Fachkräfteeinwanderung: Inkrafttreten der Chancenkarte und weiterer Neuregelungen zum 1. Juni 2024

Zum 1. Juni 2024 ist die dritte und letzte Stufe des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung in Kraft getreten. Umgesetzt wurden nun insbesondere die Regelungen zur Chancenkarte und eine Ausweitung der sogenannten Westbalkanregelung. Außerdem ist es künftig in vielen Fällen (vor allem bei Studienzwecken) nicht mehr notwendig, dass die Ausländerbehörde am Visumverfahren beteiligt werden muss.

Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung wurde im Herbst 2023 verabschiedet und enthielt ein Bündel von Maßnahmen, mit denen insbesondere der Arbeitsmarktzugang von Personen mit akademischer Ausbildung sowie von Personen mit anerkannten beruflichen Qualifikationen verbessert werden soll (siehe hierzu auch die Links unten). Die Neuregelungen des Gesetzes traten in verschiedenen Stufen zum 18. November 2023, zum 1. März 2024 und nun zum 1. Juni 2024 in Kraft. Nachfolgend geben wir eine Übersicht zu den wichtigsten aktuellen Neuerungen:

Chancenkarte

In das Aufenthaltsgesetz werden mit § 20a und §20b AufenthG zwei Bestimmungen eingeführt, die die Vergabe der neuen Chancenkarte regeln: Einleitend findet sich in § 20a Abs. 1 AufenthG die Definition der Chancenkarte als "Aufenthaltserlaubnis zur Suche nach einer Erwerbstätigkeit oder nach Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen." Die Chancenkarte kann an diese beiden Personengruppen erteilt werden:

  • Fachkräfte im Sinne von § 18 Abs. 3 AufenthG (also Personen mit einer anerkannten Hochschulausbildung oder mit einer qualifizierten Berufsausbildung, die entweder in Deutschland absolviert wurde oder als gleichwertig mit einer in Deutschland absolvierten Ausbildung anerkannt wurde)
  • Personen, die eine ausreichende Punktzahl nach dem neu eingeführten Punktesystem erreicht haben. Die Eigenschaften und Qualifikationen, für die Punkte vergeben werden, sind im neuen § 20b AufenthG aufgelistet, die jeweils zu erreichende Punktzahl ist in einer Anlage zum AufenthG zu finden:
    • Berufliche Qualifikation, sofern die "teilweise Gleichwertigkeit" einer im Ausland erworbenen Qualifikation mit einem in Deutschland anerkannten Abschluss festgestellt wurde – also für die volle Anerkennung der Qualifikation noch "Anpassungs- und Ausgleichsmaßnahmen" erforderlich sind: 4 Punkte
    • Qualifikation in einem sogenannten Mangelberuf (im Sinne von § 18g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthG): 1 Punkt
    • Berufserfahrung: 2–3 Punkte
    • Sprachkenntnisse (Punkte gibt es für Deutschkenntnisse, die über das Niveau A1 hinausgehen sowie für Englischkenntnisse mindestens auf dem Niveau C1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen/GER): 1–3 Punkte
    • Alter (2 Punkte gibt es für Personen unter 35 Jahren sowie 1 Punkt für Personen zwischen 35 und 40 Jahren),
    • (rechtmäßige) Voraufenthalte in Deutschland: 1 Punkt,
    • Der Umstand, dass Ehe- oder Lebenspartner*in ebenfalls die Voraussetzung für die Chancenkarte erfüllen: 1 Punkte.

