Leistungsausschluss mit Europarecht mutmaßlich unvereinbar:
1. Für den Leistungsausschluss gem. § 1 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG (Unzulässigkeitsentscheidung des Bamf) muss die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich sein. Hinsichtlich Italiens fehlt es aktuell an Überstellungsmöglichkeiten, sodass eine tatsächliche Ausreise nicht möglich ist und es nicht darauf ankommt, ob Antragstellenden in Italien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
2. Zudem ist zweifelhaft, ob die Regelung unionsrechtskonform ist. Der EuGH hatte 2012 in der Sache C‑179/11 bereits geklärt, dass in den Fällen der Prüfung der Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates die Leistungspflicht des Mitgliedstaates, in dem sich der/die Antragstellende befindet, bis zur tatsächlichen Überstellung bestehen bleibe. Das Bundessozialgericht hat dem EuGH im Juli 2024 eine vergleichbare Frage zur Entscheidung vorgelegt. Bis zur abschließenden Klärung der Rechtsfrage sind vorläufige Leistungen nach dem AsylbLG zu bewilligen.
(Leitsätze der Redaktion; Siehe dazu: EuGH, Urteil vom 27.09.2012, C‑179/11 und die Vorlage des BSG vom 25.07.2024 ,Beschluss vom 25.07.2024 – B 8 AY 6/23 R – asyl.net: M33010 zur nunmehr gestrichenen Regelung des § 1a Abs. 7 AsylbLG)
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Das Gericht geht ungeachtet der Tatsache, dass in der Begründung des Bescheids vom 22.11.2024 auch Ausführungen zu § 1a AsylbLG erfolgen, davon aus, dass vorliegend ein Fall des § 1 Abs. 4 AsylbLG zu diskutieren ist. Das schließt das Gericht aus der Anhörung und der Leistungseinstellung.
Es ist aus derzeitiger Sicht nicht festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AsylbLG vorliegen. Danach haben vollziehbar Ausreisepflichtige keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Antragsteller, deren Asylantrag durch eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge nach § 29 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit § 31 Absatz 6 des Asylgesetzes als unzulässig abgelehnt wurde, für die eine Abschiebung nach § 34a Absatz 1 Satz 1 zweite Alternative des Asylgesetzes angeordnet wurde und für die nach der Feststellung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die Ausreise rechtlich und tatsächlich möglich ist, auch wenn die Entscheidung noch nicht unanfechtbar ist.
Der Hinweis des Antragstellers, dass die Feststellung des Bundesamtes nicht vorliegt, ist zutreffend. Gemäß der Gesetzesbegründung zum aktuellen § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AsylbLG (Drucksache 20/12805, S. 29f.) erfolgt eine freiwillige Ausreise bzw. Überstellung nur, nachdem der andere Staat der Übernahme ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat und dem Asylsuchenden in diesem Staat keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Zudem muss die Ausreise tatsächlich möglich sein. Fehlt es an diesen Voraussetzungen, erfolgt keine Überstellung und die Ausreisepflicht ist ausgesetzt. Die Feststellung zur Übernahme des Antragstellers durch Italien ist weder behauptet, noch ergibt sich diese aus den Akten des Antragsgegners. Somit kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben, ob dem Antragsteller eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
Die Europarechtskonformität des § 1 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 AsylbLG ist zudem zweifelhaft. In einem vergleichbaren Fall hat das Bundessozialgericht (BSG) eine EuGH-Vorlage vorgenommen (BSG, EuGH-Vorlage vom 25. Juli 2024 - B 8 AY 6/23 R -). Das BSG erachtet den Anwendungsbereich der Aufnahme-Richtlinie (RL) als eröffnet und begründet dies mit einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Vorgänger-Richtlinie 2003/9/EG. In dieser Entscheidung hatte der EuGH festgestellt, dass ein Mitgliedstaat, der mit einem Asylantrag befasst ist, die in der RL 2003/9/EG vorgesehenen Mindestbedingungen für die Aufnahme von Asylbewerbern auch einem Asylbewerber gewähren muss, bei dem er beschließt, einen anderen, gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II) zuständigen Mitgliedstaat um dessen Aufnahme oder Wiederaufnahme zu ersuchen. Die Leistungspflicht des erstangegangenen Mitgliedstaates bestehe so lange fort, bis der Asylbewerber tatsächlich an den anderen Staat überstellt werde. Für den Zugang zum Arbeitsmarkt nach Art. 15 der nun in Kraft befindlichen Aufnahme-RL hat der EuGH im Jahr 2021 vergleichbar entschieden [...].
In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist demnach noch nicht abschließend geklärt, ob der Leistungsausschluss mit dem Europarecht vereinbar ist. Diese Fragestellung ist auch für den vorliegenden Fall von Relevanz, beispielsweise im Falle einer Nachlieferung des Nachweises der Aufnahmebereitschaft. Sollte sich herausstellen, dass der Leistungsausschluss gemäß § 1 Abs. 4 europarechtswidrig ist, würden sich die Leistungsansprüche unmittelbar aus dem AsylbLG ergeben.
In Anbetracht der vorgenannten Umstände gelangt das Gericht zu der Einschätzung, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf vorläufige Leistungen nach dem AsylbLG zusteht. Das Ermessen hinsichtlich der Entscheidung, vorläufig Leistungen zu bewilligen, ist vorliegend auf Null reduziert. Dies folgt aus dem existenzsichernden Charakter der begehrten Leistungen und aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 24. Juli 2017 - L 7 AS 427/17 B ER -, m.w.N.) [...]