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VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 05.10.2010 - 8 L 2685/10.F.A - asyl.net: M17686
https://www.asyl.net/rsdb/M17686
Leitsatz:

Vorläufige Aussetzung einer Dublin-Überstellung einer Mutter und ihres im Januar in Deutschland geborenen Sohnes nach Italien. Das BAMF hat im Übernahmeersuchen die italienischen Behörden nicht über die zwischenzeitlich erfolgte Geburt des Antragstellers zu 2. und die Vaterschaftsanerkennung und Sorgerechtserklärung des in Deutschland mit einer Niederlassungserlaubnis lebenden Kindsvaters informiert. Die ABH führte die für den 28.9.2010 geplante Überstellung u.a. im Hinblick auf ein mögliches Aufenthaltsrecht in Deutschland nicht durch. Das Gericht untersagte nun im Eilverfahren die Überstellung nach Italien, da einer Trennung des Kindes von dem Vater Art. 8 Abs. 1 EMRK entgegensteht.

Schlagwörter: Dublin II-VO, Dublinverfahren, vorläufiger Rechtsschutz, Italien, einstweilige Anordnung, Schutz von Ehe und Familie, Vaterschaftsanerkennung, gemeinsames Sorgerecht
Normen: AsylVfG § 27a, AsylVfG § 34a Abs. 2, VO 343/2003 Art. 10 Abs. 1, GG Art. 6 Abs. 1, EMRK Art. 8, KRK Art. 9
Auszüge:

[...]

Die Antragstellerin zu 1. reiste am 23.11.2009 aus Italien kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 17.12.2009 einen Asylantrag. Ihre diesbezügliche Anhörung erfolgte am 21.09.2010 durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - im Folgenden: Bundesamt -; auf das Anhörungsprotokoll wird Bezug genommen. Sie gab u.a. an, in Italien einen Asylantrag gestellt zu haben, der aber nicht bearbeitet worden sei.

Der Antragsteller zu 2. ist der am 07.01.2010 in Frankfurt am Main geborene Sohn der Antragstellerin zu 1. Ausweislich der Erklärung über die Vaterschaftsanerkennung vom 15.02.2010 wurde die Vaterschaft des eritreischen Staatsangehörigen ..., der in Deutschland seit 2005 eine unbefristete Niederlassungserlaubnis besitzt, anerkannt, und ausweislich der Sorgerechtserklärung vom 15.02.2010 üben die Eltern die elterliche Sorge gemeinsam aus. Für den Antragsteller zu 2. wurde sogleich nach der Geburt ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 33 AufenthG bei dem damals zuständigen Hochtaunuskreis gestellt.

Am 29.06.2010 richtete das Bundesamt ohne Hinweis auf die zwischenzeitlich erfolgte Geburt des Antragstellers zu 2. und die Vaterschaftsanerkennung und Sorgerechtserklärung ein Übernahmeersuchen nach der Dublin II-VO an Italien; die dortigen Behörden erklärten mit Schreiben vom 07.07.2010 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrages gem. Art. 10 Dublin II-VO.

Mit Bescheid vom 21.09.2010 wies das Regierungspräsidium Darmstadt die Antragstellerin zu 1. vom Hochtaunuskreis der Stadt Frankfurt am Main zu.

In der von der Antragsgegnerin vorgelegten Kopie der Bundesamtsakte betreffend die Antragstellerin zu 1. (Az. ...) befindet sich der Bescheid des Bundesamtes vom 26.08.2010, auf den Bezug genommen wird, mit dem der Asylantrag der Antragstellerin zu 1. als unzulässig abgelehnt wird und mit dem die Abschiebung nach Italien angeordnet wird. Einen Nachweis der Bekanntgabe oder Zustellung ist in der Akte nicht enthalten. In dieser Bundesamtsakte befindet sich zudem die am 30.08.2010 als Fax übermittelte Faxmitteilung an das Landratsamt Hochtaunuskreis, wonach die Antragstellerin zu 1. bis zum 21.10.2010 auf dem Luftweg nach Mailand überstellt werden soll, und wonach der Bescheid rechtzeitig vor der Überstellung zugesandt werde. Die für den 28.09.2010 geplante Überstellung führte der Hochtaunuskreis nach Wegfall seiner Zuständigkeit und im Hinblick auf ein mögliches Aufenthaltsrecht nicht durch. [...]

Der gestellte Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO ist zulässig und begründet. Die im Eilverfahren. gebotene summarische Prüfung ergibt, dass den Antragstellern sowohl ein Anordnungsanspruch als auch ein Anordnungsgrund zur Seite steht.

Die Eilbedürftigkeit ergibt sich aus dem Umstand, dass die Antragsteller nach den von dem Bundesamt bereits getroffenen und in den Bundesamtsakten dokumentierten Vorbereitungsmaßnahmen, nämlich den gefertigten Bescheiden vom 09.09.2010 und vom 26.08.2010, die die Antragsgegnerin nicht als gegenstandslos erklärt hat, unverändert gewärtigen müssen, nach der Dublin II-Verordnung nunmehr unter Beteiligung der Stadt Frankfurt am Main nach Italien überstellt zu werden.

Es liegt auch ein Anordnungsanspruch vor.

Die Dublin II-Verordnung bringt in dem 12. Erwägungsgrund ausdrücklich zum Ausdruck, dass u.a. die EMRK unberührt bleibt. Art. 8 Abs. 1 EMRK, der auch für minderjährige nichteheliche Kinder gilt (vgl. EGMR, NJW 1979, 2449), steht der Trennung des Antragstellers zu 2. von seinem auch sorgeberechtigten und in Deutschland lebenden Vater, der die Vaterschaft anerkannt hat, entgegen (vgl. EGMR, EuGRZ 1995, 113). Anhaltspunkte dafür, dass dem Vater der Umgang mit seinem in Italien lebenden minderjährigen Sohn zumutbar ist, sind von der amtsermittlungspflichtigen Antragsgegnerin (§ 24 VwVfG) nicht dargetan und ersichtlich.

Ebenfalls aus Art. 8 Abs. 1 EMRK folgt, dass die Antragstellerin zu 1. mit ihrem in Deutschland bleibenden minderjährigen Kind, dem Antragsteller zu 2., für den sie auch sorgeberechtigt ist, in Lebensgemeinschaft leben darf.

Der Stattgabe des vorliegenden Antrages steht § 34a Abs. 2 AsylVfG nicht entgegen, da Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO den Antragstellern die Möglichkeit eröffnet, gegen Überstellungsentscheidungen um einstweiligen Rechtsschutz nachsuchen zu können. Diese Rechtsschutzmöglichkeit ist durch § 34a Abs. 2 AsylVfG nicht suspendiert. Dies folgt zudem aus § 27a AsylVfG. [...]