VGH Baden-Württemberg

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Zitieren als:
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 17.06.2010 - 11 S 1050/10 - asyl.net: M17392
https://www.asyl.net/rsdb/M17392
Leitsatz:

Die Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG tritt selbst dann ein, wenn der Antrag bei einer örtlich unzuständigen Ausländerbehörde gestellt wird.

(Amtlicher Leitsatz)

Schlagwörter: Fiktionswirkung, Bescheinigung, vorläufiger Rechtsschutz, einstweilige Anordnung, örtliche Zuständigkeit, Zuständigkeit, Aufenthaltserlaubnis, gewöhnlicher Aufenthalt, Anordnungsgrund
Normen: VwGO § 123 Abs. 1 S. 2, AufenthG § 81 Abs. 5, AufenthG § 81 Abs. 4, AufenthG § 16 Abs. 1, AufenthG § 30 Abs. 1
Auszüge:

[...]

Ein Anordnungsanspruch ist anzunehmen. Der Antragsteller hat vor Ablauf der bis 28.02.2010 gültigen Aufenthaltserlaubnis nach § 16 Abs. 1 AufenthG bei der Antragsgegnerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 30 Abs. 1 AufenthG beantragt. Damit ist ungeachtet der Frage, ob die Antragsgegnerin gem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 lit. a LVwVfG bzw. § 3 Abs. 1 AAZuVO örtlich zuständig ist, die Fortgeltungsfiktion nach § 81 Abs. 4 AufenthG entstanden mit der Folge, dass dem Antragsteller nach § 81 Abs. 5 AufenthG eine Bescheinigung hierüber auszustellen ist. Eine mögliche Unzuständigkeit der Antragsgegnerin steht dem nicht entgegen. Es kann den maßgeblichen Vorschriften des Aufenthaltsgesetzes nicht entnommen werden, dass diese dem Ausländer das Risiko der Bestimmung der zuständigen Behörde auferlegen wollten. Der vorliegende Fall zeigt deutlich, dass insoweit schwierige Abgrenzungsfragen zu beantworten sein können, so dass die Betroffenen bis zu einer abschließenden Klärung unter Umständen ohne den vom Gesetz an die rechtzeitige Antragstellung geknüpften Status leben müssten und infolge dessen auch nicht über das erforderliche Legitimationspapier verfügen könnten. Eine derartige Sichtweise führt auch nicht zu unlösbaren Unzuträglichkeiten. Die Behörde, bei der der Antrag gestellt wurde, hat es, wenn sie der Auffassung ist, unzuständig zu sein, in der Hand, entweder im Einverständnis mit dem Antragsteller den Antrag an die nach ihrer Auffassung zuständige Behörde weiterzuleiten oder, falls der Antragsteller sein Einverständnis nicht erteilt hat, den Antrag ohne Sachprüfung zeitnah abzulehnen und damit die strittige Frage einer gerichtlichen Prüfung zuzuführen (vgl. zu alledem GK-AufenthG § 81 Rdn. 22). Abgesehen davon dürfte der Antragsteller im vorliegenden Fall seinen gewöhnlichen Aufenthalt auch in Karlsruhe haben, nachdem dort seine Ehefrau mit ihrem Kind wohnt und er in regelmäßigen Abständen von seinem Studienort in die eheliche Wohnung zurückkehrt. Ganz abgesehen von dem Umstand, dass er seit September 2009 in Karlsruhe auch mit dem Hauptwohnsitz gemeldet ist.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Dieser liegt offen zu Tage und bedurfte daher keiner ausdrücklichen Erwähnung in der Antragsschrift. Denn es ist der Funktion der Fiktionsbescheinigung immanent, dass sie für die Belange des Ausländers von existentieller Bedeutung ist. Andernfalls wäre er etwa bei jeder Polizeikontrolle nicht in der Lage, seinen aufenthaltsrechtlichen Status sofort nachzuweisen und müsste daher gewärtigen, zunächst einmal bis zu einer Abklärung vorläufig festgenommen zu werden. An Wochenenden und in der Nacht könnte dies ggf. zu einer länger dauernden Freiheitsentziehung führen. Dieses persönliche Interesse von hohem Gewicht rechtfertigt es auch, im vorliegenden Fall die Hauptsache vorweg zu nehmen. [...]