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Zitieren als:
BAMF, Bescheid vom 06.05.2010 - 5407479-150 [= ASYLMAGAZIN 2010, S. 300 f.] - asyl.net: M17295
https://www.asyl.net/rsdb/M17295
Leitsatz:

Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG für geschiedene Roma aus dem Kosovo hinsichtlich des Kosovo und Serbiens. Frauen in der patriarchalischen Gesellschaft des Kosovo sind bedingt durch Tradition, Religion und soziokultureller Eigenheiten stark wirtschaftlich und sozial benachteiligt. - Kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot, da psychische Erkrankungen nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 19.10.2009 grundsätzlich im öffentlichen Gesundheitssystem im Kosovo behandelt werden können.

Schlagwörter: Abschiebungsverbot, Asylfolgeantrag, Kosovo, Roma, alleinstehende Frauen, psychische Erkrankung, medizinische Versorgung
Normen: AufenthG § 60 Abs. 7 S. 1
Auszüge:

[...]

Die für den Folgeantrag angegebene Begründung führt zu einer für die Antragstellerin günstigeren Entscheidung, weil nunmehr vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG bezüglich Kosovo und Serbien auszugehen ist.

Von einer Abschiebung ist gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG abzusehen, wenn dem Ausländer eine erhebliche, individuelle und konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht, wobei es hier nicht darauf ankommt, von wem die Gefahr ausgeht und wodurch sie hervorgerufen wird. Es muss jedoch über die Gefahren hinaus, denen die Bevölkerung allgemein ausgesetzt ist, eine besondere Fallkonstellation gegeben sein, die als gravierende Beeinträchtigung die Schwelle der allgemeinen Gefährdung deutlich übersteigt (vgl. auch insoweit auf die Neuregelung des § 60 Abs. 7 Satz 1 übertragbare Entscheidungen BVerwG, Urteil vom 23.08.1995, Az.: 9 C 144.95; BVerwG, Urteil vom 17.10.1995, BVerwGE 99, 324).

Die Antragstellerin verfügt über keine familiären Bindungen im Kosovo. Sie wäre gezwungen, allein in ihre Heimat zurückzukehren, da nicht ersichtlich ist, dass derzeitig von einer Rückkehr ihrer Kinder in die Heimat auszugehen ist. Sie gehört als alleinstehende (geschiedene) Angehörige des Volkes der Roma zu einem besonders schutzwürdigen Personenkreis.

Frauen in der patriarchalischen Gesellschaft Kosovos sind bedingt durch Tradition, Religion und soziokultureller Eigenheiten stark wirtschaftlich und sozial benachteiligt. Während die Arbeitslosenquote ins Kosovo insgesamt ca. 45 % beträgt, liegt sie bei Frauen bei über 70 %. Nur wenige Familien erhalten wegen der strengen Anspruchsvoraussetzungen staatliche Leistungen in Form von Sozialhilfe oder Renten (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 19.10.2009).

Da die Antragstellerin bereits 1989 aus ihrer Heimat fortgegangen und mittlerweile geschieden ist, ist davon auszugehen, dass sie auch ansonsten über keinen familiären Besitz im Kosovo verfügt.

Die nach der kosovarischen Tradition der Eheschließung in das Haus des Mannes "geholte" Frau besitzt keine Rechte am Eigentum des Mannes, der sein oder das Haus seiner Familie sowie sein sonstiges Vermögen für die Ehe zur Verfügung gestellt hat. Die Prüfung der finanziellen Leistungsfähigkeit durch das Familiengericht führt in Sorgerechtsfällen daher zumeist zu Entscheidungen zu Gunsten des Mannes, der eher über Eigentum und Arbeitseinkommen und mithin über Mittel zur Sicherung des Lebensunterhalts der Kinder verfugt (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 19.10.2009).

Ein Abschiebungsverbot hinsichtiich der geltend gemachten Erkrankung liegt nicht vor. [...]

Eine solche alsbaldige erhebliche und konkrete Gefahr ist aus den vorgelegten ärztlichen Unterlagen nicht erkennbar.

Zudem würde der mit einer Rückkehr verbundene Abbruch einer in Deutschland begonnenen Therapie kein Abschiebungshindernis begründen. Eine eventuelle Suizidgefahr ist als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis von der hierfür zuständigen Ausländerbehörde zu berücksichtigen (vgl. Beschluss OVG Nordrhein-Westfalen vom 16.12.2004, Az.: 13 A 4512/03.A, Urteil VG Frankfurt vom 23.04.2004, Az 6 E 3211/03.A).

Psychische Erkrankungen können grundsätzlich im öffentlichen Gesundheitssystem im Kosovo behandelt werden. So können in acht regionalen Gesundheitszentren, die sich in den Städten Peje/Pec , Prizren, Ferizaj/Urosevac, Gjilan/Gnjilane, Gjakove/Djakovica, Mitrovice/Mitrovica (Süd), Produjevo und Prishtine/Pristina befinden, behandelt werden. Auch gibt es im Kosovo über acht Integrationshäuser, die der Rehabilitierung und Reintegration von chronisch erkrankten Patienten mit psychiatrischem Behandlungsbedarf dienen. Alternativ gibt es dazu die Möglichkeit, Patienten auf eine häuslich-familiäre Fürsorge einzustellen. Pflegedienste führen dabei häufig Besuche und Behandlungen durch und beobachten den Gesundheitszustand des Patienten. Auch eine stationäre Behandlung ist im Kosovo möglich. Die Aufnahme in den Abteilungen für stationäre Psychiatrie ist unproblematisch. Freiwillige Rückkehrer sowie Zurückgeführte aus der Bundesrepublik Deutschland können bei einer psychischen Erkrankung insbesondere in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung unmittelbar nach ihrer Ankunft kostenlos die Hilfs- und Unterstützungsleistungen des Kosovo-Rückkehrerprojekts "URA IV" in Anspruch nehmen. Hierbei bieten Psychologen, die in Deutschland im Rahmen des Projektes "URA II" zu Trauma-Spezialisten geschult worden sind, eine professionelle Behandlung psychischer Erkrankungen an und/oder sind bei der Vermittlung von qualifizierten Psychologen behilflich (vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Republik Kosovo vom 19.10.2009). [...]