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Zusammenfassung aus dem Asylmagazin 3/2018:
Der EGMR verurteilte Bulgarien wegen mangelhafter Bedingungen für minderjährige Schutzsuchende in einer Hafteinrichtung der Grenzpolizei.
Bei den Beschwerdeführenden handelt es sich um ein Ehepaar aus dem Irak und ihre drei Söhne, die im Jahr 2015 16, 11 und anderthalb Jahre alt waren. Die Familie wurde im August 2015 beim Überqueren der serbisch-bulgarischen Grenze festgenommen. Verschiedene Gegenstände, darunter Windeln und Babynahrung, wurden ihnen abgenommen. Ein Mobiltelefon, mit dem sie später die Haftbedingungen auf Video festhielten, konnten sie verbergen. Sodann wurden sie anderthalb Tage in einer Hafteinrichtung der Grenzpolizei festgehalten. Die Betroffenen gaben an, in ihrer Zelle nichts zu essen oder trinken erhalten zu haben. Es sei ihnen auch nicht erlaubt worden, auf die Toilette zu gehen, so dass sie auf den Boden urinieren mussten. Die Mutter und ihr Kleinkind wurden in einem Krankenhaus untersucht, dann aber für eine weitere Nacht in die Zelle zurückgebracht. Am zweiten Abend sei ihnen von den Wachen gegen Bezahlung Essen angeboten worden. Nach Verlegung stellten die Betroffenen Asylanträge, wurden aus der Haft entlassen, reisten in die Schweiz und erhielten dort Asyl.
Vor dem EGMR machten die Beschwerdeführenden eine Verletzung von Art. 3 EMRK in Bezug auf die drei Kinder geltend.
Der Gerichtshof erklärte die Beschwerde für zulässig, obwohl die Betroffenen den innerstaatlichen Rechtsweg nicht i. S. v. Art. 35 Abs. 1 EMRK durch Erhebung einer Schadensersatzklage erschöpft hatten. Er meinte, dass eine solche Klage von ausländischen Betroffenen nicht zum Erfolg geführt hätte. Das Video, welches die Betroffenen in ihrer Zelle aufgenommen hatten, ließ der EGMR als Beweismittel zu und wies auf die Relevanz solcher Beweise insbesondere im Hinblick auf Haftbedingungen hin.
Unter Bezug auf seine Entscheidungen in den Rechtssachen Khlaifia gg. Italien (siehe EGMR-Rechtsprechungsübersicht im Asylmagazin 1–2/2017, S. 33), A. M. u. a. gg. Frankreich (Asylmagazin 10/2016, S. 347) sowie A. A. und A. F. gg. Frankreich (Asylmagazin 1–2/2015, S. 18) zur Inhaftierung von Minderjährigen stellte der EGMR fest, dass die Dauer der Inhaftierung im vorliegenden Fall viel kürzer war als in den früheren Fällen, die Haftbedingungen aber erheblich schlechter. Angesichts der extremen Verwundbarkeit von Minderjährigen und der erheblichen körperlichen und psychischen Auswirkungen solcher Haftbedingungen stellte der Gerichtshof fest, dass die drei Söhne der Betroffenen einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK unterworfen wurden.
Der EGMR stellte abschließend fest, dass trotz der stark erhöhten Zahl von Personen, die 2015 nach Bulgarien einreisten, kein Notstand vorlag. Daher sei es möglich gewesen, zumindest minimal angemessene Bedingungen für Minderjährige in Kurzhafteinrichtungen an der Grenze sicherzustellen.
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Zusammenfassung aus dem Asylmagazin 4-5/2016:
Der EGMR verurteilte Ungarn in diesem Fall wegen unzureichender Aufklärung eines Vorfalls, der sich während eines Anti-Roma-Aufmarsches ereignete. Die Beschwerdeführerin war von Mitgliedern einer rechtsextremen Bürgerwehr während einer viertägigen Kundgebung in einem mehrheitlich von Roma bewohnten Viertel verbal bedroht und beleidigt worden. Sie erstattete Anzeige wegen »Gewalt gegen eine ethnische Gruppe«, Bedrohung und versuchter schwerer Körperverletzung. Die Behörden nahmen daraufhin Ermittlungen nur bezüglich der Bedrohungs- und Körperverletzungstatbestände auf und stellten diese nach einigen Monaten ein.
