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VG Berlin

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Zitieren als:
VG Berlin, Urteil vom 06.06.2024 - 23 K 561/22 A - asyl.net: M32838
https://www.asyl.net/rsdb/m32838
Leitsatz:

Rücknahmeverfahren u.a. wegen Symbolik von Terrororganisationen in sozialen Netzwerken: 

1. Ein Rücknahmeverfahren wegen der Annahme einer Unterstützungshandlung, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderläuft (§ 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylG), erfordert "gewichtige ideologische und propagandistische Aktivitäten zugunsten einer terroristischen Organisation". Die Teilnahme an Kundgebungen zusammen mit Anhängern von Samidoun einschließlich des Zeigens von Transparenten sind ihrem Gewicht nach lediglich vergleichbar mit dem Sprühen von Parolen oder dem Verteilen von Flugblättern, mithin von Handlungen, die nicht als ausreichende Unterstützungshandlungen für eine terroristische Organisation angesehen werden können. 

2. Zum Zeitpunkt der Rücknahme des subsidiären Schutzes war die Organisation Samidoun, die ihren Sitz in Nordamerika hat, national und international nicht als terroristische Organisation bekannt oder eingestuft. Erst infolge der Ereignisse vom 7.Oktober 2023 wurde die Teilorganisation "Samidoun Deutschland" des Vereins "Samidoun - Palestinian Solidarity Network" im Inland, wegen der direkten Unterstützung der Terrororganisation PFLP, verboten und aufgelöst. Für den maßgeblichen Zeitraum zwischen den Jahren 2016 und 2021 fehlt es an konkreten, als terroristisch einzustufenden Aktivitäten von Samidoun. 

3. Die Veröffentlichung von Videos und Bildern mit Symbolen von Terrororganisationen in sozialen Netzwerken stellen keinen Tatbestand zur Begründung eines Ausschlussgrundes im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylG dar. Die drei veröffentlichten Posts lassen eine "gewichtige ideologische und propagandistische Aktivität zugunsten einer terroristischen Organisation" nicht erkennen, auch wenn zahlreiche Symbole als terroristisch eingestufter Organisationen erkennbar sind. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Unterstützung, Terrorismus, Samidoun, Ausschlussgrund, Widerruf, Rücknahme, internationaler Schutz, Flüchtlingsanerkennung, subsidiärer Schutz, Palästinenser, terroristische Vereinigung,
Normen: AsylG § 3 Abs. 2 Nr. 3, AsylG § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2, AsylG § 73
Auszüge:

[...]

1 Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme des subsidiären Schutzstatus.

2 Der Kläger ist ein aus Aleppo/Syrien stammender staatenloser Palästinenser. [...]

3 Mit Schreiben vom 12. Januar 2022 teilte die Senatsverwaltung für Inneres, Digitalisierung und Sport Berlin, Abteilung II, dem Bundesamt mit, dass der Kläger im nicht-islamistisch geprägten Ausländerextremismus im Zusammenhang mit der "Popular Front for the Liberation of Palestine" ("Volksfront für die Befreiung Palästinas", PFLP) und der Gruppierung "Samidoun - Palestinian Prisoner Solidarity Network" aufgefallen sei.

4 Am 5. August 2022 leitete das Bundesamt daraufhin ein Rücknahmeverfahren gemäß § 73b AsylG ein und gab dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme. Zur Begründung verwies es im Wesentlichen darauf, dass der Kläger nach Informationen der Senatsverwaltung regelmäßig an Versammlungen von Samidoun teilnehme und in den sozialen Netzwerken Videos und Bilder, u.a. mit Symbolik von Terrororganisationen veröffentliche. In einer Zoom-Konferenz habe er am ... 2016 ein Statement für "Samidoun Deutschland" abgegeben. Ferner habe er am 10. Januar 2021, 18. März 2021 und 9. Mai 2021 an aus dem Umfeld von Samidoun und PFLP/HAMAS angemeldeten Demonstrationen teilgenommen. Am 12. Mai 2021 habe er zudem an einer Kundgebung zum Thema #SaveSheikhJarrah#FreeGaza teilgenommen. Damit stehe fest, dass er die Terrororganisation PFLP und die Gruppierung Samidoun unterstützt habe und die Organisation dadurch ihren Wirkungskreis habe vergrößern können. Somit habe er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt und erfülle den Ausschlusstatbestand des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG. [...]

