obdachlosigkeit noch während des Verfahrens zu rechnen. Sollte der Asylsuchende keine staatliche Unterkunft erhalten haben, entfällt auch die staatliche Versorgung (Nahrung, Gesundheitsversorgung bei nicht vorhandenem Wohnsitz; Gutachten a.a.O., S. 51). In Italien gibt es kein Asylhilfesystem. Asylsuchende und Schutzberechtigte, die nicht (mehr) in einer staatlichen Unterkunft leben, haben keinen Anspruch auf Unterkunft, Nahrung, Kleidung, Taschengeld oder sonstige materielle Leistungen. Die vorgesehene Regelung, dem Asylsuchenden bei Nichtaufnahme in einen SPRAR oder CARA eine finanzielle Leistung zukommen zu lassen, bis er einen Platz gefunden hat, existiert nur auf dem Papier. In der Praxis erfolgen diese Zahlungen nicht (Gutachten, a.a.O., S. 57 f.).

Auch die Associazione per gli Studi Giruridici sull Immigrazione - A.S.G.I. -, Lorenzo Trucco, kommt in der gutachterlichen Stellungnahme zur Situation der Flüchtlinge und Asylbewerber in Italien vom 20.11.2012 an das VG Darmstadt zu dem Ergebnis, dass der gemäß Dublin-II-VO rücküberstellte Asylbewerber aufgrund der begrenzten Kapazität des gesamten Systems keine ausdrückliche Garantie für eine Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung hat.

Auch jüngere Auskünfte des Auswärtigen Amtes vermitteln ein differenziertes Bild der Unterbringung und Versorgung von Asyl-/Schutzsuchenden in Italien. Hiernach sollen "alle Personen, die im Rahmen der Dublin-Verordnung nach Italien zurückgeführt werden ... von der Questura in eine Unterkunft verteilt" werden (Auskunft an das OVG Sachsen-Anhalt vom 21.08.2013). Allerdings kann diese Zuweisung manchmal auch Wochen betragen, und eine zuverlässige allgemeingültige Angabe über den Zeitraum ist nicht möglich (Auskunft an das OVG Nordrhein-Westfalen vom 11.09.2013). Dass die Betreuung und Versorgung der Rückkehrer in dieser Zeit hinreichend gesichert ist, erscheint angesichts der erwähnten Stellungnahmen und Berichte nicht verlässlich.

Auch der aktuelle Bericht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe vom Oktober 2013 lässt hieran Zweifel aufkommen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen - Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden).

Basierend auf Erkenntnissen einer Aufklärungsreise im Mai und Juni 2013 ist dem Bericht zu entnehmen, dass das italienische Unterbringungssystem nach wie vor gravierende Mängel aufweise. Es biete weder für Asylsuchende noch für Schutzberechtigte annähernd genügend Plätze. Einer Zahl von 64.000 Flüchtlingen, die in Italien lebten, stünden 8.000 staatliche Unterbringungsplätze gegenüber. Hinzu kämen Plätze in den Gemeinden, von NGOs und von kirchlichen Institutionen (in Mailand ca. 500, in Rom ca. 3.000). Die Kapazitäten der Erstaufnahmezentren CARA und der FER-Projekte seien ausgelastet, auf der Warteliste für SPRAR-Plätze befänden sich 5.000 Personen. Viele Asylsuchende lebten daher in Obdachlosigkeit oder in besetzten Häusern. Am stärksten betroffen seien Personen, die einen Schutzstatus erhalten hätten. Sie erhielten keinerlei Unterstützung mehr. Die Perspektivlosigkeit der Schutzberechtigten sei noch erdrückender als bei einer früheren Aufklärungsreise im Herbst 2010. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass auch nach Veröffentlichung dieses Berichts die Flüchtlingszahlen in Italien weiter zugenommen haben. So wurden etwa am 3./4. Januar 2014 allein innerhalb von 24 Stunden über 1.000 Flüchtlinge vor Sizilien aus Seenot gerettet. Insgesamt hat sich die Zahl neu angekommener Flüchtlinge in Italien 2013 mit ca. 43.000 im Vergleich zu 2012 etwa verdreifacht (vgl. dazu etwa den Tagesschau-Bericht "Mehr als 1.000 Flüchtlinge gerettet" vom 4. Januar 2014, [...]; und die Angaben des italienischen Innenministeriums [...]. Darüber hinaus dokumentieren zahlreiche weitere Medienberichte aus Dezember 2013 prekäre und unmenschliche Umstände in den Aufnahmelagern. So wird davon berichtet, dass Asylsuchende im Aufnahmelager Lampedusa sich nackt haben ausziehen müssen und mit einem Druckreiniger abgespritzt und desinfiziert worden seien. Die Zustände in den übrigen Aufnahmezentren seien nicht besser. Dies sei u.a. dem Umstand geschuldet, dass deren Verwaltung in Ausschreibungen an den billigsten Anbieter vergeben werde. Für die entsprechenden Bewerber stünden häufig Gewinninteressen im Vordergrund (vgl. etwa den Tagesschau-Bericht "Das ist Italien" vom 19. Dezember 2013, [...]; Bericht Deutsche Welle "Lampedusa - der Makel Europas" vom 20. Dezember 2013 [...]; und den Artikel "Das Geschäft mit den Flüchtlingslagern", Frankfurter Rundschau vom 21. Dezember 2013[...].

