VG Frankfurt a.M.

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Zitieren als:
VG Frankfurt a.M., Beschluss vom 11.07.2007 - 4 G 1871/07.AF (1) - asyl.net: M10827
https://www.asyl.net/rsdb/M10827
Leitsatz:

Keine Einreseverweigerung nur wegen Durchführung eines Dublin-Verfahrens

Schlagwörter: Verfahrensrecht, Verordnung Dublin II, Einreiseverweigerung, Zurückweisung, illegale Einreise, Asylantrag, Asylgesuch, Weiterleitung, Aufnahmeeinrichtungen, Aufenthaltsgestattung, vorläufiger Rechtsschutz (Eilverfahren), Suspensiveffekt, Dublin II-VO,
Normen: AufenthG § 15 Abs. 1; AsylVfG § 18 Abs. 1; AsylVfG § 55 Abs. 1; AsylVfG § 29 Abs. 3; VwGO § 123; VwGO § 80 Abs. 5; VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 2
Auszüge:

Der Antrag zu 1. auf Weiterleitung der Antragstellerin an die zuständige Aufnahmeeinrichtung des Bundesamtes ist im Ergebnis zulässig. Das Gericht lässt hier offen, ob der gemäß § 123 VwGO gestellte Antrag auf Verpflichtung zur Einreisegestattung statthaft ist, oder ob nicht ein Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hier zu stellen gewesen wäre. Denn bei der Zurückweisung und Einreiseverweigerung vom 20.06.2007, die auf § 15 Abs. 1 AufenthG gestützt wurde, handelt es sich ausweislich der in der Einreiseverweigerung enthaltenen Rechtsbehelfsbelehrung um eine unaufschiebbare Anordnung und Maßnahme im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO, so dass einem eingelegten Rechtsbehelf hiergegen keine aufschiebende Wirkung zukommt. Diese müsste erst nach § 80 Abs. 5 VwGO wieder hergestellt werden. Die Frage bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung, da grundsätzlich von der Zulässigkeit des Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz hier auszugehen ist.

Der Antrag ist Im Ergebnis auch begründet. Der Antragstellerin ist die Einreise in das Bundesgebiet zu gestatten und sie ist an die zuständige Aufnahmeeinrichtung weiterzuleiten. Dies ergibt aus § 18 Abs. 1 AsylVfG.

Gemäß § 15 Abs. 1 AufenthG wird ein Ausländer an der Grenze zurückgewiesen, wenn dieser unerlaubt einreisen will. Dies war vorliegend der Fall. Das von der Antragstellerin anschließend vorgebrachte Asylersuchen und das anschließende förmliche Beantragen von Asyl gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Außenstelle Flughafen, eröffnete der Antragstellerin jedoch das Recht, an die zuständige Aufnahmeeinrichtung weitergeleitet zu werden (vgl. auch § 15 Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Da die Antragstellerin im Besitz eines gültigen Reisepasses ist, war für sie nicht das Verfahren nach § 18a Abs. 1 AsylVfG durchzuführen.

Der Antragstellerin war auch nicht die Einreise nach § 18 Abs. 2 AsylVfG zu verweigern, da ein Fall, der in dieser Vorschrift aufgeführt ist, nicht vorliegt. Insbesondere reiste sie nicht aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) ein.

Ob der Antragstellerin auch ein Aufenthaltsrecht nach § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG zusteht, ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. § 55 Abs. 1 Salz 1 AsylVfG bestimmt, dass ein Ausländer, der um Asyl nachsucht, ein Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Dieses Aufenthaltsrecht, das vorbehaltlich der Gründe für eine Verweigerung der Einreise nach § 18 Abs. 2 AsylVfG unmittelbar kraft Gesetzes und ohne weiteres behördliches Zutun entsteht, setzt allerdings zwingend voraus, dass ein Asylverfahren durchgeführt wird. Ob dies hier der Fall ist, steht nun gerade noch nicht fest, da das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II VO hier noch nicht abgeschlossen ist. Einen Ausschluss des Rechts auf Aufenthalt im Bundesgebiet für einen Ausländer, der um Asyl nachgesucht hat, sieht das Asylverfahrensgesetz aber nur für den Fall vor, dass der Asylbewerber unerlaubt aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist (§ 55 Abs. 1 Satz 3 Asy1VfG). In diesem Fall erwirbt der Asylbewerber die Aufenthaltsgestattung erst mit der Stellung seine Asylantrages und nicht bereits mit dem Asylgesuch an der Grenze.