Im Verfahren vor dem EGMR machte die Beschwerdeführerin Verletzungen von Art. 3 und Art. 14 EMRK (Diskriminierungsverbot) wegen unzureichender Ermittlungen geltend. Außerdem sah sie sich in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben aus Art. 8 EMRK beeinträchtigt, da sie nicht ausreichend vor rassistischer Bedrohung geschützt worden war.
Der EGMR wies die Beschwerde bezüglich Art. 3 und Art. 14 EMRK als unzulässig zurück, da die rechtsextremen Demonstranten von Sicherheitsbehörden ausreichend beaufsichtigt worden seien und die Folgen der gegenüber der Beschwerdeführerin gemachten Äußerungen nicht die Schwelle einer Verletzung von Art. 3 EMRK überschritten hätten.
Im Hinblick auf Art. 8 EMRK ging der Gerichtshof davon aus, dass der Vorfall die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Privatleben beeinträchtigte. Da die Beschimpfungen und Bedrohungen im Rahmen der Kundgebung von Mitgliedern einer rechtsextremen Bürgerwehr ausgingen und sich gegen ihre Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit richteten, hätten die Ermittlungsbehörden rassistische Beweggründe berücksichtigen müssen. Das Versäumnis der Behörden, die rassistischen Motive zu ermitteln, stelle eine Verletzung von Art. 8 EMRK dar.
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Zusammenfassung aus dem Asylmagazin 4-5/2016:
Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er wurde in Athen im August 2009 von einer Gruppe maskierter Personen mit Messern und Metallstangen angegriffen und schwer verletzt. Unmittelbar nach einem mehrtägigem Krankenhausaufenthalt wurde er wegen fehlender Aufenthaltserlaubnis in Polizeigewahrsam genommen. Dort stellte er einen Asylantrag und beantragte seine Entlassung. Er brachte vor, trotz seines schlechten Gesundheitszustandes im Gewahrsam keine ausreichende medizinische Versorgung erhalten zu haben und nicht zur Ermittlung seiner Angreifer herangezogen worden zu sein, owohl ein Landsman diese bereits identifiziert habe. Diese Beschwerden wurden nicht beantwortet. Nach etwa zehn Tage wurde der Beschwerdeführer entlassen und erhielt eine Ausreiseaufforderung. Die Ermittlungen bezüglich des Angriffs wurden eingestellt, da die Täter nicht identifiziert werden konnten.
Der Beschwerdeführer machte im Verfahren vor dem EGMR geltend, aufgrund der unzureichenden Aufklärung des Angriffs auf seine Person in seinem Recht auf Leben aus Art. 2 EMRK verletzt zu sein. Ferner würden die Bedingungen in Polizeigewahrsam eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung i. S. d. Art. 3 EMRK darstellen. Schließlich sah er sich aufgrund fehlender Beschwerdemechanismen bezüglich der Gewahrsamsbedingungen in seinem Recht auf wirksame Beschwerde aus Art. 13 EMRK verletzt.
Der EGMR sah in diesem Fall Art. 2 EMRK als nicht berührt an, da sich der Beschwerdeführer trotz schwerwiegender Verletzungen nicht in Lebensgefahr befunden habe. Bezüglich der Bedingungen in Polizeigewahrsam bemerkte der Gerichtshof, dass der griechische Ombudsman bereits von Überbelegung berichtet hatte und der UN?Sonderberichterstatter über Folter moniert hatte, dass Migranten unter mangelhaften Bedingungen festgehalten würden. Mit Blick darauf, dass die Polizei nicht geklärt hatte, ob der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers eine Ingewahrsamnahme zuließ, dass er keine Möglichkeit hatte, sich zu waschen und seine Wunden zu pflegen und dass er durchgehend seine blutbefleckten Kleidungstücke tragen musste, bejahte der EGMR eine Verletzung von Art. 3 EMRK. Zudem habe ein Verstoß gegen Art. 13 EMRK vorgelegen, da dem Beschwerdeführer keine wirksamen Beschwerdemechanismen bezüglich der Gewahrsamsbedingungen zur Verfügung gestanden hätten. Schließlich stellte der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 3 EMRK in dessen verfahrensrechtlichen Rahmen fest, da die Behörden bezüglich des Angriffs auf den Beschwerdeführer keine ausreichenden Ermittlungen angestellt hätten. Der Beschwerdeführer sei nicht zu dem Angriff befragt worden, und nicht zur Identifizierung der Täter herangezogen worden. Ferner habe der Umgang mit dem Zeugen, der als unerlaubt eingereiste Person im Ermittlungsverfahren besonders verletzlich war, dazu geführt, dass dieser keine zuverlässigen Aussagen gemacht habe.
