Keine Gefahr der zwangsweise Rekrutierung außerhalb der Einberufung zum Wehrdienst:
1. Ungediente junge Männer russischer Staatsangehörigkeit und tschetschenischer Volkszugehörigkeit müssen in Tschetschenien damit rechnen, außerhalb einer Einberufung zum Wehrdienst zwangsweise für sog. Freiwilligenbataillone für einen Kampfeinsatz in der Ukraine rekrutiert zu werden (Rn. 34).
2. In den übrigen Gebieten der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus können sich Tschetschenen grundsätzlich niederlassen und sind vor Verfolgung sicher, soweit sie nicht in besonderer Weise politisch in Erscheinung getreten sind und daher kein landesweites Verfolgungsinteresse der föderalen oder tschetschenischen Sicherheitsbehörden anzunehmen ist (Fortführung der bisherigen Rechtsprechung) (Rn. 37).
3 In der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens werden Tschetschenen nach den allgemeinen Regeln zum Grundwehrdienst ohne Berücksichtigung der im Gebiet von Tschetschenien geltenden Quote für die Ableistung des Wehrdiensts herangezogen (Rn. 32).
4. Für junge, gesunde, ungebundene und beruflich nicht etablierte, nicht vermögende Rückkehrer besteht ein realistisches Risiko, zum Grundwehrdienst im Rahmen der präsidial verfügten Einberufungsquoten herangezogen zu werden (Rn. 45).
5. Die in der Russischen Föderation von der Verfassung garantierte Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung und Ableistung eines zivilen Wehrersatzdiensts stellt für Rückkehrer, die einen Umgang mit russischen Behörden und Militärdienststellen nicht gewohnt sind, keine erfolgversprechende Möglichkeit dar, einer Heranziehung zum Grundwehrdienst zu entgehen (Rn. 51).
6. Grundwehrdienstleistenden in den russischen Streitkräften droht aktuell mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit kein Kampfeinsatz in der Ukraine (Rn. 54).
7. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass Grundwehrdienstleistende systematisch oder in nennenswertem Ausmaß zwangsweise als Vertragssoldaten rekrutiert werden; das schließt nicht aus, dass sie im Rahmen fordernder Anwerbung ihnen angebotene Verträge aufgrund der zugesagten finanziellen und sozialen Vorteile in größeren Zahlen unterzeichnen (Rn. 60).
8. Einsätze von Grundwehrdienstleistenden auf russischem Territorium in Grenzregionen zur Ukraine zur Abwehr ukrainischer Gegenoffensiven stellen keine erniedrigende oder unmenschliche Behandlung dar (Rn. 54).
(Amtliche Leitsätze; das Urteil des VG Berlin: Urteil vom 11.08.2023 – 12 K 48/23 A – asyl.net: M32834 wurde mit dieser Entscheidung aufgehoben)
[...]
Der 26-jährige Kläger ist russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volkszugehörigkeit und begehrt die Gewährung subsidiären Schutzes. [...]
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 125 Abs. 1 i.V.m. § 113 Abs. 5 VwGO) [...].
1. Dem Kläger ist wegen seiner Befürchtung, zum Grundwehrdienst einberufen und zu Kampfhandlungen in der Ukraine eingesetzt zu werden, kein subsidiärer Schutz zuzuerkennen. [...]
d) Dem Kläger droht aber auch kein ernsthafter Schaden in der Variante des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG.
