Es ist weder objektiv noch subjektiv unmöglich, einen Termin bei der Botschaft zu erhalten:
1. Ein Ausnahmefall vom Erfordernis der persönlichen Vorsprache und dem Erfordernis der Identitätsklärung durch das Aufnehmen von Lichtbildern und das Abnehmen von Fingerabdrücken liegt nicht im Hinblick auf die lange Wartezeit für einen Vorsprachetermin vor. Es ist auch angesichts der durchschnittlichen Wartezeit von 22 Monaten nicht objektiv oder subjektiv unmöglich, einen Vorsprachetermin zu erhalten.
2. Die hohe Anzahl ähnlich gelagerter Fälle, in denen wegen alsbaldigen Erreichens der Volljährigkeit der Referenzperson ein Rechtsverlust mit Blick auf einen möglichen Anspruch nach § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG droht, lässt eine Atypik als Voraussetzung für eine Ausnahme von einer Regelerteilungsvoraussetzung nicht mehr erkennen. Eine Notlage für eine zwingende Privilegierung ist bei einer in wenigen Tagen volljährig werdenden Referenzperson nicht gegeben.
3. Es besteht kein Anspruch auf Zuteilung eines Sondertermins. Die Priorisierung einer Referenzperson, die in weniger als einem Monat volljährig werde, kommt nicht in Betracht, weil dies die Wartezeit der anderen auf der Warteliste stehenden Antragstellenden verlängere. Von den längeren Wartezeiten sind insbesondere die besonders schutzbedürftigen Minderjährigen unter 14 Jahren betroffen.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
I. Der Antrag auf (vorläufige) Erteilung der Visa zum Zwecke des Familiennachzugs ist zulässig, aber unbegründet. [...]
1. Ein solcher Anspruch der Antragsteller zu 1 und 2 ergibt sich nicht aus § 6 Abs. 3 i.V.m. § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG, weil die Identität der Antragsteller nicht geklärt ist. [...]
a) Zwar liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 36a Abs.1 Satz 2 vor. So ist der ... 2006 geborene Sohn der Antragsteller zu 1 und 2, Herr ..., dem infolge der Gewährung subsidiären Schutzes eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG erteilt wurde, im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (noch) minderjährig. Dabei steht die Kürze des bis zum Eintritt der Volljährigkeit verbleibenden Zeitraums der Erteilung nicht entgegen [...]. Die Minderjährigkeit der Referenzperson führt darüber hinaus auch zur Annahme des Vorliegens humanitärer Gründe nach § 36a Abs. 2 Nr. 2 AufenthG, die bereits dann vorliegen, wenn eines der Regelbeispiele des § 36a Abs. 2 Satz 1 AufenthG erfüllt ist [...].
b) Allerdings fehlt es hier an dem Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 a AufenthG, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraussetzt, dass die Identität des Ausländers geklärt ist. Dies ist hier nicht der Fall, da die Antragsteller zu 1 und 2 nicht in Beirut bei der Botschaft (oder bei IOM) persönlich vorgesprochen haben. Mit Blick auf §§ 5 Abs. 1 Nr. 1a, 49 Abs. 5 Nr. 5 AufenthG ist für eine Entscheidung über die Visumserteilung vor diesem Hintergrund grundsätzlich eine vorherige persönliche Vorsprache der Antragsteller zur Gewinnung der erforderlichen Erkenntnisse insbesondere über deren Identität notwendig [...]. Nach § 49 Abs. 5 Nr. 5 AufenthG sollen bei jeder Beantragung eines nationalen Visums zur Feststellung und Sicherung der Identität die erforderlichen Maßnahmen durchgeführt werden. Solche Maßnahmen sind nach der Sonderregelung in § 49 Abs. 6a AufenthG das Aufnehmen von Lichtbildern und das Abnehmen von Fingerabdrücken.
Dem können die Antragsteller nicht entgegenhalten, wegen der schleppenden Terminvergabe sei von dem Erfordernis der Identitätsklärung abzusehen.
a) Dass von dem Erfordernis der persönlichen Vorsprache ausnahmsweise abzusehen und ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG anzunehmen ist, ist nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden. [...]