In diesem Rahmen verwies der Gerichtshof auf Berichte von internationalen NGOs und griechischen Institutionen, die auf rassistische Gewalt im Zentrum Athens hinwiesen und die Polizei wegen erheblicher Versäumnisse bei der Aufklärung dieser Angriffe kritisierten. Der Gerichtshof bemerkte, dass die Ermittlungsbehörden Zusammenhängen zwischen dem Angriff auf den Beschwerdeführer und anderen ähnlichen Vorfällen hätten nachgehen müssen.
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Zusammenfassung aus dem Asylmagazin 12/2015:
Die Haftbedingungen und der sich dadurch verschlechternde Gesundheitszustand sind Gegenstand eines Verfahrens, das von einem Häftling in Belgien angestrengt wurde. Der Beschwerdeführer, Farid Bamouhammad, ist französischer Staatsangehöriger. Zwischen 1984 und 2008 wurde er in zahlreichen Urteilen in Belgien wegen Entführung, Raub und Mordes verurteilt. 2007 stellte ein Psychiater fest, dass der Beschwerdeführer am »Ganser Syndrom« leide. Die Krankheit wird auch als Gefängnis- Psychose bezeichnet. Es wurde festgestellt, dass sich sein Gesundheitszustand durch Gefängnisverlegungen und spezielle Haftbedingungen verschlechtern würde. Zwischen 2006 und 2014 wurde der Beschwerdeführer dennoch nahezu 40 Mal von einem Gefängnis zum anderen verlegt. Dabei war er zeitweise über längere Zeit wegen seiner mangelnden Disziplin und Gewalttätigkeit an Händen und Füßen gefesselt. Er unterlag besonders strengen Haftbedingungen wie Einzelhaft, häufigen Durchsuchungen und der teilweisen Fesselung mit Handschellen.
Der Gerichtshof verurteilte Belgien wegen einer Verletzung von Art. 3 EMRK (Verbot der Folter, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung). Für die häufigen Gefängnisverlegungen konnte der Gerichtshof keine nachvollziehbare Begründung feststellen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass mehrere psychologische Gutachten festgestellt hatten, dass sie einen negativen Effekt auf den psychichen Zustand des Beschwerdeführers hätten. Dementsprechend stellte der Gerichtshof fest, dass keine ausgewogene Balance der Gefängnisleitung zwischen der Sicherheit und humanen Haftbedingungen erreicht wurde. Eine wirksame psychologische Betreuung des Beschwerdeführers sei durch die zahlreichen Verlegungen in andere Gefängnisse verhindert worden.
Dementsprechend stellte der Gerichtshof fest, dass die Haftbedingungen den Beschwerdeführer in eine Notlage von so hoher Intensität gebracht hätten, dass das in der Haft hinzunehmende Leiden überschritten worden sei und daher eine Verletzung von Art. 3 EMRK als unmenschliche Behandlung vorgelegen habe. Der Gerichtshof stellte auch eine Verletzung von Art. 13 EMRK (Recht auf effektiven Rechtsschutz) in Verbindung mit Art. 3 EMRK fest. Durch die häufigen Gefängnisverlegungen – die durch die staatlichen Behörden ohne Notwendigkeit verursacht wurden – zeigte sich der zur Verfügung stehende gerichtliche Schutz als unwirksam, da die von dem Beschwerdeführer angestrengten Verfahren gegen seine Behandlung jeweils aufgrund der Verlegungen eingestellt worden waren. Der Gerichtshof sah darin eine Verletzung von Art. 13 EMRK in Verbindung mit Art. 3 EMRK.
Der Gerichtshof sprach eine Empfehlung für Belgien aus, einen effektiven Rechtschutz für Gefängnisinsassen zu schaffen, der auch bei Gefängnisverlegungen gültig bleibt.
