Durch eine mit dem "Migrationspaket" im Jahr 2019 eingeführte Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes wurden alleinstehende erwachsene Personen, die in einer Gemeinschaftsunterkunft oder Aufnahmeeinrichtung untergebracht sind, in die Regelbedarfsstufe (RBS) 2 eingestuft. Diese Herabstufung bedeutete für die Betroffenen Leistungskürzungen von etwa 10%. Die RBS 2 ist grundsätzlich für Ehe- bzw. Lebenspartner*innen vorgesehen, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie eine Bedarfsgemeinschaft bilden und durch die gemeinsame Haushaltsführung sowie die geteilte Nutzung von Räumlichkeiten geringere Ausgaben haben als alleinstehende Personen. Im Rahmen der Gesetzesänderung des Jahres 2019 wurde dieser Gedanke auf Personen übertragen, die in Gemeinschaftsunterkünften leben. In der Gesetzesbegründung wurde hierzu ausgeführt, dass Personen in Sammelunterkünften eine "Schicksalsgemeinschaft" bildeten und von ihnen daher ein "Zusammenwirtschaften" erwartet werden könne.
Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Neuregelung wurden bereits während des Gesetzgebungsverfahrens geäußert. So wurde darauf hingewiesen, dass das Bundesverfassungsgericht die Kürzung von Sozialleistungen nur in Konstellationen gebilligt habe, in denen partnerschaftlich zusammenlebende Personen eine sogenannte Einstands- und Verantwortungsgemeinschaft bildeten. Dies gelte aber schon nicht für Personen, die freiwillig in einer Wohngemeinschaft leben. Noch weniger könne diese Konstruktion daher auf Personen übertragen werden, die in Gemeinschaftsunterkünften zum Zusammenleben mit ihnen fremden Personen verpflichtet wurden (siehe etwa Stellungnahme der Caritas vom März 2019 sowie Joachim Genge, "Das geänderte Asylbewerberleistungsgesetz" in: Das Migrationspaket, Beilage zum Asylmagazin 8–9/2019, S. 17f.).
Nach dem Inkrafttreten der Neuerungen machten auch zahlreiche Sozialgerichte verfassungsrechtliche Bedenken an der Herabstufung der Leistungen geltend. In einer Reihe von Entscheidungen wurden Sozialbehörden verpflichtet, den Betroffenen Leistungen nach RBS 1 zu gewähren. Andere Gerichte nahmen eine sogenannte verfassungskonforme Auslegung der Norm vor. Damit die Reduzierung der Leistungen gerechtfertigt werden könne, müssten die betroffenen Personen nachweisbar ihren Haushalt gemeinsam mit anderen Personen führen. Die Beweislast hierfür trage die Behörde, die für die Leistungsgewährung zuständig sei (siehe etwa die Materialsammlung und Rechtsprechungsübersicht der Gesellschaft für Freiheitsrechte vom März 2021 sowie die asyl.net-Meldungen vom 25.2.2020 und 23.4.2021, Links unten). Das Sozialgericht Düsseldorf sah diese Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung allerdings nicht und legte daher die Frage, ob die Herabstufung der Leistungen mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dem Bundesverfassungsgericht vor (Beschluss vom 13.4.2021 – S 17 AY 21/20 – Asylmagazin 5/2021, S. 184 ff., asyl.net: M29541; siehe auch die asyl.net-Meldung vom 23.4.2021, Link unten).
Vor diesem Hintergrund empfiehlt die RLC Leipzig allen Betroffenen, bei den zuständigen Behörden Anträge auf die Überprüfung der Leistungsbescheide zu stellen. Damit Leistungen gegebenenfalls auch rückwirkend beansprucht werden könnten, sollte dabei die Frist des § 9 Abs. 4 S. 2 Nr. 2 AsylbLG beachtet werden. Demnach müsse der Antrag bis zum 31. Dezember 2021 gestellt werden, um Ansprüche rückwirkend ab dem 1. Januar 2020 geltend machen zu können.
Für Betroffene hat die RLC Leipzig gemeinsam mit einem Rechtsanwalt ein Informationsblatt erarbeitet, auf dem sich auch das Muster eines Überprüfungsantrags findet (Link unten). Das Papier ist in fünf verschiedenen Sprachen (Deutsch, Englisch, Arabisch, Persisch und Französisch) verfasst und so konzipiert, dass es in Gemeinschaftsunterkünften verteilt werden kann, um gegebenenfalls von den Betroffenen selbst zur Antragstellung bei Behörden genutzt werden zu können.