6 Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 15. Dezember 2022 die vorliegende Klage erhoben. [...]

22 2. Ziffer 1 des Bescheides vom 21. November 2022 ist [...] materiell rechtswidrig.

23 Im Hinblick auf die Neuregelung der Widerrufs- und Rücknahmegründe in § 73 AsylG nach Erlass des Bescheides mit Wirkung vom 1. Januar 2023 (Art. 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2022, BGBl. I S. 2817) hat die Beklagte den Bescheid aufgehoben, soweit in Ziffer 1 die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Danach kann dahinstehen, ob es sich nunmehr der Sache nach um eine Rücknahmeentscheidung mit Wirkung für die Zukunft oder aber um eine Widerrufsentscheidung mit Wirkung für die Zukunft handelt, denn insoweit geht es lediglich um eine begriffliche Unterscheidung; die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 73 Abs. 5 AsylG sind identisch [...].

24 a) Nach § 73 Abs. 5 AsylG ist die Zuerkennung des internationalen Schutzes zurückzunehmen oder zu widerrufen, wenn der Ausländer von der Erteilung nach § 3 Abs. 2 bis 4 oder nach § 4 Abs. 2 oder 3 hätte ausgeschlossen werden müssen oder ausgeschlossen ist. Das Bundesamt hat den angefochtenen Bescheid auf § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylG gestützt und angenommen, dass schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass sich der Kläger Handlungen hat zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Nach § 4 Abs. 2 Satz 2 AsylG gilt dieser Ausschlussgrund auch für Ausländer, die andere zu Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen. Die genannten Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. [...]

27 Während die bloße Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation für die Annahme einer Unterstützungshandlung nicht genügt, können rein logistische Unterstützungshandlungen von hinreichendem Gewicht im Vorfeld den Tatbestand erfüllen [...]. Gleiches gilt für gewichtige ideologische und propagandistische Aktivitäten zugunsten einer terroristischen Organisation [...]. Dagegen reicht etwa das bloße Sprühen von Parolen der Organisation oder das Verteilen von Flugblättern nicht aus. Denn das Gewicht des Tatbeitrages eines Gehilfen als "in sonstiger Weise Beteiligtem" muss dem der Beteiligung an einer schweren nichtpolitischen Straftat entsprechen, um die Vergleichbarkeit zwischen den Ausschlusstatbeständen zu wahren [...].

28 Die Zurechnung bei der Beteiligung an Zuwiderhandlungen gegen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen ist nicht auf Fälle beschränkt, in denen der Ausländer objektiv die Möglichkeit tatsächlicher Einflussnahme auf die Begehung von Terrorakten hatte oder solche Taten öffentlich gebilligt oder dazu aufgerufen hat. Mangels Notwendigkeit eines spezifischen Bezugs zwischen der Unterstützungshandlung und einem einzelnen Terrorakt bedarf es für eine Beteiligung weder einer räumlich-organisatorischen Nähe innerhalb der Organisation zur Ausführung terroristischer Taten noch deren Rechtfertigung in der Öffentlichkeit. Andernfalls würden reine Schreibtischtäter und Propagandisten privilegiert, obwohl ihr ideologisch-propagandistischer Beitrag zu terroristischen Taten bei der gebotenen wertenden Betrachtung keinesfalls minder gewichtig als der von unmittelbar Tatbeteiligten erscheint [...].

29 Diese für den Ausschluss vom Flüchtlingsschutz in § 3 Abs. 2 AsylG entwickelten Wertungen sind auf den strukturgleichen Ausschluss vom subsidiären Schutz in § 4 Abs. 2 AsylG zu übertragen [...]

30 Die Beteiligung des Ausländers an Taten, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen, muss die Schwelle einer Beteiligung im strafrechtlichen Sinne nicht überschreiten. Es ist jedoch erforderlich, dass es während seiner unterstützenden Tätigkeit für eine Organisation zu konkreten derartigen Taten der Organisation gekommen ist. Andernfalls fehlt es an einem Anknüpfungspunkt für eine Verantwortlichkeit des Ausländers, die die Grundlage für seinen Ausschluss vom subsidiären Schutz darstellt. Es ist deshalb konkret festzustellen, ob schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass sich eine unterstützende Tätigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 2 AsylG während des Zeitraums, in dem sie geleistet worden ist, in Handlungen im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG niedergeschlagen hat […].