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Zusammenfassung aus dem Asylmagazin 12/2015:
Der Beschwerdeführer A. Y. ist irakischer Staatsangehöriger. Gegenstand des Verfahrens waren die Zustände in griechischen Haftanstalten und die Bearbeitung seines Asylantrags. A. Y. hatte nach seinen Angaben Todesdrohungen wegen seiner Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Militär erhalten und war daher aus dem Irak geflohen. Er wurde am 10. Oktober 2010 in Tychero/Griechenland wegen illegaler Einreise verhaftet und in der Haftanstalt des dortigen Grenzpostens untergebracht. Am 14. Oktober wurde seine Abschiebung in die Türkei verfügt, die jedoch verschoben wurde, da sich die türkischen Behörden weigerten, den Beschwerdeführer aufzunehmen.
Der Griechische Flüchtlingsrat bat die griechische Asylbehörde erfolglos darum, den Beschwerdeführer als Asylantragsteller zu registrieren. Laut einem Attest von Ärzte ohne Grenzen litt der Beschwerdeführer unter Asthma, das sich unter den Bedingungen der Haft verschlechterte. Im Dezember 2010 legte der Beschwerdeführer eine Beschwerde gegen seine Haft ein mit der Begründung, dass sein Asylverfahren noch nicht abgeschlossen sei und in Haft katastrophale Hygienezustände herrschten. Im Januar 2011 wurde er aus der Haft entlassen.
Der Gerichtshof stellte einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK fest: Die Haftbedingungen in der Haftanstalt seien unmenschlich gewesen, insbesondere unter Berücksichtigung der Länge der Haft für den Beschwerdeführer. Die griechischen Behörden hätten auf die Informationsanfrage bezüglich seines Asylbegehrens nicht ordungsgemäß reagiert und den Eindruck vermittelt, dass das Asylbegehren nicht registriert worden sei, ohne diese Tatsache nachgeprüft zu haben. Das bedeute, dass der Beschwerdeführer während seiner Haft der Gefahr der Abschiebung in die Türkei ausgesetzt worden sei mit der möglichen Konsequenz einer Kettenabschiebung in den Irak, wo für den Beschwerdeführer Foltergefahr bestanden hätte.
Art. 5 Abs. 1 Bst. f EMRK (Recht auf Freiheit und Sicherheit) wurde laut dem EGMR nicht verletzt, da die Haft gesetzlich vorgesehen war, einem legitimen Zweck folgte und die Länge nicht exzessiv war. Weiter traten im Januar 2011 Gesetze in Griechenland in Kraft, nach denen Antragsteller gegen angeordnete Haft eine wirksame Beschwerde gegen die Haftbedingungen und ihre Rechtmäßigkeit einlegen können. Dementsprechend, so der Gerichtshof, habe auch kein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 4 EMRK (Recht auf effektiven Rechtsschutz bei Freiheitsentziehung) vorgelegen.
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Zusammenfassung aus dem Asylmagazin 10/2015:
Der EGMR verurteilte in der vorliegenden Entscheidung Italien wegen der Behandlung von Migranten aus Tunesien, die per Boot nach Lampedusa gekommen waren.
Die Beschwerdeführer hatten im September 2011 infolge der Unsicherheiten in Zusammenhang mit dem »arabischen Frühling« Tunesien auf dem Seeweg verlassen. Ihre Boote waren durch italienische Polizeikräfte aufgebracht und nach Lampedusa eskortiert worden. Dort waren die Beschwerdeführer in ein Internierungslager (Centro di Soccorso e Prima Accoglienza) gebracht worden.
Die Einrichtung war nach den Erkenntnissen des Gerichtshofs völlig überfüllt und die hygienischen Verhältnisse erschreckend: Es fehlten Türen, um Toiletten und Duschen zu verschließen, die Wasserversorgung war eingeschränkt. Die inhaftierten Personen mussten auf dem Boden schlafen und es war ihnen verboten, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen. Die Kontaktsperre wurde durch ständige Überwachung sichergestellt. Nach einem Aufstand der Inhaftierten, bei dem das Lager teilweise durch Feuer zerstört wurde, wurden sie in einem Sportpark untergebracht. Die Beschwerdeführer nahmen an einer Demonstration von etwa 1800 Migranten in Lampedusa teil. Sie wurden erneut verhaftet, nach Palermo geflogen und auf Schiffen untergebracht, die ebenfalls überfüllt waren und auf denen schlechte hygienische Verhältnisse herrschten. Zusätzlich wurden sie durch Polizeibeamte beschimpft und misshandelt. Nach fünf bis sieben Tagen wurden sie zum Flughafen Palermo gebracht, vom tunesischen Konsul identifiziert und nach Tunesien abgeschoben. Die Abschiebung wurde auf eine bilaterale Vereinbarung der beiden Staaten gestützt. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Beschwerdeführer ihrer Freiheit unter Verletzung von Art. 5 Abs. 1 EMRK beraubt wurden, da es im nationalen italienischen Recht keine Grundlage für ihre Inhaftierung gab. Weiter stellte die Haft eine willkürliche Behandlung dar. Auch wurden die Beschwerdeführer nicht über die rechtlichen oder tatsächlichen Umstände ihrer Inhaftierung informiert.