aa) Die Herleitung stichhaltiger Gründe für die Gefahr eines ernsthaften Schadens dieser Art ist im Zusammenhang mit dem Klagevorbringen schon als solche nicht frei von Bedenken. Denn das Verwaltungsgericht erkennt zwar, dass die von ihm verwerteten Erkenntnisse für eine Einberufung des Klägers keine überwiegende Wahrscheinlichkeit und für einen Einsatz während des Grundwehrdiensts zu Kampfhandlungen in der Ukraine aktuell keine Wahrscheinlichkeit hergeben. Gleichwohl hält es die Befürchtung des Klägers in der Gesamtwürdigung für beachtlich wahrscheinlich, weil es mit einem drohenden Schaden für Leib und Leben ein besonders hochwertiges Schutzgut gefährdet sieht und zum anderen darauf abstellt, dass Grundwehrdienstleistende unter Zwang zur Begründung eines Vertragsverhältnisses als Berufssoldat genötigt werden können, was sodann den Einsatz im Kampfgebiet in der Ukraine ermöglicht. Damit stellt das Verwaltungsgericht einen Zusammenhang her zwischen der Verpflichtung, den Grundwehrdienst abzuleisten, und dem Einsatz von Vertragssoldaten in dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Territorium der Ukraine, verbunden mit der Gefahr eines ernsthaften und erheblichen Schadens. Diese Schadenszufügung geht aber regelmäßig nicht von dem staatlichen Akteur aus, der die Kriegsteilnahme erzwingt, sondern von dem sich verteidigenden angegriffenen Staat. Dem staatlichen Akteur, hier der Russischen Föderation, kann sie nur mittelbar zugerechnet werden, weil er seine angreifenden Truppen der Gefahr aussetzt, Schäden an Leib und Leben durch Verteidigungshandlungen des Angegriffenen, hier durch die Ukraine, die in diesem Sinne kein Akteur gemäß § 3c AsylG ist, zu erleiden. Der gravierende Schadenseintritt ist damit durch den Einsatz eigener Kräfte für einen Angriffskrieg nicht intendiert, sondern eine mit dem Austausch kriegerischer Feindseligkeiten einhergehende Folge, die nur dann in die Gesamtwürdigung einbezogen werden darf, wenn man sie als vom russischen Staat "ausgehend" im Sinne von § 3c AsylG subsumieren kann. Das kann hier im Ergebnis dahinstehen, weil auch dann, wenn man dies annehmen wollte, eine Gesamtwürdigung der Erkenntnislage die Bildung der erforderlichen richterlichen Überzeugung von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit der befürchteten Gefahr nicht zulässt. [...]
cc) Die Ableistung des Grundwehrdienstes in der Russischen Föderation und die Sanktionen, die dort mit einer Entziehung vom Wehrdienst verbunden sind, sind unterhalb der Schwelle eines Einsatzes in einem völkerrechtlichen Angriffskrieg nicht mit der Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG verbunden.
Wer einer Einberufung keine Folge leistet, macht sich in der Russischen Föderation nach § 328 RussStGB strafbar. Insoweit drohen Sanktionen, Geldstrafen von bis zu 200.000 Rubeln (ca. 2.000 Euro) oder in der Höhe bis zu 18 Monatseinkommen, Zwangsarbeit bis zu zwei Jahren, Arrest von bis zu sechs Monaten oder Freiheitsentzug bis zu zwei Jahren [...]. Diese Strafen bieten als solche keinen hinreichenden Anhalt für eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Allerdings muss man konstatieren, dass die Bedingungen im russischen Strafvollzug allgemein schlecht sind, so dass eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nicht unwahrscheinlich ist, wenn eine strafrechtliche Verurteilung zu Freiheitsentzug droht.
Dem Kläger droht allerdings keine strafrechtliche Sanktion deshalb, weil er im Ausland aufhältig nicht als Wehrpflichtiger registriert ist. Er ist noch als Minderjähriger ausgereist und erst im Bundesgebiet in das wehrdienstpflichtige Alter hineingewachsen. Wehrpflichtig sind nach einer zum 1. Januar 2024 in Kraft getretenen Gesetzesnovelle 18- bis 30-jährige junge Männer [...]. Ein Einberufungsbefehl für den Kläger liegt bislang nicht vor. Handlungen wie die Nichtbefolgung einer Gestellungsaufforderung und erst recht der Desertation als Militärangehöriger stehen damit nicht in Frage. Eine Bestrafung wegen Wehrdienstentziehung hat der Kläger danach nicht zu befürchten. § 328 RussStGB greift frühestens ab der Missachtung eines Gestellungstermins bei den Militärbehörden, jedenfalls ab dem Augenblick eines ignorierten Einberufungsbefehls [...]. Eine Einberufung zum Grundwehrdienst kann aber nur erfolgen, soweit der Betroffene registriert und tauglich gemustert ist, so dass es beim Kläger bislang an allen Grundlagen für ein strafbares Verhalten fehlt.