Insgesamt müssen mindestens sechs Punkte erreicht werden, damit Antragstellende für die Chancenkarte infrage kommen. Allerdings müssen noch diese weitere Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Deutschkenntnisse mindestens auf dem Niveau A1 oder Englischkenntnisse mindestens auf dem Niveau B2 als Mindestvoraussetzung;
  • Im Ausland staatlich anerkannter Hochschulabschluss oder im Ausland anerkannte berufliche Qualifikation, der eine Ausbildung von mindestens zwei Jahren vorausgegangen ist, oder ein von einer deutschen Auslandshandelskammer erteilter Berufsabschluss (in der Regel bescheinigt durch die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen bei der Kultusministerkonferenz – deren "digitale Auskunft zur Berufsqualifikation" zur Zeit allerdings noch nicht zur Verfügung steht);
  • Zwingende Voraussetzung für die Erteilung der Chancenkarte ist die Lebensunterhaltssicherung (§ 20a Abs. 4 AufenthG). Die betroffenen Personen müssen also nachweisen, dass sie über ausreichende Mittel verfügen, um den Lebensunterhalt "ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel" bestreiten zu können (zum Thema der Lebensunterhaltssicherung vgl. die Handreichung des Paritätischen Gesamtverbands vom Januar 2024). Hierfür wird es also regelmäßig notwendig sein, ausreichende finanzielle Mittel in Form eines Sperrkontos oder durch eine Verpflichtungserklärung einer dritten Person nachzuweisen.

Die Chancenkarte wird zunächst für bis zu einem Jahr als "Such-Chancenkarte" erteilt. Wenn ein Arbeitsvertrag oder ein verbindliches Arbeitsplatzangebot für eine qualifizierte Beschäftigung vorliegen, kann eine "Folge-Chancenkarte" für bis zu zwei Jahre ausgestellt werden (§ 20a Abs. 5 AufenthG).

Während der einjährigen Phase der "Such-Chancenkarte" ist eine Nebenbeschäftigung im Umfang von 20 wöchentlichen Arbeitsstunden erlaubt, daneben dürfen Probebeschäftigungen von jeweils zwei Wochen pro Betrieb aufgenommen werden (§ 20a Abs. 2 AufenthG).

Einen Überblick zum System der Punktevergabe sowie zum Ablauf des Verfahrens ist zu finden beim Fachkräfteportal der Bundesregierung make-it-in-germany-com unter diesem Link.

Arbeitsplatzsuche im Anschluss an Aufenthalte im Bundesgebiet

Die Chancenkarte nach §§ 20a und 20b AufenthG löst zugleich die Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche nach § 20 Abs. 1 und Abs. 2 AufenthG ab, die bisher für sechs Monate für Fachkräfte mit Berufsausbildung oder mit akademischer Ausbildung erteilt werden konnte. Da für diese beiden Personengruppen nun die Chancenkarte vorgesehen ist, wurden die entsprechenden Regelungen aus § 20 AufenthG herausgenommen. Dort ist nun nur noch die Arbeitsplatzsuche im Anschluss an Aufenthalte in Deutschland geregelt (früher § 20 Abs. 3 AufenthG). Gemeint sind hiermit zum einen Aufenthalte zu Ausbildungszwecken wie ein Studium, eine qualifizierte Berufsausbildung sowie eine Ausbildung zur Hilfskraft in Pflegeberufen (Pflegeassistent*in oder Pflegehelfer*in). Daneben kommen infrage Aufenthalte zu Forschungszwecken sowie zur Feststellung der Gleichwertigkeit beruflicher Qualifikationen (Aufenthalt nach § 16d AufenthG).

Im Anschluss an diese Varianten des Aufenthalts besteht wie bisher – bei Erfüllung weiterer Voraussetzungen, s.u. – Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis zur Arbeitsplatzsuche, wobei es im Detail einige Änderungen gegeben hat:

  • Die entsprechende Aufenthaltserlaubnis wird regelmäßig für 18 Monate erteilt (§ 20 Abs. 2 AufenthG), womit die Geltungsdauer vereinheitlicht und für einige der genannten Personengruppen verlängert wird. Nur für Personen, die eine Ausbildung als Hilfskraft in einem Pflegeberuf absolviert haben, gilt eine abweichende Regelung (Erteilung der Aufenthaltsdauer für 12 Monate mit einer Verlängerungoption).
  • Weggefallen ist zudem die Einschränkung, dass die Aufenthaltserlaubnis nach § 20 AufenthG nur ausgestellt wird für die Suche nach einem Arbeitsplatz, zu dessen Ausübung die erworbene Qualifikation befähigt. Stattdessen ist jetzt geregelt, dass die Aufenthaltserlaubnis allgemein "zur Suche nach einer Erwerbstätigkeit" berechtigt. Dabei muss es sich um qualifizierte Beschäftigungen handeln bzw. (in Ausnahmefällen) um selbstständige Tätigkeiten, für die nach § 21 AufenthG unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden kann. Damit wurde diese Regelung also analog zu den Fachkräfteregelungen der §§ 18a und 18b AufenthG gestaltet, die seit November 2023 zur Ausübung jeder qualifizierten Beschäfigung berechtigen (nicht nur zur Ausübung einer der Qualifikation entsprechenden Tätigkeit),