In Bezug auf die Haftbedingungen nahm der Gerichtshof zur Kenntnis, dass zu der maßgeblichen Zeit ein Ausnahmezustand herrschte. Durch 50 000 Neuankömmlinge aus Tunesien und Libyen waren die italienischen Behörden mit zahlreichen Aufgaben schwer belastet (Seerettung, medizinische Versorgung, Unterbringung der Migranten und Sicherstellung der öffentlichen Ordnung). Dennoch, so der Gerichthof, war Italien dadurch nicht von seiner menschenrechtlichen Verantwortung freigestellt. Das Verbot der unmenschlichen Behandlung gemäß Art. 3 EMRK gilt absolut und kann nach Art. 15 EMRK weder durch Krieg noch durch einen anderen Notstand eingeschränkt werden.
Auch stellte der Gerichtshof fest, dass die Abschiebungen der Beschwerdeführer einen Verstoß gegen das Verbot der Kollektivausweisung darstellten. Zwar hatte jeder einzelne Beschwerdeführer schriftliche Ausweisungsentscheidungen erhalten, diese waren jedoch identisch, ohne jeglichen Hinweis auf die persönliche Situation. Weder war zuvor eine Befragung der Antragsteller durchgeführt worden, noch konnten die Antragsteller die Abschiebungsentscheidung gerichtlich überprüfen lassen. Mit der Verurteilung Italiens stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte klar, dass Migranten und Flüchtlinge ein Recht auf Achtung ihrer Menschenwürde haben, auch wenn sehr viele in sehr kurzer Zeit kommen und das Ankunftsland darauf schlecht vorbereitet ist.
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Zusammenfassung aus dem Asylmagazin 9/2015:
Im Fall von E. A. ging es erneut um das griechische Asylsystem. Beim Beschwerdeführer E. A. handelt es sich um einen iranischen Staatsangehörigen, der aus dem Iran geflohen war, nachdem er dort eine Gefängnisstrafe abgesessen hatte. Er wurde vom 2. August bis zum 8. Oktober 2010 in Griechenland in Abschiebungshaft genommen. Zu diesem Zweck wurde er in der Haftanstalt der Grenzpolizei Soufli und Venna festgehalten. Der Beschwerdeführer gab an, bei seiner Ankunft in Griechenland einen Antrag auf Flüchtlingsschutz gestellt zu haben. Dieser Antrag wurde jedoch nicht registriert. Erst später (nach seiner Ausreise aus Griechenland) erfuhr der Beschwerdeführer, dass dennoch ein Asylverfahren stattgefunden hatte, bei dem sein Antrag abgelehnt worden war. Gegen die Haftbedingungen im Gewahrsam der Grenzpolizei legte E. A. wiederholt Beschwerde ein. Seine zweite Beschwerde hatte Erfolg und er wurde freigelassen, da das griechische Verwaltungsgericht entschied, dass er in keiner angemessenen Einrichtung untergebracht gewesen sei. Der Antragsteller flüchtete nach Schweden weiter, wo er Flüchtlingsschutz erhielt. Die Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte richtete sich vor allem gegen die Bedingungen in der Haftanstalt der Grenzpolizei in Griechenland, in der eine hohe Überbelegung herrschte, mangelhafte Hygiene und mangelnder Zugang zum Tageslicht.
Der Gerichtshof urteilte, dass aufgrund der Haftbedingungen für den Antragsteller eine erniedrigende Behandlung nach Art. 3 EMRK vorlag. Darüber hinaus lag eine Verletzung von Art. 13 EMRK (Recht auf eine wirksame Beschwerde) vor, da der Antragsteller keine effektiven Rechtsschutzmöglichkeiten hatte und das griechische Asylsystem erhebliche Defizite aufwies. Darüber hinaus war die Beschwerde über seine Haft nicht effektiv behandelt worden. Dementsprechend lag auch eine Verletzung von Art. 5 Abs. 4 EMRK vor (Recht auf kurzfristige gerichtliche Überprüfung von Haft).