Auch sonst kann dem Kläger grundsätzlich die Ableistung des Grundwehrdienstes zugemutet werden. Der Kläger hat – abgesehen von der Befürchtung eines Einsatzes für die Russische Föderation und gegen die Ukraine – insoweit nichts geltend gemacht, was zur Gewährung subsidiären Schutzes zu führen geeignet wäre. Zwar wird innerhalb militärischer Strukturen in der Russischen Föderation vermutet, dass die sog. Dedowschtschina ("Herrschaft der Großväter") – ein System des Schikanierens und der Erniedrigung, Vergewaltigungen, der groben körperlichen Gewalt und Einschüchterungen durch dienstältere Mannschaften an abgelegenen Standorten ohne Ausgang bzw. Urlaub – weiterhin in den russischen Streitkräften vorkommt, wenn auch nach Ausweitung der militärpolizeilichen Befugnisse im Jahre 2015 zur Bekämpfung von Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte und Dienstgrade innerhalb der Streitkräfte nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit [...]. Auch wenn die Erkenntnislage danach wenig für eine Zurückdrängung oder gar Bewältigung des Problems hergibt, besteht aber kein Zweifel, dass es sich um unzulässige und auch mit Strafe bedrohte Übergriffe handelt, die – soweit sie angezeigt werden – offiziell auch verfolgt werden und zur Versetzung Verantwortlicher in Strafbataillone zur Verrichtung von Schwerstarbeit oder zur Verhängung von Kriminalstrafen führen können. Wesentlich zur Bekämpfung staatlicherseits habe die Verkürzung des Wehrdienstes von zwei Jahren auf ein Jahr gewirkt, weil sie das Aufeinandertreffen von Wehrdienstleistenden verschiedener Einberufungsjahre vermeidet. Effektiv sei auch die Belassung von Mobiltelefonen, weil damit Verletzungsfolgen dokumentiert werden könnten und Vorfälle gemeldet und nicht mehr ohne weiteres "unter den Tisch" gekehrt werden könnten, was durch die Abgelegenheit und Abgeschlossenheit vieler militärischer Standorte begünstigt wird. Vorkommende Vorfälle dürften daher dem Staat als Akteur nicht zuzurechnen sein und berechtigen nicht zu der grundsätzlichen Annahme, dass die Einberufung zum Grundwehrdienst in der Russischen Föderation im allgemeinen zu einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung im Militär führt.
dd) Die Wahrscheinlichkeit einer Einberufung des Klägers zum Grundwehrdienst dürfte bei einer Rückkehr nach Tschetschenien deutlich herabgesetzt, aber wegen der dort herrschenden Rekrutierungspraxis gleichwohl unberechenbar sein.
aaa) Die herabgesetzte Wahrscheinlichkeit hängt damit zusammen, dass bei Wiedereinführung der Einberufung von Tschetschenen zum Grundwehrdienst im Jahre 2014 eine Quote von 500 Mann festgelegt wurde, die aus Tschetschenien pro Einberufungskampagne gezogen wird [...]. Die Erkenntnislage geht im Übrigen dahin, dass russische Staatsbürger tschetschenischer Nationalität in allen Regionen der Russischen Föderation einberufen werden, wenn sie dort amtlich gemeldet und militärisch registriert sind. Die Quote bezieht sich danach nur auf in Tschetschenien wohnhafte wehrpflichtige junge Männer; es wird berichtet, dass wegen der geringen Zahl der Einberufungen junge Tschetschenen, die sich davon Vorteile für ein berufliches Fortkommen im Staatsdienst versprechen, ihren Wohnsitz in andere Regionen verlegen, um einberufen werden zu können [...]. Die Erkenntnisse stammen zwar aus der Zeit vor Beginn des Ukrainekriegs. Es gibt aber keine Anzeichen für eine wesentliche Änderung der Einberufungspraxis.
bbb) Ungeachtet dessen würde sich der Kläger voraussichtlich einer willkürlichen Rekrutierungspraxis ausgesetzt sehen. Das betrifft zum einen die Einberufung zum Grundwehrdienst im Rahmen der Quote, vor allem aber eine zwangsweise Rekrutierung als Vertragssoldat mit einer dann realen Möglichkeit des Einsatzes zu Kampfhandlungen in der Ukraine.
