Das Verfahren vor dem EUGH (Urteil vom 18.06.2024 - C-753/22 - QY gg. Deutschland - asyl.net: M32485) betrifft die Frage, ob ein Mitgliedstaat bei der erneuten Prüfung eines Asylantrages an die bereits ergangene Entscheidung des anderen Mitgliedstaates gebunden ist. Diese Frage stellt sich vor allem dann, wenn Personen, die in einem anderen EU-Staat bereits den Flüchtlingsschutz oder einen anderen Schutzstatus erhalten haben, in Deutschland erneut Asyl beantragen und nicht in das Land zurückkehren können, wo ihnen Schutz gewährt wurde. Dann ist der Asylantrag unter Umständen erneut in Deutschland zu prüfen. Dem liegt zugrunde, dass ein Asylantrag gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden kann, wenn ein anderer Mitgliedstaat bereits internationalen Schutz zuerkannt hat. Eine Ablehnung als unzulässig kommt nur dann nicht in Betracht, wenn aufgrund der Lebensumstände, die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der GR- Charta/Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr in den Mitgliedstaat zu erwarten wäre (vgl. in EuGH, Urteil vom 19.03.2019 - C-297/17; C-318/17; C-319/17, C-438/17 - Ibrahim u.a., Magamadov gg. Deutschland - Asylmagazin 5/2019, S. 195 f. - asyl.net: M27127; Urteil vom 13.11.2019 - C-540/17; C-541/17 Deutschland gg. Hamed und Omar - Asylmagazin 1-2/2020, S. 35 f., asyl.net: M27836). Dann wird der Asylantrag inhaltlich geprüft.
In dieser Konstellation war bislang umstritten, ob die hiesigen Behörden die Entscheidung des anderen Staats übernehmen müssen oder ob es ihnen erlaubt ist bzw. sie sogar dazu verpflichtet sein können, eine vollumfängliche neue Prüfung des Antrags durchzuführen.
Der EuGH hat entschieden, dass eine Verpflichtung zur Übernahme der Entscheidung eines anderen Staates nicht besteht. Eine Regelung, wonach sämtliche Rechte, die mit der Flüchtlingsanerkennung oder dem subsidiären Schutz einhergehen, von allen anderen EU-Staaten anerkannt werden muss und somit in der gesamten EU wirksam sein soll, sei bislang nicht umgesetzt. Daher bestehe auch keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die von einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung über internationalen Schutz automatisch anzuerkennen.
In Fällen, in denen die Entscheidung über die Zuerkennung von internationalem Schutz eines anderen Mitgliedstaats nicht übernommen wird, bestehe aber eine Verpflichtung zum Informationsaustausch mit diesem Mitgliedstaat, Alle Anhaltspunkte, die zur ursprünglichen Entscheidung geführt haben, seien in vollem Umfang zu berücksichtigen.
Neu ist somit, dass in die (neue) vollumfängliche Prüfung des Asylantrages die Entscheidung des Mitgliedstaates, der bereits eine Entscheidung getroffen hat, miteinzubeziehen ist. Dabei muss die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, die über den neuen Antrag zu entscheiden hat, unverzüglich einen Informationsaustausch mit der zuständigen Behörde des anderen Mitgliedstaates einleiten. In diesem Verfahrensschritt soll mitgeteilt werden, dass ein erneuter Antrag gestellt wurde und eine dazugehörige Stellungnahme übermittelt werden. Angefordert werden sollen alle Informationen von dem Mitgliedstaat, die zur Zuerkennung des internationalen Schutzes geführt haben. Diese Informationen sollen dazu dienen, die Prüfung des erneuten Asylantrages in voller Kenntnis der Sachlage vorzunehmen. Vollumfänglich zu berücksichtigen sind dabei die Entscheidung über den Status selbst und alle Anhaltspunkte, die zur Zuerkennung des Schutzstatus geführt haben.