EuGH: Das Kindeswohl muss bereits bei Erlass einer Rückkehrentscheidung berücksichtigt werden

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied am 15.02.2023 über die Frage, ob das Kindeswohl und familiäre Bindungen bereits bei Erlass einer Rückkehrentscheidung berücksichtigt werden müssen oder ob eine Berücksichtigung in den Verfahren vor den Ausländerbehörden beim Vollzug der Abschiebung ausreicht.

Mit der vom BVerwG vorgelegten Frage wollte das Gericht wissen, ob die deutsche Rechtslage, wonach eine Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung ungeachtet möglicher inlandsbezogener Abschiebungsverbote aus familiären Gründen ergeht und diese in einem gesonderten Verfahren gegenüber der Ausländerbehörde geltend zu machen sind, mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Denn Art. 5 Bst. a, b Rückführungsrichtlinie (RL 2008/115/EG) bestimmt, dass die Mitgliedstaaten in gebührender Weise das Wohl des Kindes und die familiären Bindungen berücksichtigen.

Teile der Rechtsprechung bejahten in der Vergangenheit die Vereinbarkeit mit Unionsrecht, wenn das Kindeswohl und familiäre Bindungen erst in den Verfahren vor den Ausländerbehörden Berücksichtigung finde. Das BVerwG selbst vertrat diese Ansicht, hatte jedoch an dieser Auffassung zunehmende Zweifel, auch durch andere durch den EuGH ergangene Entscheidungen das Kindeswohl betreffend (siehe BVerwG, Beschluss vom 8.6.2022 - 1 C 24.21 - asyl.net: M30884). Hintergrund ist, dass mit einer Duldung nur die Abschiebung und nicht die Rückkehrentscheidung ausgesetzt ist. Die Rückkehrentscheidung würde bei einer Abweisung der Klage gerade bestandskräftig und die Ausreisefrist begänne zu laufen, obwohl dem Kläger eine freiwillige Ausreise aus Gründen des Kindeswohls und familiärer Bindungen nicht zuzumuten sei.

Der EuGH hat nunmehr mit seiner Entscheidung vom 15.02.2023 (C-484/22 - asyl.net: M31329) klargestellt, dass das Kindeswohl und familiäre Bindungen bereits bei Erlass einer Rückkehrentscheidung, also durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Berücksichtigung finden muss und bei Vorliegen entsprechender inlandsbezogener Abschiebungsverbote keine Rückkehrentscheidung ergehen darf.


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