(1) Tschetschenische Einheiten werden in der Ukraine seit dem Sommer 2022 eingesetzt. Teils handelt es sich um der Nationalgarde Kadyrows unterstellte Einheiten, teils um auf der Ebene des russischen Verteidigungsministeriums in Tschetschenien für diesen Einsatz gebildete Bataillone und Regimenter [...]. Zahlenangaben schwanken zwischen 21.000 (2022) und 9.000 (2023) tschetschenischen Kämpfern [...]. Kadyrow hatte anfangs zugesagt, 200 "Freiwillige" pro Woche zu stellen; jüngst gab er gegenüber Putin an, seit Kriegsbeginn 47.000 Mann entsandt zu haben, darunter 19.000 "Freiwillige" [...]. Putins Teilmobilisierung im September 2022 in der Russischen Föderation wurde in Tschetschenien nicht umgesetzt mit der Begründung, Tschetschenien habe schon überproportional Kräfte beigesteuert. Gleichwohl finden weiterhin Rekrutierungen in Tschetschenien statt, die in der Regel auf vertraglicher Grundlage erfolgen. Realistisch wird eine Zahl von 10 bis 15 sog. Freiwillige pro Monat geschätzt. Teilweise handelt es sich um aus Überzeugung handelnde Freiwillige, der größte Teil kommt aus ärmeren Schichten der Landbevölkerung und wird durch die gute Bezahlung motiviert, und eine dritte Gruppe wird unter Zwang rekrutiert [...]. Zwangsmaßnahmen richten sich dabei vor allem gegen bereits "in den Fokus" geratene vermutete Regimegegner [...], gegen gesellschaftliche Randgruppen und solche Kreise, die sich dem Militärdienst entziehen wollen [...]. Letztere werden offiziell als Lumpen, Gesindel und Feiglinge an den Pranger gestellt, und es werden ihnen Sozialleistungen verweigert. Es sollen auch Listen von ausgereisten Männern aufgestellt worden sein [...]. Der ausgeübte Zwang reicht von Verhaftungen der Betroffenen, Folter, Entführung, Gewalt gegen und Erniedrigung von Familien- und Stammesangehörigen und allgemeiner Benachteiligung. Militärische Ausbildung spielt für die Rekrutierung keine erhebliche Rolle; die "freiwilligen" Rekruten erhalten in Gudermes eine als nicht besonders anspruchsvoll beschriebene zehntägige Ausbildung, bevor sie in die Ukraine entsandt werden [...]. Kadyrow stellte für eingesetzte Nationalgardeeinheiten zunächst sicher, dass sie nach Möglichkeit nicht an vorderster Front eingesetzt werden. Das ließ sich jedoch im Jahre 2023 nicht mehr durchhalten, nachdem sich die Wagner-Söldner zurückgezogen hatten. Für die tschetschenischen Kampfeinheiten [...], die dem russischen Verteidigungsministerium unterstehen und sich auch nicht völlig aus tschetschenischen Volkszugehörigen zusammensetzen, wird die Beteiligung an verlustreichen Fronteinsätzen im Rahmen der ukrainischen Sommerinitiative im Südosten berichtet [...]; das Risiko, zu fallen, soll bei muslimisch geprägten Einheiten zehnmal höher als bei Soldaten aus Moskau sein, die tschetschenischen Einheiten werden von den russischen Machthabern als "private Wegwerfarmee" betrachtet und mit der "Drecksarbeit" betraut [...].