32 Nach diesen Maßstäben bestehen keine ausreichenden Gründe für die Annahme der Beklagten, dass sich der Kläger in individueller Verantwortung an Handlungen beteiligt hat, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.

33 Die Beklagte bezieht sich in ihrem Bescheid vom 21. November 2022 ausschließlich auf den Bericht der Senatsverwaltung für Inneres [...] des Landes Berlin vom 12. Januar 2022, in dem diese ihre als offen eingestuften Erkenntnisse über den Kläger mitgeteilt hat. Daraus entnimmt die Beklagte eine "persönliche Einbindung" des Klägers in die Organisationen PFLP und Samidoun (Bescheid Seite 5) bzw. bezeichnet ihn als "bekennendes Mitglied" der Organisationen (Bescheid Seite 6). Dabei stützt sich die Beklagte zum einen auf die in dem Bericht der Senatsverwaltung angeführte Teilnahme des Klägers an Versammlungen bzw. einer Zoom-Konferenz von Samidoun und zum anderen auf seine Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken, insbesondere Facebook und Instagram.

34 Die dem Kläger vorgeworfenen Unterstützungshandlungen in Gestalt der Teilnahme an Versammlungen und einer Zoom-Konferenz betreffen im Wesentlichen Aktivitäten der Organisation Samidoun.

35 Samidoun wurde im Jahr 2011 gegründet und hat ihren Sitz in Nordamerika. Ihrem Namen und ihrer Selbstdarstellung nach ist es ein Solidaritätsnetzwerk für palästinensische Gefangene. Nach den Ausführungen der Senatsverwaltung für Inneres in ihrem Bericht vom 12. Januar 2022 sei es das offizielle Ziel von Samidoun, palästinensische Gefangene in ihrem Kampf um Freilassung aus zumeist israelischen Gefängnissen zu unterstützen. Diese Gefangenen wiesen zumeist Verbindungen zur terroristischen "Popular Front for the Liberation of Palestine" (PFLP) auf.

36 Zum Zeitpunkt der im Bescheid vom 21. November 2022 angeführten Aktivitäten des Klägers in den Jahren zwischen 2016 und 2021 und des Erlasses des Bescheides war Samidoun national und international jedoch nicht als eine terroristische Organisation bekannt. Eigene terroristische Handlungen in Form von Terroranschlägen und sonstigen gewalttätigen Akten wurden Samidoun nicht zugeschrieben; die Organisation hat sich auch selbst nicht zu derartigen Terrorakten bekannt. Samidoun wurde – und wird gegenwärtig – von der EU und von den USA auch nicht als terroristische Organisation auf deren Terrorlisten geführt. Zwar lässt dies allein nicht den Schluss zu, dass es sich um keine terroristische Vereinigung handelt [...]. Der fehlenden Listung kommt aber sehr wohl eine Indizwirkung zu. [...]

38 Erst in der Folge des terroristischen Angriffs der HAMAS auf Israel und der Tötung von ca. 1200 Zivilpersonen am 7. Oktober 2023 und weiterer Angriffe auf das israelische Staatsgebiet ist in der Bundesrepublik Deutschland mit Verfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 2. November 2023 die Teilorganisation "Samidoun Deutschland" des Vereins "Samidoun - Palestinian Solidarity Network" im Inland verboten und aufgelöst sowie Samidoun (internationales Netzwerk) jede Tätigkeit untersagt worden. Zur Begründung wurden u.a. eine direkte Unterstützung der als Terrororganisation anerkannten PFLP sowie personelle Verflechtungen zwischen Samidoun und PFLP angeführt, die den Schluss auf eine zumindest mittelbare Steuerung bzw. Beeinflussung durch die PFLP zuließen. Ferner wurde auf eine Unterstützung der HAMAS und die durch diese verübten Terrorakte durch Samidoun verwiesen. Anhänger von Samidoun hätten am 7. Oktober 2023 eine Jubelfeier auf der Sonnenallee in Berlin-Neukölln durchgeführt und Süßigkeiten verteilt, auch am 8. und 9. Oktober 2023 seien von Samidoun organisierte Versammlungen mit Unterstützungsverlautbarungen in Richtung der HAMAS abgehalten worden. [...]