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Zusammenfassung aus dem Asylmagazin 4/2015:
In dieser Rechtssache hat der EGMR Ungarn in einem Pilotverfahren wegen der Unterbringung von Gefangenen verurteilt (siehe zum Instrument des Pilotverfahrens den Fall »Neskov u. a. gegen Bulgarien«, Asylmagazin 3/2015, S. 74 f.). Die Umstände der Haft stellten nach Ansicht des Gerichts einen Verstoß gegen Art. 3 und Art. 13 EMRK (Recht auf effektiven Rechtsschutz) dar.
Der Gerichtshof stellte fest, dass der begrenzte persönliche Raum aller sechs Antragsteller in diesem Fall – verschlimmert durch fehlende Privatsphäre für Toilettengänge, mangelnde Schlafmöglichkeiten, Insektenbefall, mangelnde Lüftung und Beschränkungen im Zugang zu Sanitäreinrichtungen zur Körperpflege – zu einer erniedrigenden Behandlung führten. Der Fall wird als Pilotverfahren durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte behandelt, da etwa 450 ähnliche Fälle anhängig sind, die Beschwerden über die mangelhaften Bedingungen in ungarischen Gewahrsamseinrichtungen enthalten und damit ein weitreichendes Problem innerhalb des ungarischen Gefängnissystems aufzeigen. Der Gerichtshof stellt in dem Urteil fest, dass Ende 2013 über 5 000 Gefangene in Untersuchungshaft gehalten wurden und daher Ungarn zur Verbesserung der Überbelegung andere Maßnahmen unterhalb der Schwelle einer Inhaftierung wählen sollte.
Zusätzlich wurde Ungarn verurteilt, gegen Art. 13 EMRK verstoßen zu haben. Es gebe zwar Rechtsschutzmöglichkeiten im nationalen Recht, um gegen die Bedingungen im Gewahrsam vorzugehen, diese seien allerdings ineffektiv. Ungarn wird im Urteil dazu angehalten, innerhalb von sechs Monaten nach Rechtskraft des Urteils einen Zeitplan vorzulegen, wie Garantien gegeben werden können, um effektive Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention im Bereich der Gewahrsamseinrichtungen einzurichten. Da bislang keine relevanten Maßnahmen des ungarischen Staates erkennbar sind, hielt der Gerichtshof es nicht für gerechtfertigt, vergleichbare Fälle zum jetzigen Zeitpunkt zu vertagen (wie es bei einem Pilotverfahren möglich ist).
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Zusammenfassung aus dem Asylmagazin 3/2015:
Mit dieser Entscheidung verurteilte der EGMR in einer Kammerentscheidung Bulgarien wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 (Verbot von unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) und wegen der Verletzung von Art. 13 (Recht auf eine wirksame Beschwerde).
Die Betroffenen in dem Fall Neskov und andere waren in unterschiedlichen Hafteinrichtungen in Bulgarien inhaftiert. Diese Einrichtungen waren vollkommen überbelegt, so dass den Betroffenen lediglich ein Platz von 2 qm zur Verfügung stand. Ebenso bestand kein Zugang zu Toiletten, so dass die Betroffenen in Gegenwart der anderen Inhaftierten einen Eimer für ihre Toilettengänge benutzen mussten. Diese Umstände in den Hafteinrichtungen stellten für den EGMR unmenschliche und erniedrigende Behandlung dar.
Der Gerichtshof entschied diesen Fall in einem neu entwickelten Pilotverfahren. Bei einem solchen sollen strukturelle Probleme herausgestellt werden, die sich bei sich wiederholenden Fällen in einem Land zeigen. Wenn der Gerichtshof viele Anträge von Betroffenen erhält, die sich auf dieselben Gründe stützen, kann er einen oder mehrere Fälle vorziehen und zum Pilotverfahren erklären. Dabei entscheidet er nicht nur darüber, ob eine Verletzung der Menschenrechtskonvention im jeweiligen Einzelfall vorliegt. Vielmehr soll er auch die systemischen Probleme identifizieren und der Regierung klare Hinweise darauf geben, wie diese Probleme behoben werden können.
