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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Beschluss vom 18.11.2024 - 34 L 370/24 V - asyl.net: M32879
https://www.asyl.net/rsdb/m32879
Leitsatz:

Keine vorläufige Visumserteilung kurz vor Vollendung des 18. Lebensjahrs

Im Rahmen des Visumverfahrens kann nicht deshalb auf die Regelerteilungsvoraussetzung der Identitätsklärung durch persönliche Vorsprache in der Auslandsvertretung verzichtet werden, weil die Volljährigkeit der subsidiär schutzberechtigten Referenzperson kurz bevorsteht und daher der Anspruch auf Familiennachzug verlorenzugehen droht. Diese Konstellation stellt keinen atypischen Fall entgegen der Intention des Gesetzes dar, der eine Ausnahme rechtfertigen könnte.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Familienzusammenführung, unbegleitete Minderjährige, subsidiärer Schutz, Volljährigkeit, atypischer Ausnahmefall,
Normen: AufenthG § 36a
Auszüge:

[...]

bb) Allerdings fehlt es hier an dem Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraussetzt, dass die Identität des Ausländers geklärt ist. Dies ist hier nicht der Fall, da die Antragsteller zu 1 und 2 nicht bei einer Auslandsvertretung der Bundesrepublik Deutschland persönlich vorgesprochen haben und ihre biometrischen Daten erhoben worden sind. Mit Blick auf §§ 5 Abs. 1 Nr. 1a, 49 Abs. 5 Nr. 5 AufenthG ist für eine Entscheidung über die Visumserteilung vor diesem Hintergrund grundsätzlich eine vorherige persönliche Vorsprache der Antragsteller zur Gewinnung der erforderlichen Erkenntnisse insbesondere über deren Identität notwendig [...]. Nach § 49 Abs. 5 Nr. 5 AufenthG sollen bei jeder Beantragung eines nationalen Visums zur Feststellung und Sicherung der Identität die erforderlichen Maßnahmen durchgeführt werden. Solche Maßnahmen sind nach der Sonderregelung in § 49 Abs. 6a AufenthG das Aufnehmen von Lichtbildern und das Abnehmen von Fingerabdrücken.

Dem können die Antragsteller nicht entgegenhalten, wegen der schleppenden Terminvergabe sei von dem Erfordernis der Identitätsklärung abzusehen. [...]

Eine Ausnahme von einer Regelerteilungsvoraussetzung besteht im Übrigen nur dann, wenn ein atypischer Fall vorliegt, der so weit vom Regelfall abweicht, dass die Versagung des Aufenthaltstitels mit der Systematik des Aufenthaltsrechts oder den grundlegenden Entscheidungen des Gesetzgebers nicht mehr vereinbar ist, was insbesondere dann gilt, wenn die Regelerteilungsvoraussetzung im Einzelfall derart unverhältnismäßig ist, dass es unzumutbar wäre, an ihr festzuhalten [...]. Ein Fall unterscheidet sich nicht bereits deshalb vom Regelfall, weil besondere, außergewöhnliche Umstände und Merkmale zu einer Abweichung von der Vielzahl gleich liegender Fälle führen. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass eine solche Abweichung die Anwendung des Regeltatbestandes nach seinem Sinn und Zweck unpassend oder grob unverhältnismäßig oder untunlich erscheinen lässt [...].

(3) Auch ein Anspruch auf Zuteilung eines Sondertermins zur Vorsprache bei einer Auslandsvertretung zur Klärung der Identität ist nicht ersichtlich. Es ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin Termine zur Vorsprache grundsätzlich in chronologischer Reihenfolge abhängig vom Registrierungsdatum vergibt und Sondertermine nur einräumt, wenn besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen, die im Verhältnis zu den Interessen anderer Antragsteller eine rasche Terminierung als dringlich erscheinen lassen, insbesondere bei schweren, nur im Bundesgebiet behandelbaren Krankheiten, der dringenden Gefahr für Leib oder Leben der Antragsteller oder dem in Kürze bevorstehende Tod der Referenzperson. Die Antragsgegnerin hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Minderjährigkeit allein keine gebundene Terminvergabepraxis bedinge; vielmehr seien auch bei minderjährigen Antragstellern oder Referenzpersonen die Interessen der sonstigen Antragsteller zu berücksichtigen. Da dem Recht des minderjährigen Kindes, von seinen Eltern betreut zu werden, umso dringender Geltung zu verschaffen sei, je jünger der minderjährige Antragsteller bzw. die Referenzperson sei, komme die Priorisierung einer Referenzperson, die in weniger als einem Monat volljährig werde, nicht in Betracht, weil die Vergabe eines Sondertermins in dieser Konstellation die Wartezeit anderer Antragsteller insbesondere auch in denjenigen Fällen verlängere, in denen unter 14-jährige Minderjährige betroffen seien. Die Vergabe eines besonderen Termins zur Vorsprache der Antragsteller zu 1 und 2 würde dem Grundsatz einer effektiven, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen arbeitenden Verwaltung widersprechen. [...]