Nach Auffassung des Gerichts ist es nicht gerechtfertigt, die Vorschrift d. § 55 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG analog auch auf die Fälle anzuwenden, dass ein Asylbewerber, der nicht aus einem sicheren Drittstaat einreist, an der Grenze um Asyl nachsucht und für die Feststellung der Zuständigkeit der Bundesrepublik erst das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II VO durchgeführt werden muss. Zwar ist auch in dem Fall, dass die Bundesrepublik nach der Dublin II VO nicht für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, letztlich ein Asylverfahren hier nicht durchzuführen. Da die Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 26a), die in § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG zugrunde gelegt wird, jedoch gem. § 18 Abs. 2 AsylVfG gerade der gesetzliche Grund dafür ist, die Einreise des Ausländers zu verweigern und ein Grund für die Einreiseverweigerung bei Einreise aus einem nicht sicheren Drittstaat nach § 18 Abs. 2 AsylVfG nach derzeitiger Rechtslage nicht vorliegt, ist eine Gleichbehandlung beider Fälle nicht geboten. Im Falle, dass nach einem Asylgesuch an der Grenze das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II Verordnung durchzuführen ist, ist zwar ebenfalls (noch) kein nationales Asylverfahren durchzuführen. Das Asylverfahrensgesetz sieht aber für diesen Fall (jedenfalls zur Zeit) nicht - wie in § 18 Abs. 2 Nr.1 AsylVfG für den Fall der Einreise aus einem sicheren Drittstaat - vor, dass dem Ausländer während der Dauer des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens nach der Dublin II Verordnung die Einreise zu verweigern ist. Deswegen bleibt es nach der gesetzlichen Regelung des § 18 Abs. 1 dabei, dass auch in diesem Fall der Asylsuchende an die nächstgelegene bzw. zuständige Aufnahmeeinrichtung zur Meldung weiterzuleiten ist.

Nach Auffassung des Gerichts muss im Falle, dass ein Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nach der Dublin II Verordnung durchzuführen ist, nach § 18 Abs.1 AsylVfG - soweit kein Fall das § 18 Abs. 2 AsylVfG für eine Verweigerung der Einreise vorliegt - grundsätzlich die Weiterleitung an die zuständige Aufnahmeeinrichtung zur Meldung erfolgen, da anderweitige Regelungen gegenwärtig nicht bestehen. Insbesondere enthält auch die Dublin II Verordnung insoweit keine Regelungen. Die Dublin II Verordnung ist die Bestandteil des sekundären Gemeinschaftsrechts und damit unmittelbar anwendbar. Die Verordnung geht als vorrangige Regelung dem nationalen Recht vor. Soweit die nationalen Vorschriften - hier des Asylverfahrensgesetzes - derzeit noch nicht vollständig an die Dublin II Verordnung angepasst wurden, ist nach Auffassung des Gerichts das bestehende Recht nach Möglichkeit analog anzuwenden. Dies bedeutet auch, dass § 29 Abs. 3 AsylVfG - der unmittelbar auf völkerrechtliche Verträge anzuwenden ist - hier analoge Anwendung finden kann. Dies bedeutet, dass eine entsprechende Entscheidung des Bundesamtes über die Unbeachtlichkeit des Asylantrages auf der Grundlage von § 29 Abs. 3 AsylVfG analog ergehen kann und gegebenenfalls auch eine Abschiebungsandrohung nach §§ 34a ff. AsylVfG ergehen kann. Die analoge Anwendung rechtfertigt sich daraus, dass die vorrangig anzuwendende Dublin II Verordnung selbst keine Regelungen über die verfahrensmäßige Abwicklung des Zuständigkeitsbestimmungsverfahrens durch die nationalen Behörden enthält. Die analoge Anwendung stellt auch sicher, dass der Asylsuchende eine ausreichende Rechtsschutzmöglichkeit erhält.