BlueSky

VG Meiningen

Merkliste
Zitieren als:
VG Meiningen, Beschluss vom 21.11.2024 - 2 E 1015/24 Me - asyl.net: M32941
https://www.asyl.net/rsdb/m32941
Leitsatz:

Qualifizierte Ablehnung bei Zweifeln an der Einstufung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat: 

1. Die gesetzliche Einschränkung der Rechte von  LSBTI*-Personen in Georgien ist dazu geeignet, Zweifel an der Einstufung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat hervorzurufen. Das Gesetz zum Schutz von "Familienwerten und Minderjährigen" vom 17.09.2024 schränkt die Rechte von queeren Menschen massiv ein. Gleichgeschlechtliche Ehen, die Adoption von Kindern durch LSBTI*-Personen, medizinische Eingriffe zur Geschlechtsangleichung sowie Pride-Veranstaltungen und die Darstellung und Befürwortung von LSBTI*-Beziehungen sind verboten. Es ist somit nicht auszuschließen, dass für LSBTI*-Personen die Gefahr der Verfolgung oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung besteht. 

2. Die Frage zur Einstufung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat ist jedoch vorliegend nicht entscheidungserheblich, da die Antragstellerin ein in Deutschland geborenes Kleinkind ist, für das keine Verfolgungsgründe geltend gemacht wurden. Eine Ablehnung des Schutzantrags als offensichtlich unbegründet kann gem. § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG erfolgen und ist nicht zu beanstanden. 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Georgien, sichere Herkunftsstaaten, homosexuell, LSBTI, offensichtlich unbegründet, Familieneinheit,
Normen: AsylG § 29a Abs. 1, AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 14a Abs. 2
Auszüge:

[...]

Das Bundesamt ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung als Asylberechtigte und für die Zuerkennung internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen. [...] Der Antragstellerin droht offensichtlich weder im Hinblick auf die allgemeine Situation in Georgien noch aufgrund besonderer individueller Umstände eine asylerhebliche Bedrohung, Verfolgung oder Gefährdung im Sinne des Art. 16a Abs. 1 GG sowie der §§ 3, 4 AsylG sowie § 60 Abs. 5 und Abs. 7 S. 1 AufenthG.

Die Antragstellerin stammt aus Georgien, aus einem sicheren Herkunftsstaat nach § 29a Abs. 2 AsylG i.V.m. Anlage II zum AsylG.

Die Einzelrichterin hat zwar gewisse Zweifel an der Einstufung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat nach § 29a Abs. 1 AsylG. Die Ablehnung des Asylantrags der Antragstellerin als offensichtlich unbegründet erfolgte jedoch zu Recht. [...]

Individuelle Gründe, die die gesetzlich vermutete Verfolgungsfreiheit widerlegen könnten, wurden für die Antragstellerin nicht vorgetragen. Sie wurde am … 2024 in Deutschland geboren und hat sich nie in Georgien aufgehalten.

Die allgemeine Situation in Georgien ist hingegen grundsätzlich geeignet, Zweifel an der Einstufung Georgiens als sicherer Herkunftsstaat zu begründen. [...]

Die Einzelrichterin hat [...] deshalb Zweifel an der Einstufung, weil nicht zwingend davon auszugehen ist, dass in Georgien generell und durchgängig landesweit und für alle Personen- und Bevölkerungsgruppen Sicherheit vor einer Verfolgung im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie) und Schutz vor unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung besteht. Es ist nicht auszuschließen, dass für Homosexuelle in Georgien die Gefahr einer Verfolgung oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung besteht und jeder Homosexuelle als Mitglied einer bestimmten sozialen Gruppe sich dieser Gefahr aussetzt. Am 17.09.2024 hat das georgische Parlament ein Gesetz zur Einschränkung der Rechte von LGBTIQ-Menschen verabschiedet, das gleichgeschlechtliche Ehen, Adoptionen durch gleichgeschlechtliche Paare oder Transpersonen, geschlechtsangleichende Behandlungen sowie die öffentliche Befürwortung von LGBTJQ-Beziehungen und -Personen sowie deren Darstellung in den Medien verbietet. Schon vor Erlass dieses Gesetzes war die Situation von LGBTIQ-Personen im gesellschaftlichen und beruflichen Leben schwierig, weil sie einer erheblichen ablehnenden Einstellung begegneten, obwohl sie rechtlich nicht benachteiligt wurden. Nachdem die Benachteiligung nunmehr auch rechtlich vorgesehen ist, bestehen jedenfalls Zweifel, dass für die Gruppe der Homosexuellen in Georgien generell und durchgängig landesweit Schutz vor Verfolgung bestehen.

Die Frage, ob Georgien zurecht als sicherer Herkunftsstaat eingestuft wurde, kann jedoch hier dahinstehen, da die qualifizierte Ablehnung des Asylantrags der Antragstellerin als offensichtlich unbegründet auf § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG gestützt werden kann [...].

Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind.

Die am ... 2024 in Deutschland geborene Antragstellerin hat sich nie in Georgien aufgehalten und kann mithin auch keine dort erlittene Verfolgung geltend machen. Ihre Eltern haben für sie trotz Aufforderung des Bundesamtes keine eigenen Asylgründe vorgebracht. Die Eltern stützten sich in ihren Asylverfahren in erster Linie auf familiäre Gründe. Ihre Asylanträge und die der Schwester der Antragstellerin wurden mit Bescheiden des Bundesamtes abgelehnt, die dagegen gerichteten Eilanträge hatten keinen Erfolg. Die Klage des Vaters gegen die Ablehnung seines Asylantrags wurde bereits abgewiesen, die Klagen der Mutter und Schwester gegen die Ablehnung ihrer Folgeanträge sind am erkennenden Gericht anhängig. Alle Familienmitglieder sind vollziehbar ausreisepflichtig. Auch bei Zugrundelegung des Vortrags der Eltern der Antragstellerin in deren Asylverfahren kann nicht festgestellt werden, dass Umstände vorgebracht wurden, die für die Prüfung des Asylantrages von Belang sind. [...]