40 Die bloße Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation – die im angefochtenen Bescheid lediglich unsubstantiiert behauptet wird – genügt für die Annahme einer Unterstützungshandlung von vornherein nicht. Eine Mitgliedschaft ist vom Kläger im Übrigen sowohl hinsichtlich Samidoun als auch der PFLP ausdrücklich bestritten worden.

41 Eine irgendwie geartete Beteiligung des Klägers an einer direkten Unterstützung der als Terrororganisation anerkannten PFLP durch Mitglieder von Samidoun wird dem Kläger nicht vorgehalten. Ebenso wenig sind von der Beklagten personelle Verflechtungen des Klägers mit führenden Mitgliedern von Samidoun oder aber der PFLP dargelegt worden. Sie sind nach den vorliegenden Erkenntnissen des Verfassungsschutzes des Landes Berlin und des Bundesministeriums des Innern und für Heimat auch nicht ersichtlich. Insbesondere sind keine persönlichen Verbindungen des Klägers zu namentlich bekannten Aktivisten von Samidoun oder der PFLP in Berlin feststellbar, so etwa zu dem Gründer von Samidoun in Deutschland, der als Aktivist der PFLP gilt und der nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts Berlin die Ziele der PFLP unterstützt und offen für die PFLP geworben hat [...]. Auf konkrete Fragen des Vertreters der Beklagten in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger solche Verbindungen verneint.

42 Als aktive Unterstützungshandlungen des Klägers für die Organisation Samidoun hat die Beklagte im Bescheid vom 21. November 2022 zum einen dessen Beteiligung an einer Zoom-Konferenz von Samidoun am 16. Januar 2016 angeführt, wo der Kläger ein kurzes Statement abgegeben, die Freilassung politischer Gefangener und die Befreiung Palästinas "vom Fluss bis zum Meer" gefordert haben soll. Ein Beleg hierfür oder zumindest die Angabe einer Quelle findet sich im zugrunde liegenden Bericht der Senatsverwaltung für Inneres jedoch nicht. Der Kläger hat die Beteiligung an der Zoom-Konferenz in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ausdrücklich bestritten.

43 Zum anderen benennt der angefochtene Bescheid auf der Grundlage des Berichts der Senatsverwaltung die Teilnahme des Klägers an vier Demonstrationen bzw. Kundgebungen am 10. Januar 2021, 18. März 2021, 9. Mai 2021 und 12. Mai 2021, die zusammen mit Anhängern von Samidoun durchgeführt oder aus dem Umfeld von PFLP und HAMAS angemeldet worden seien. Hierfür sind Screenshots mit Fotos von drei der Demonstrationen, zweimal vom Instagram-Account des Klägers selbst, als Beleg angeführt. Die Teilnahme an diesen Veranstaltungen hat der Kläger nicht bestritten, aber angegeben, an jeder angemeldeten Demonstration zu dem Thema Palästina teilgenommen und nicht gewusst zu haben, ob jemand Samidoun angehöre. Nähere Einzelheiten zum Inhalt und Ablauf und den sonstigen Beteiligten der Demonstrationen sind auch dem Bericht der Senatsverwaltung nicht zu entnehmen. Die Demonstrationen waren – soweit bekannt – angemeldet und nicht verboten worden. Für eine etwaige Leitungsfunktion des Klägers im Rahmen der Veranstaltungen sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Strafrechtliche Verurteilungen des Klägers sind in diesem Zusammenhang ebenfalls nicht erfolgt. Ein gegen ihn geführtes Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen § 26 VersFG Bln ist gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden, in einem wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte geführten Strafverfahren ist eine Einstellung nach § 153 StPO erfolgt.