Zudem ist auch ein fragwürdiges Verfahren des italienischen Staates bekannt geworden, wonach er Flüchtlinge durch Aushändigung von mehreren Hundert Euro Bargeld und Ausstellung eines auf drei Monate befristeten sog. Schengenvisums veranlasst hat, das Land zu verlassen (vgl. u.a.: "Spiegel Online" vom 29.05.2013, "Afrikaner in Deutschland: Rom verteidigt Bargeldzahlung an Flüchtlinge").

Human Rights Watch berichtet unter dem Datum vom 22. Januar 2013 [...] über eine rechtsstaatswidrige Sammelabschiebung von Flüchtlingen, die als blinde Passagiere aus Griechenland kamen, darunter auch mehrere Minderjährige. Den Flüchtlingen sei nicht einmal Gelegenheit gegeben worden, überhaupt einen Asylantrag zu stellen.

Die Erkenntnisse über die bedenkliche Lage in Italien decken sich auch mit den von dem Antragsteller geschilderten Erfahrungen. Dies betrifft insbesondere die Sicherstellung von Unterkunft, Ernährung und medizinischer Versorgung. So hat der Antragsteller mit seiner eidesstattlichen Versicherung vom 17.02.2013 glaubhaft gemacht, dass er ca. 1 Jahr und 1 Monat in Italien gelebt habe. Dort habe er zunächst in einem Asylheim gewohnt. Nach ca. 1 Jahr habe man ihn dort rausgeworfen, mit den Worten, er könne gehen, wohin er wolle. Er habe sich sodann an die italienischen Behörden gewandt, die ihm aber keinerlei Hilfe und Unterstützung gegeben hatten und ihn aufgefordert hatten, wegzugehen. Er hatte keine Unterkunft und nichts zu essen gehabt, so dass er tagtäglich am Bahnhof, wie ein Obdachloser gelebt habe. Eine medizinische Versorgung habe es ebenfalls nicht gegeben. Er habe tagtäglich gebettelt, um etwas zu essen zu bekommen. Ab und zu sei ihm von den dort lebenden weiteren somalischen Landsleuten sowie von der Kirche etwas zu essen gegeben worden. Auch sei er zeitweilig von den einheimischen Bürgern in Italien aufgrund seiner Hautfarbe beleidigt und bespuckt worden.

Auch der Umstand, dass der EGMR in seiner Entscheidung vom 13.02.2013 - Nr. 81498/12 - seine vorläufige Entscheidung zu einer von Deutschland beabsichtigten Rücküberstellung nach Italien nicht verlängerte, kann ebenfalls nicht dazu führen, diesen Aspekt ohne Kenntnis des dort entschiedenen Einzelfalls ohne weiteres zu übertragen. Die Bundesregierung war in dem dortigen Verfahren bis zum 06.03.2013 aufgefordert worden, mitzuteilen, welche Garantien von der italienischen Regierung eingeholt werden können, um einen ausreichenden Schutz der Familie in Italien sicher zu stellen. Der Beschluss wurde beim EGMR erst aufgehoben, nachdem die Bundesregierung erklärt hatte, dass die zuständige Liaisonbeamtin sich persönlich um die Antragsteller kümmern werde (vgl. hierzu VG Schwerin, Beschluss vom 15.03.2013 - 3 B 111/13 AS, VG Gießen, Beschluss vom 26.02.2014 - 6 L 352/14.GI.A).