(2) Diese Erkenntnislage birgt für den Kläger eine tatsächliche Gefahr, unter Zwang für den Einsatz in der Ukraine rekrutiert und dort unter Lebensgefahr eingesetzt zu werden, sollte er nach Tschetschenien zurückkehren. Er müsste sich dort als ungedienter junger Mann im wehrpflichtigen Alter bei den Militärbehörden melden und auch sonst würde seine Registrierung örtliche Behörden auf ihn aufmerksam werden lassen. Unregistriert wäre er mit seiner Vita sowieso verdächtig, dass er ein Abkömmling von Regimegegnern oder "Drückebergern" im Sinne der Lesart von Kadyrow ist. [...]
ee) Die Beklagte geht auf die Thematik, was dem Kläger in Tschetschenien droht, nicht näher ein, sondern verweist auf den internen Schutz in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation.
Bietet eine Niederlassung in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus dem Kläger grundsätzlich internen Schutz [...], unterläge er nach den vorstehenden Ausführungen auch als Tschetschene als Wehrdienstpflichtiger im Alter zwischen 18 und 30 Jahren nach den allgemein geltenden Regeln der Einberufung zum Grundwehrdienst im Rahmen der nach Erlass des Präsidenten heranzuziehenden Zahl der Einzuberufenden. Eine solche Einberufung des Klägers hält der Senat entgegen der Beklagten nicht für unwahrscheinlich; sie stellt eine ernst zu nehmende Möglichkeit dar. Insbesondere ist es nicht wahrscheinlich, dass der im Umgang mit russischen (Militär-) Behörden vollkommen unerfahrene Kläger durch einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung und Wehrersatzdienstleistung eine Einberufung zum Grundwehrdienst vermeiden können wird.
aaa) Was die Voraussetzungen internen Schutzes angeht, hält der Senat auch unter den veränderten Bedingungen seit dem Angriff auf die Ukraine und insbesondere den gegenwärtig durch interne Fluchtbewegungen auftretenden Belastungen aufgrund der ukrainischen Offensive in der Oblast Kursk an der bisherigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts [...] fest, dass Tschetschenen, die nicht in besonderer Weise politisch in Erscheinung getreten sind und bei denen daher kein landesweites Verfolgungsinteresse der föderalen Sicherheitsbehörden anzunehmen ist und keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die tschetschenischen Sicherheitsbehörden ein besonderes Interesse an ihrer Ergreifung haben und deshalb ihre Festnahme und Überstellung durch föderale oder lokale Behörden in der übrigen Russischen Föderation veranlassen oder sie auch außerhalb ihres örtlichen Zuständigkeitsbereichs inoffiziell verfolgen werden, grundsätzlich bei einer ihnen zumutbaren Niederlassung in anderen Teilen der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus vor Verfolgung oder ernsthaften Schäden im Sinne des § 4 AsylG sicher sind [...].
ff) Der Kläger muss in anderen Teilen der Russischen Föderation damit rechnen, dass er zum Grundwehrdienst eingezogen wird.
aaa) Zwar ist die Wahrscheinlichkeit dafür durchaus beschränkt. Denn die durch Erlass des russischen Präsidenten festgelegten Quoten für die jährlich im Frühjahr und Herbst stattfindenden Einberufungskampagnen sind deutlich geringer als die Zahl der ungedienten Wehrpflichtigen, so dass rechnerisch nur etwa jeder Dritte des in das wehrfähige Alter eingetretenen Jahrgangs herangezogen wird [...]. Es ist danach nicht erkennbar, dass die Kriegssituation bislang zu einer direkten Mobilisierung soldatischen Potentials über Grundwehrdienstleistende führt. Dagegen spricht auch, dass diese nach den gesetzlichen Bestimmungen erst nach einer viermonatigen Grundausbildung im Ausland einsetzbar wären; die Kriegssituation benötigt aus Sicht der Russischen Föderation für offensive Erfolge und den Ersatz von Verlusten sofort einsatzfähige und ausgebildete Männer. Die Zahlen spiegeln eher, dass die Russische Föderation seit längerem den Umbau zu einer Berufsarmee anstrebt.