Erforderlich ist grundsätzlich, dass bei der persönlichen Vorsprache Identitätsdokumente im Original vorgelegt werden und diese einer Plausibilitätskontrolle sowie einer Echtheitsüberprüfung unterzogen werden [...]. Die Identitätsprüfung ist also nicht auf eine bloße Einsichtnahme in die Personaldokumente beschränkt [...]. Der erkennenden Kammer sind entsprechende Identitätsdokumente ebenfalls nicht vorgelegt worden, sodass auch gerichtlicherseits schon aus diesem Grund eine Identitätsprüfung nicht in Frage kommt.
bb) Ein Ausnahmefall von der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG bzw. vom Erfordernis der persönlichen Vorsprache liegt auch nicht im Hinblick auf die den Antragstellern angekündigte lange Wartezeit auf der Terminwarteliste vor. Die Vorsprache zwecks Identitätsnachweises ist nicht deshalb ausnahmsweise entbehrlich, weil ein Zuwarten für die Antragsteller zu 1 und 2 unzumutbar wäre [...]. Zwar ist eine kurzfristige Vorsprache bei der Außenstelle der Antragsgegnerin in Beirut angesichts der von der Antragsgegnerin erwähnten "immensen" Zahl von Antragstellern, die sich auf der Warteliste befinden, und der damit verbundenen durchschnittlichen Wartezeit von 22 Monaten ausgeschlossen; es ist aber nicht objektiv oder subjektiv unmöglich, einen Vorsprachetermin zu erhalten. Eine Ausnahme von einer Regelerteilungsvoraussetzung besteht im Übrigen nur dann, wenn ein atypischer Fall vorliegt, der so weit vom Regelfall abweicht, dass die Versagung des Aufenthaltstitels mit der Systematik des Aufenthaltsrechts oder den grundlegenden Entscheidungen des Gesetzgebers nicht mehr vereinbar ist, was insbesondere dann gilt, wenn die Regelerteilungsvoraussetzung im Einzelfall derart unverhältnismäßig ist, dass es unzumutbar wäre, an ihr festzuhalten [...]. Ein Fall unterscheidet sich nicht bereits deshalb vom Regelfall, weil besondere, außergewöhnliche Umstände und Merkmale zu einer Abweichung von der Vielzahl gleich liegender Fälle führen. Vielmehr ist zusätzlich erforderlich, dass eine solche Abweichung die Anwendung des Regeltatbestandes nach seinem Sinn und Zweck unpassend oder grob unverhältnismäßig oder untunlich erscheinen lässt [...].
Die lange Wartezeit beruht vorliegend ersichtlich auf der von der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren plausibel dargelegten erheblichen Anzahl von Personen, die auf Vorsprachetermine warten und damit auf Kapazitätsengpässen der Auslandsvertretung, ohne dass erkennbar wäre, dass ein strukturelles Organisationsdefizit der Antragsgegnerin gegeben ist [...]. Zurzeit befänden sich 85.874 Personen, die einen Antrag auf Familiennachzug zu einem subsidiär Schutzberechtigten beantragt hätten, auf der bei der Auslandsvertretung in Beirut geführten Warteliste für einen Termin zur Antragstellung. Auf dieser Liste befänden sich 10.208 Fälle, bei denen Minderjährige betroffen seien, und hierunter wiederum 1.392 Fälle, bei denen die Referenzperson oder ein Antragsteller zwischen September 2024 und April 2025 volljährig würden. 1.484 Fälle beträfen Minderjährige unter 14 Jahren. Bei einer derart hohen Anzahl ähnlich gelagerter Fälle, in denen insbesondere wegen alsbaldigen Erreichens der Volljährigkeit der Referenzperson ein Rechtsverlust mit Blick auf einen möglichen Anspruch nach § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG droht, ist eine Atypik bezogen auf die Antragsteller zu 1 und 2 nicht auszumachen. Nach Auffassung der erkennenden Kammer ist es nicht unverhältnismäßig, wenn sich die Antragsteller zu 1 und 2 in die Reihe der Wartenden einreiht, ohne im Wege des Absehens vom Erfordernis der Klärung ihrer Identität in einem persönlichen Vorsprachetermin privilegiert zu werden. Denn gerade im Vergleich zu Fällen anderer Antragsteller, bei denen unter 14 Jahre alte Minderjährige betroffen sind, die der Gesetzgeber als besonders schutzwürdig ansieht [...], ist ein Grund für eine zwingende Privilegierung im vorliegenden Fall mit Blick auf das Kindeswohl der in wenigen Tagen volljährig werdenden Referenzperson nicht erkennbar. Dass die Antragsgegnerin angesichts der in vielen Fällen tangierten Minderjährigen nicht regelmäßig ohne weitere hinzutretende Gründe Ausnahmen von der Regelerteilungsvoraussetzung der grundsätzlich im persönlichen Vorsprachetermin zu klärenden Identität der Antragsteller machen kann, ist angesichts der Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland nachvollziehbar und nicht zu beanstanden.