Soweit die Antragsgegnerin in dem angegriffenen Bescheid auf die Entscheidung des EGMR vom 02.04.2013 - Nr. 27725/10, Mohammed Hussein u.a. gegen die Niederlande und Italien (ZAR 2013, 336) - hinweist, rechtfertigt dies im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens keine andere Entscheidung. Der Gerichtshof hat die Beschwerde im Hinblick auf gravierende Widersprüche im Vorbringen der Beschwerdeführerin und mutwillig falsche Angaben zum Sachverhalt gemacht bzw. wesentliche Ereignisse verschwiegen hat, einstimmig für unzulässig erklärt und angesichts dessen die Aussetzung der Rückschiebung zwar aufgehoben. Der vom Gerichtshof entschiedene Sachverhalt ist somit nicht annähernd mit dem hier zu beurteilenden zu vergleichen. Die dortige Beschwerdeführerin war auch tatsächlich in einem Aufnahmezentrum untergebracht worden und hatte kurz nach ihrer Einreise im Jahr 2008 in Italien subsidiären Schutz und eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis sowie eine Arbeitserlaubnis erhalten. Dies ist allerdings nicht mit der von dem Antragsteller geschilderten Situation vergleichbar. So kommt auch das VG Frankfurt a.M. in seinem Urteil vom 09.07.2013 - 7 K 560/11.F - unter ausführlicher Würdigung der aktuellen Unterbringungssituation der Flüchtlinge in Italien zu dem Ergebnis, dass die dortigen Aufnahmebedingungen weiterhin systemische Mängel aufweisen und der Beschluss des EGMR vom 02.04.2013 dem nicht entgegenstehe.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des EGMR vom 18.04.2013 (ECHR 123/2013), in der ausgeführt wird, dass die Beschwerdeführerin in jenem Verfahren nicht habe beweisen können, dass systemische Mängel bestünden. Denn der EGMR hat jüngere Erkenntnismittel, etwa das Gutachten Gleitze vom Dezember 2012 nicht berücksichtigt (vgl. dazu VG Köln, Beschluss vom 07.05.2013 - 10 L 613/12.A; VG Göttingen, Urteil vom 25.07.2013 - 2 A 650/12).

Auch angesichts des Umstandes, dass die große Kammer des EGMR wegen unterschiedlicher Beurteilung der Situation in Italien durch die einzelnen Sektionen des EGMR am 12.02.2014 über die Frage, ob eine Abschiebung einer Flüchtlingsfamilie nach Italien gegen Art. 3, 8 und 13 EMRK verstößt, eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat (Antragsnr.: 29217 (12)) wird abzuwarten sein, wie sich die zu treffende Entscheidung auswirken wird und welche Schlussfolgerungen daraus zu ziehen sind.

Schließlich verdeutlicht bereits der Umstand, dass es hinsichtlich der Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse in Italien gemessen an den gemeinschaftrechtlich allgemeinen vorgesehenen Schutzniveau zahlreiche gerichtliche Entscheidungen mit unterschiedlichen Ergebnissen gibt, die Schwierigkeit einer eindeutigen Bewertung und damit die Notwendigkeit einer besonders gründlichen, tatsächlichen und rechtlichen Prüfung, die nur in einem Hauptsacheverfahren erfolgen kann.

Auch bei einer Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung des Bescheides mit dem privaten Interesse des Antragstellers an dem vorläufigen Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland überwiegt das Interesse des Antragstellers. Bei einer Überstellung des Antragstellers nach Italien im laufenden Verfahren entstünden diesem gerade auch wegen vermutlich drohender Obdachlosigkeit, die konkrete Gefahr, gerichtlich unerreichbar zu sein mit der Folge, dass nachteilige Folgen der Abschiebung nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten.

Nach alledem hat der Eilantrag Erfolg. [...]