Zwingende Voraussetzung für die Aufenthaltserlaubnis nach § 20 AufenthG bleibt allerdings – wie bei der Chancenkarte, s.o. – die Lebensunterhaltssicherung (§ 20 Abs. 2 AufenthG in der neuen Fassung).

Kontingent der Westbalkanregelung verdoppelt

Staatsangehörigen von Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien kann aufgrund der in der Beschäftigungsverordnung enthaltenen "Westbalkanregelung" (§ 26 Abs. 2 BeschV) die Zustimmung zur Beschäftigung in Deutschland erteilt werden. Das bedeutet in der Regel, dass Personen, die ein Jobangebot aus Deutschland haben, bei der deutschen Auslandsvertretung ein Visum zur Arbeitsaufnahme beantragen. Nach einer Prüfung verschiedener Voraussetzungen kann die Arbeitsagentur dann die sogenannte Vorabzustimmung erteilen, die Voraussetzung für die Erteilung des Visums ist. Das Kontingent der jährlich auf diese Weise zu vergebenden Visa wird durch eine Änderung in § 26 Abs. 2 BeschV von 25.000 auf 50.000 erhöht.

Beteiligung der Ausländerbehörden im Visumverfahren

Aufgrund von Änderungen in § 31 der Aufenthaltsverordnung (AufenthV) ist es in verschiedenen Konstellationen nicht mehr notwendig, dass die Ausländerbehörde des künftigen Wohnorts der Erteilung eines Visums zustimmen muss. Laut der Begründung der Bundesregierung (Bundesrats-Drucksache 284/23 vom 21.6.2023, externer Link zu bundesrat.de, S. 64) entfällt die Beteiligung der Ausländerbehörde damit künftig bei diesen Aufenthaltszwecken:

  • Aufenthalte zur Forschung (§ 18d AufenthG),
  • bestimmte Aufenthalte zum Zweck der Ausbildung:
    • § 16a AufenthG [Berufsausbildung; berufliche Weiterbildung],
    • § 16b [Studium],
    • § 16d AufenthG [Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen], 
    • § 16e  AufenthG  [Studienbezogenes  Praktikum  EU]  und 
    • § 16f  Absatz 1 AufenthG [Sprachkurs und Schüleraustausch],
  • Aufenthalte zum Zweck der Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz (§ 17 AufenthG) sowie
  • Aufenthalt mit einer Chancenkarte (§ 20a AufenthG).

Für alle diese Aufenthalte gilt nun, dass die Zustimmung der Ausländerbehörde zur Visumerteilung nur dann erforderlich ist, wenn sich "der Ausländer zuvor im Bundesgebiet auf der Grundlage einer Duldung oder einer Aufenthaltsgestattung aufgehalten hat oder wenn gegen ihn aufenthaltsbeendende Maßnahmen erfolgt sind." Die Bundesregierung erhofft sich hiervon eine spürbare Entlastung der Ausländerbehörden, die damit beispielsweise bei Studienaufenthalten nur noch in wenigen Fällen am Visumverfahren beteiligt werden müssen (Bundesrats-Drucks. 284/23, Link s.o.).


Hinweis

Aufgrund vielfältiger Gesetzesänderungen können einzelne Arbeitshilfen in Teilen nicht mehr aktuell sein. Wir bemühen uns, so schnell wie möglich eine aktualisierte Version zu verlinken. Bis dahin bitten wir Sie, auf das Datum der Publikation zu achten und zu überprüfen, ob die Informationen noch korrekt sind.

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