c) Auch ein Anspruch auf Zuteilung eines Sondertermins zur Vorsprache bei der Botschaft ist nicht ersichtlich. Es ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin Termine zur Vorsprache grundsätzlich in chronologischer Reihenfolge abhängig vom Registrierungsdatum vergibt und Sondertermine nur einräumt, wenn besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen, die im Verhältnis zu den Interessen anderer Antragsteller eine rasche Terminierung als dringlich erscheinen lassen, insbesondere bei schweren, nur im Bundesgebiet behandelbaren Krankheiten, der dringenden Gefahr für Leib oder Leben der Antragsteller oder dem in Kürze bevorstehende Tod der Referenzperson. Die Antragsgegnerin hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, dass die Minderjährigkeit allein keine gebundene Terminvergabepraxis bedinge; vielmehr seien auch bei minderjährigen Antragstellern oder Referenzpersonen die Interessen der sonstigen Antragsteller zu berücksichtigen. Da dem Recht des minderjährigen Kindes, von seinen Eltern betreut zu werden, umso dringender Geltung zu verschaffen sei, je jünger der minderjährige Antragsteller bzw. die Referenzperson sei, komme die Priorisierung einer Referenzperson, die in weniger als einem Monat volljährig werde, nicht in Betracht, weil die Vergabe eines Sondertermins in dieser Konstellation die Wartezeit anderer Antragsteller insbesondere auch in denjenigen Fällen verlängere, in denen unter 14-jährige Minderjährige betroffen seien. Die Vergabe eines besonderen Termins zur Vorsprache der Antragsteller zu 1 und 2 würde dem Grundsatz einer effektiven, nach rechtsstaatlichen Grundsätzen arbeitenden Verwaltung widersprechen. [...]
Allein der Umstand, dass die Referenzperson demnächst volljährig wird und die Antragsteller zu 1 und 2 dann schon aus diesem Grund keinen Anspruch aus § 36a Abs. 1 Satz 2 AufenthG mehr werden herleiten können, genügt für die Annahme einer solchen besonderen Notlage nicht. Hierbei darf, wie bereits oben ausgeführt wurde, nicht unberücksichtigt bleiben, das eine Bevorzugung der Antragstellers zu 1 und 2 innerhalb des Terminvergabesystems bei den dargelegten begrenzten Kapazitäten der Botschaft in Beirut zu Lasten anderer Visumsantragsteller ausfallen würde, die unter vergleichbaren Umständen die Erteilung von Visa begehren. Woraus die Antragsteller zu 1 und 2 einen Anspruch auf Bevorzugung gegenüber anderen auf einen Vorsprachetermin wartenden Personen in ähnlicher Lage herleiten wollen, ist nicht dargelegt. An dieser Einschätzung vermögen auch Erwägungen des Kindeswohls nichts zu ändern, weil die Referenzperson zwar derzeit noch minderjährig ist, aber in wenigen Tagen volljährig wird. Es ist weder erkennbar, noch seitens der Antragsteller vorgetragen, dass die Referenzperson zwingend auf die Anwesenheit der Antragsteller zu 1 und 2 angewiesen ist. Aufgrund seines Alters und der Betreuungssituation durch einen Vormund ist von einer besonderen Schutzwürdigkeit der Referenzperson nicht auszugehen.
2. Ein Anspruch der Antragsteller zu 3 bis 5 aus §§ 6 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. 36a Abs. 1 AufenthG auf Erteilung eines Visums zum Nachzug zu ihrem Bruder scheitert bereits daran, dass Geschwisterkinder nicht zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten gehören. [...]
4. Schließlich haben die Antragsteller keinen Anspruch auf Erteilung eines Visums zum Familiennachzug gemäß §§ 6 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. 22 Satz 1 AufenthG glaubhaft gemacht. Nach § 22 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer für die Aufnahme aus dem Ausland aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Dringende humanitäre Gründe in diesem Sinne liegen zum einen dann vor, wenn sich der Ausländer aufgrund besonderer Umstände in einer auf seine Person bezogenen Sondersituation befindet, sich diese Sondersituation deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet, der Ausländer spezifisch auf die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland angewiesen ist oder eine besondere Beziehung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland besteht und die Umstände so gestaltet sind, dass eine baldige Ausreise und Aufnahme unerlässlich sind. Sie sind im Zusammenhang mit § 36a Abs. 1 AufenthG zum anderen auch dann gegeben, wenn besondere Umstände des Einzelfalles eine Fortdauer der räumlichen Trennung der Angehörigen der Kernfamilie des subsidiär Schutzberechtigten mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG nicht länger vereinbar erscheinen lassen [...]. Die Voraussetzungen des § 22 Satz 1 AufenthG liegen nicht vor. So sind völkerrechtliche Gründe in Form von internationalen Verpflichtungen weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ebenfalls ist nicht erkennbar, dass sich die Situation der Antragsteller von der Situation anderer syrischer Staatsangehöriger unterscheidet, deren Kinder das Herkunftsland verlassen haben. [...]