Der Gerichtshof hat bereits in mehr als 20 Fällen Bulgarien verurteilt und es bestehen mehr als 40 weitere Beschwerden, die die Haftbedingungen in Bulgarien betreffen. Dementsprechend hebt das vorliegende Urteil die systemischen Probleme innerhalb des bulgarischen Gefängnissystems hervor.
Aufgrund der Verletzung des Rechts auf eine wirksame Beschwerde fordert der Gerichtshof in der Leitentscheidung Bulgarien auf, sein Rechtssystem so zu ändern, dass jede Person, die unter schlechten Bedingungen in Haft gehalten wird, die Möglichkeit zu einer Beschwerde wegen Verletzung von Art. 3 EMRK hat. Dies ist zu verbinden mit Möglichkeiten, sofortige Abhilfe – präventiv oder als Entschädigung – zu schaffen.
Der Gerichtshof verurteilte Bulgarien dazu, in Kooperation mit dem Ministerkomitee des Europarats innerhalb von 18 Monaten nach Rechtskraft des Urteils ein effektives Beschwerdesystem in Bezug auf schlechte Haftbedingungen aufzubauen.
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Zusammenfassung aus dem Asylmagazin 1-2/2015:
Der Fall Mahammad und andere, in dem der Gerichtshof Griechenland wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK verurteilte, betraf 14 Ausländer, die nach Griechenland ohne Dokumente eingereist waren und dementsprechend in Abschiebungsgewahrsam genommen worden waren. Sie blieben in Haft, obwohl sie Asylanträge stellten. Der Gerichtshof bestätigte, dass die Kläger aufgrund der Zustände im Haftzentrum Fylakio unmenschlicher Behandlung ausgesetzt waren. In Bezug auf die Bedingungen in Haft bezog sich der Gerichtshof auf zahlreiche Berichte des Europäischen Kommittees zur Prävention von Folter (CPT), UNHCR, lokaler Nichtregierungsorgansiationen sowie von Pro Asyl, daneben auch auf die eigene Rechtsprechung (A F gegen Griechenland oder de los Santos und de la Cruz gegen Griechenland). Der Gerichtshof stellte daher im vorliegenden Fall fest, dass aufgrund der Überbelegung und der erbärmlichen hygienischen Zustände in Haft eine Verletzung von Art. 3 EMRK vorliegt. Auch in Bezug auf Art. 5 Abs. 4 EMRK (Recht auf Überprüfung der Freiheitsentziehung) stellte der Gerichtshof eine Verletzung fest, da durch das zuständige behördliche Tribunal keine ausreichende Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung stattgefunden hatte.
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Zusammenfassung aus dem Asylmagazin 12/2014:
Der EGMR verurteilte in dieser Entscheidung Griechenland, weil die Haftbedingungen, denen der aus Bangladesch stammende Toiabali MD ausgesetzt war, eine Verletzung von Art. 3 EGMR darstellten. Der Gerichtshof stellte ebenfalls fest, dass die griechischen Behörden gegen das Recht auf eine schnelle Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft verstoßen hatten. Darüber hinaus befand er, dass das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person verletzt wurde.
Am 12. Mai 2009 war der Betroffene erstmals von der griechischen Polizei verhaftet worden. Er wurde wegen rechtswidrigen Aufenthalts zur Ausreise aufgefordert. Herr MD unterließ es, Griechenland zu verlassen und wurde 2011 erneut festgenommen. Zwischen dem 4. Januar und dem 15. März 2011 befand er sich bei der Ausländerpolizei in Thessaloniki in Haft. Herr MD machte geltend, dass das Haftzentrum überfüllt gewesen sei, keine Bewegungs- und Sportmöglichkeiten bestanden hätten und dass die Ernährung mangelhaft gewesen sei. Es hätte nur eine Toilette für zehn Personen zur Verfügung gestanden. Der Gerichtshof sah ausreichende Beweise dafür vorliegen, dass die Haftbedingungen eine erniedrigende Behandlung dargestellt hätten und daher eine Verletzung der EMRK vorliege. Dies steht im Einklang mit verschiedenen Urteilen des EGMR, in denen Griechenland zuvor bereits wegen unmenschlicher und erniedrigender Haftbedingungen verurteilt wurde (vgl. HH gg. Griechenland; FH gg. Griechenland und Tatsihvili gg. Griechenland).