bbb) Für die Prognose einer möglichen Einberufung ist aber die Situation des Klägers im Fall der Rückkehr auch qualitativ zu bewerten. Insoweit fällt ins Gewicht, dass er sich selbst als einschränkungslos gesund bezeichnet und damit voraussichtlich als tauglich gemustert wird. Er wird im Rückkehrfall nicht über die Geldmittel verfügen, die notwendig sind, um sich mangelnde Tauglichkeit durch Bestechung zu erkaufen, was in der Russischen Föderation einen üblichen und akzeptierten Weg darstellt, um der Heranziehung zum Wehrdienst zu entgehen [...]. Der Kläger gerät auch unweigerlich in den Blick der zuständigen Militärkommission, weil er sich nach den gesetzlichen Vorschriften über den Wehrdienst dort binnen zwei Wochen zu melden hat [...], wenn dies nicht schon als Folge der Einreisekontrolle oder der notwendigen Registrierung am Ort der Niederlassung geschehen ist. Der Kläger ist alleinstehend, seine Kernfamilie befindet sich im Ausland und er ist als Wehrdienstpflichtiger bereits in einem Alter, in dem er nur noch für wenige Einberufungskampagnen zur Verfügung steht. Außerdem dürfte er im Fall einer Rückkehr noch nicht fest im Erwerbsleben verankert sein, weshalb er als verfügbar angesehen werden wird. Diese Umstände sprechen für seine Auswahl zur Erfüllung der Einberufungsquote.
ccc) Demgegenüber dürfte es eher unrealistisch sein, dass es dem Kläger gelingt, einer Heranziehung durch Wehrdienstverweigerung und Ableistung eines zivilen Wehrersatzdiensts zu entgehen.
Zwar ist ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung in der Russischen Verfassung verbrieft und dieses auch unter der Kriegssituation und der dadurch bedingten Teilmobilisierung von Reservisten für ungediente Wehrpflichtige nicht ausgesetzt [...]. Gleichwohl stellt ein Antrag auf alternativen Zivildienst in der Russischen Föderation keinen verbreiteten und üblichen Weg dar, um einer Heranziehung zum (Grund-)Wehrdienst zu entgehen; entweder gehe man zur Armee oder werde aus gesundheitlichen Gründen, die entweder tatsächlich vorliegen oder aber aufgrund von Bestechung bescheinigt würden, befreit [...]. Das bestätigt die Zahl der für einen Ersatzdienst vorgesehenen etwa 3000 Stellen [...] und der aktuell Ersatzdienstleistenden [...] im Verhältnis zur Zahl der jährlich Einberufenen. Anträge auf Wehrersatzdienst sind nach dem Gesetz sechs Monate vor den jeweiligen Einberufungsterminen zu stellen. Die Anträge auf Kriegsdienstverweigerung sollen nur vor Ort und nicht durch Bevollmächtigte gestellt werden können [...]. Das würde für den Kläger bedeuten, dass er einen solchen Antrag nicht für die unmittelbar auf seine Rückkehr folgende Einberufungskampagne stellen kann, sondern erst frühestens für die darauffolgende. Über die Erfolgsaussichten solcher Anträge wird Unterschiedliches berichtet. Teilweise werden Betroffene mit der Begründung abgewiesen, es gäbe kein Recht auf Ersatzdienst oder dadurch demotiviert, dass sie in einem zivilen Ersatzdienst an abgelegenen Orten Schwerstarbeit leisten müssten [...]. Es wird berichtet, etwa die Hälfte der nach Angaben des russischen Verteidigungsministeriums jährlich etwa 2000 Anträge sei erfolgreich. Bei Ablehnung könne mit aufschiebender Wirkung ein Gericht angerufen werden [...]; etwa ein Fünftel der Ablehnung habe vor Gericht keinen Bestand [...]. Jedenfalls wird berichtet, dass nur eine beharrliche Verfolgung des Anliegens erfolgversprechend ist [...].
