Flüchtlingsschutz für vorverfolgt ausgereisten Demonstranten trotz zwischenzeitlichem Putsch:
Die Verfolgungsgefahr für (nicht besonders exponierte) Unterstützer des FNDC hat sich auch nach dem Militärputsch im Jahr 2021 nicht grundlegend verringert. Daher greift bei Vorverfolgung noch immer die Vermutungsregelung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie).
(Leitsätze der Redaktion. Entgegen VG Berlin, Urt. v. 7. 9.2022 - 31 K424.19 A -juris Rn. 31 und für Mitglieder der UFDG VG Düsseldorf, Urteil vom 23. 1.2023 - 23 K 6618/21. A - juris Rn. 43 ff.)
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a) Die durch die Vorverfolgung begründete tatsächliche Vermutung, dass sich die ihm widerfahrene Verfolgung wiederholt, ist nicht dadurch entkräftet, dass sich die Lage in Guinea in relevanter Weise infolge des Militärputsches im Jahr 2021 verändert hätte.
Allerdings ist die grundlegende Veränderung der politischen Verhältnisse grundsätzlich geeignet, die Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 RL zu widerlegen [...]. Die Beweiserleichterung greift nämlich nur ein, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen der erlittenen oder unmittelbar drohenden Verfolgung und der befürchteten künftigen Verfolgung besteht. Eine früher bestehende, aber nachweislich (z. B. durch eine Entmachtung des Verfolgerregimes) entfallene Verfolgungsgefahr kann daher nicht zur Erleichterung des Nachweises herangezogen werden, dass eine Gefahr einer anderweitigen Verfolgung besteht [...].
Hier ist eine solche grundlegende Änderung für Guinea jedoch nicht festzustellen. Insbesondere vermag das Gericht aufgrund der vorliegenden Erkenntnismittel keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass sich die Lage der Anhänger des FNDC seit dem Militärputsch bedeutend gebessert hat [...].
Denn auch nach dem Militärputsch wurden die - insoweit unveränderten - Forderungen der demokratischen Opposition nach einer Beachtung der Verfassung nicht erfüllt. Es wird berichtet, dass die verbreitete anfängliche Begeisterung über die Absetzung des damaligen Präsidenten Alpha Conde allgemeiner Enttäuschung gewichen sei. Hoffnungen u. a. auf bessere Regierungsführung hätten sich nicht erfüllt, Praktiken der vorigen Regierung wie Veruntreuung, willkürliche Verhaftungen und andere Menschenrechtsverletzungen fänden erneut statt [...]. Die zivilgesellschaftliche Opposition kämpft darum weiterhin für eine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung, weshalb es wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sowie Tötungen und Festnahmen gekommen ist [...]. Zudem wurde der FNDC-Anführer wiederholt festgenommen. Zivilgesellschaftliche Organisationen einschließlich des FNDC rufen weiterhin zu Demonstrationen auf. Gefordert wird nach wie vereine eine Rückkehr zu einer verfassungsmäßigen Ordnung einschließlich der Abhaltung von demokratischen Wahlen vor dem 31. Dezember 2024 sowie die Freilassung der inhaftierten FNDC-Anführer, deren Aufenthaltsort immer noch unbekannt sei [...].
Die aus der Vorverfolgung resultierende Verfolgungsvermutung ist nach alledem nicht durch eine grundlegend veränderte politische Lage entkräftet. [...]
b) Der Umstand, dass sich aus den Erkenntnismitteln wohl nicht ableiten lässt, dass (einfache) Mitglieder des FNDC vom aktuellen Regime systematisch verfolgt werden, lässt sich ebenfalls nicht als stichhaltiger Grund dafür anführen, dass dem Kläger eine erneute Verfolgung nicht drohen würde [...]. Zwar dürfte es sich bei dem Kläger nur um ein einfaches und insofern nicht exponiertes Mitglied der Opposition handeln. Nach seinen glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung ist es ihm aber ein Grundbedürfnis, seine politische Meinung zu artikulieren. Das Gericht ist darum davon überzeugt, dass der Kläger nach seiner unterstellten Rückkehr nach Guinea wieder an Demonstrationen teilnehmen würde, mit der Folge, dass er erneut in die Gefahr geraten würde, wie schon in der Vergangenheit verletzt und/oder inhaftiert zu werden. [...]