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OVG Niedersachsen

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Zitieren als:
OVG Niedersachsen, Beschluss vom 28.11.2024 - 13 ME 209/24 - asyl.net: M32916
https://www.asyl.net/rsdb/m32916
Leitsatz:

Anordnung der aufschiebenden Wirkung wegen möglicher Reiseunfähigkeit - Anhaltspunkt dafür kann auch ein nicht von einem Facharzt geschriebenes Attest sein

Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte (i.S.v. § 60a Abs. 2d AufenthG) vor, dass sich der Gesundheitszustand der Antragstellerin im Abschiebevorgang wesentlich verschlechtern würde. Die Ausländerbehörde hat sich insofern nicht mit einem vorgelegten Attest auseinandergesetzt und auch keine eigenen Ermittlungen durchgeführt (etwa in Form der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung). Es liegt im Verantwortungsbereich der Ausländerbehörde, Vorkehrungen gegen die Realisierung ärztlich attestierter Gesundheitsgefahren während der Abschiebung zu ergreifen.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Attest, Facharzt, psychische Erkrankung, Abschiebungshindernis, Anhaltspunkte, tatsächliche Anhaltspunkte, fachärztliches Attest, ärztliche Attest,
Normen: AufenthG § 60a, AufenthG § 60a Abs. 2d S. 2
Auszüge:

[...]

In diesem Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes ist derzeit aber nicht hinreichend verlässlich geklärt, ob der Abschiebung der Antragstellerin aus dem Bundesgebiet eine krankheitsbedingte Reiseunfähigkeit und damit "der Gesundheitszustand des Ausländers" im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG entgegensteht. [...]

Da nach § 60a Abs. 2c Satz 1 AufenthG aber vermutet wird, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, muss der Ausländer. will er unter Berufung auf gesundheitliche Gründe eine Aussetzung der Abschiebung erwirken, die widerlegliche Vermutung entkräften [...]. Hierzu muss er der Ausländerbehörde gemäß§ 60a Abs. 2d Satz 1 AufenthG unverzüglich eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, die den Anforderungen des § 60a Abs. 2c Satz 2 und 3 AufenthG genügt, vorlegen. Verletzt der Ausländer diese Pflicht zur unverzüglichen Vorlage einer solchen ärztlichen Bescheinigung, darf die zuständige Behörde nach § 60a Abs. 2d Satz 2 AufenthG das Vorbringen des Ausländers zu seiner Erkrankung nicht berücksichtigen, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Einholung einer solchen Bescheinigung gehindert oder es liegen anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde, vor.

Dies zugrunde gelegt bestehen nach dem Beschwerdevorbringen durchaus tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass sich der gesundheitliche Zustand der Antragstellerin im Zusammenhang mit der Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern wird.

Mit Schriftsatz vom 19. November 2024 [...] hat die Antragstellerin ein Attest des Facharztes für Innere Medizin ... vom … November 2024 vorgelegt, wonach bei ihr eine Suizidalität (R45.8 G) und eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode (F33.3 G} diagnostiziert worden sei. Weiter heißt es in dem Attest, es handele sich um eine schwere psychische Störung. Die Antragstellerin sei im jetzigen Gesundheitszustand nicht reisefähig, sondern müsse sich unmittelbar in eine psychiatrische Behandlung begeben. Dazu sei die stationäre Behandlung in einer psychiatrischen Klinik verordnet worden. Eine Reisefähigkeit werde vor Ablauf von drei Monaten nicht erreichbar sein.

Ungeachtet der Frage, ob dieses von der Antragstellerin vorgelegte ärztliche Attest vollständig den Anforderungen nach § 60a Abs. 2c Sätze 2 bis 4, Abs. 2d Satz 1, 2, 1. Halbsatz AufenthG genügt, bestehen jedenfalls hinreichend "anderweitig tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde" im Sinne des § 60a Abs. 2d Satz 2, 2. Halbsatz AufenthG [...].

Eigene Ermittlungen der Ausländerbehörde des Antragsgegners, etwa in Form der Anordnung einer ärztlichen Untersuchung der Antragstellerin [...] sind weder vorgetragen noch in den dem Senat vorliegenden Verwaltungsvorgängen [...] dokumentiert. [...]

Es liegt aber im Verantwortungsbereich des Antragsgegners (hier als zuständiger Ausländerbehörde, § 71 Abs. 1 AufenthG), dass Vorkehrungen gegen die Realisierung ärztlich attestierter Gesundheitsgefahren während einer Abschiebung durch eine entsprechende tatsächliche Gestaltung des Abschiebevorgangs ergriffen werden. [...]