44 Bei dieser Erkenntnislage lassen sich nach Auffassung der Kammer auch die für die Annahme einer Unterstützungshandlung im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylG sonst erforderlichen "gewichtigen ideologischen und propagandistischen Aktivitäten zugunsten einer terroristischen Organisation", hier Samidoun, nicht feststellen. Erst recht gilt dies für eine etwaige Unterstützung der Organisationen PFLP oder HAMAS. Vielmehr erscheint die – allein belegte – Teilnahme des Klägers an den Kundgebungen zusammen mit Anhängern von Samidoun einschließlich des Zeigens von Transparenten ihrem Gewicht nach lediglich vergleichbar mit dem Sprühen von Parolen oder dem Verteilen von Flugblättern, mithin von Handlungen, die nicht als ausreichende Unterstützungshandlungen für eine terroristische Organisation angesehen werden können, denn ihr Gewicht entspricht nicht dem der Beteiligung an einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne des Ausschlussgrundes nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG.

45 Darüber hinaus fehlt es für den maßgeblichen Zeitraum der dem Kläger vorgeworfenen Unterstützung der Gruppierung Samidoun zwischen den Jahren 2016 und 2021 auch an dem für seine Verantwortlichkeit erforderlichen zeitlichen Anknüpfungspunkt. Denn auf der Grundlage des abgesenkten Beweismaßes kann eine Beteiligung an terroristischen Handlungen im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 2 AsylG nur angenommen werden, wenn für die erforderliche Haupttat an einzelne Vorfälle im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG angeknüpft wird [...]. Erkenntnisse darüber, zu welchen konkreten, als terroristisch einzustufenden Aktivitäten von Samidoun es in diesen Jahren gekommen ist, sind von der Beklagten nicht beigebracht worden und auch sonst nicht ersichtlich. [...]

46 Erkenntnisse über spätere Aktivitäten des Klägers zur Unterstützung von Samidoun liegen nicht vor. [...]

47 Soweit die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid vom 21. November 2022 ferner auf die Aktivitäten des Klägers in sozialen Netzwerken, insbesondere bei Facebook und Instagram, verweist, stellen sich diese ebenfalls nicht als ausreichend zur Begründung eines Ausschlussgrundes im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylG dar.

48 Die Beklagte bezieht sich dabei maßgeblich auf den Bericht der Senatsverwaltung für Inneres Berlin vom 12. Januar 2022, nach dem der Kläger in seinen sozialen Netzwerken Videos und Bilder mit Symboliken von Terrororganisationen veröffentliche. Der Bericht gibt dazu drei Screenshots wieder: Auf der linken Seite ist das Bild eines Kämpfers der Kassam-Brigaden als Screenshot eines Videos auf dem Instagram-Account des Klägers zu sehen. Das Bild in der Mitte zeigt eine vergrößerte Darstellung des Kassam-Kämpfers, in dessen Hintergrund die Farben der palästinensischen Flagge in Form einer Landkarte Palästinas ohne das israelische Staatsgebiet abgebildet sind. Dieses hatte der Kläger zum Zeitpunkt des Screenshots auch als Profilbild verwendet. Auf der rechten Seite sind vier sich umfassende Hände, jeweils versehen mit Symbolen der PRC, der Al-Aqsa-Märtyrerbrigaden, der HAMAS, der PIJ und der PFLP, ebenfalls mit der Landkarte ohne Israel, abgebildet. [...]

54 Nach den oben dargestellten Maßstäben im Rahmen der Prüfung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 AsylG, ob schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass sich der Kläger Handlungen hat zuschulden kommen lassen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, stellen sich die - hier allein bekannten und belegten - Posts des Klägers in den sozialen Netzwerken jedoch nicht als ausreichend dar. "Gewichtige ideologische und propagandistische Aktivitäten zugunsten einer terroristischen Organisation", wie sie als Fallgruppe hier in Betracht kommen, sind allein auf der Grundlage der für die Kammer verfügbaren drei Posts nicht zu erkennen, selbst wenn insoweit feststeht, dass darin zahlreiche Symbole anerkannter terroristischer Organisationen wiedergegeben sind. Wie bereits die Teilnahme des Klägers an Kundgebungen im Umfeld von Samidoun sind die Posts auch hier ihrer Gewichtigkeit nach nur vergleichbar mit dem Sprühen von Parolen oder dem Verteilen von Flugblättern. [...]