Der Senat traut dem Kläger, der durch seine langen Aufenthalte in Polen und im Bundesgebiet den Umgang mit russischen Behörden nicht gewohnt ist, das notwendige Geschick und die gebotene Beharrlichkeit in einem bürokratischen Verfahren nicht ohne weiteres zu. Überdies dürfte es dem Kläger, der hier gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht aus dem Wege geht und deshalb auch schon strafrechtlich verurteilt worden ist, schwerfallen, eine Gewissensentscheidung gegen den Dienst mit der Waffe überzeugend darzustellen. Deshalb folgt der Senat der Beklagten nicht, soweit sie meint, der Kläger könne seinen Befürchtungen im Zusammenhang mit der Leistung des Wehrdiensts durch Wahrnehmung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung und einen alternativen Zivildienst entgehen.
gg) Es ist jedoch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger im Fall einer Einberufung zum Grundwehrdienst in der Ukraine und damit in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg eingesetzt wird.
aaa) Die Erkenntnislage stellt sich wie folgt dar: Grundwehrdienstleistende wurden zu Beginn der russischen Offensive im Frühjahr 2022 eingesetzt, obwohl Präsident Putin dies Anfang März 2022 ausgeschlossen hatte. Als die Stationierung in der Ukraine publik wurde, ordnete er Ermittlungen der Militärstaatsanwaltschaft an, die zur Rückholung von 600 Grundwehrdienstleistenden und zur Bestrafung oder Entlassung von zwölf Offizieren geführt haben sollen [...]. Grundwehrdienstleistende werden auf der Krim sowie für Grenzsicherungszwecke entlang der russisch-ukrainischen Grenze eingesetzt [...]. Diese Kampfhandlungen finden indessen auf russischem Territorium statt und dienen der Abwehr der ukrainischen Offensive. Der Kampfeinsatz der Wehrpflichtigen findet nicht statt, um das Gebiet der Ukraine oder Teile davon völkerrechtswidrig zu erobern, zu besetzen oder zu annektieren. Der Einsatz zur Verteidigung eigenen Territoriums stellt keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG dar. Im Ergebnis nicht anders verhält es sich bei der Stationierung Wehrpflichtiger auf der Krim. Die Russische Föderation betrachtet dieses Gebiet nach der völkerrechtswidrigen Annektierung als russisches Territorium, so dass der militärische Einsatz dort der Aufrechterhaltung des geschaffenen Zustands dient. Direkte Kampfhandlungen gegen die Ukraine finden auf der Krim nicht statt, so dass ein ernsthafter Schaden im Sinne der Vorschrift nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht.
bbb) Diese Erkenntnislage ermöglicht keine Überzeugungsbildung dahin, dass dem Kläger als Grundwehrdienstleistenden ein ernsthafter Schaden durch eine Verstrickung in den Angriffskrieg gegen die Ukraine droht.
Der Senat verkennt nicht, dass den Machthabern in der Russischen Föderation in besonderer Weise daran gelegen ist, die Information nach innen zu verbreiten, dass keine Wehrpflichtigen für die "Sonderoperation" in der Ukraine (mehr) in Anspruch genommen werden. Diese propagandistische Zielsetzung bietet aber keine Gewähr dafür, dass es abhängig von der Entwicklung der militärischen Lage auch entgegen geltendem russischen Recht und wider allen öffentlichen Verlautbarungen doch zu einem solchen Einsatz kommen kann [...]. Dass diese Möglichkeit besteht und nicht auszuschließen ist, genügt jedoch in Anbetracht aller übrigen Umstände, insbesondere der Erkenntnisse über sog. verdeckte Mobilisierung, nicht, um sie als beachtlich wahrscheinlich anzunehmen. Bei der Würdigung ist vor allem der Zeitfaktor von Gewicht. Nach den Ereignissen bis Sommer 2022 sind keine Informationen über einen Einsatz Wehrdienstleistender in der Ukraine mehr bekannt geworden. Diese Erkenntnislage ist damit über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren stabil. Im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) reicht angesichts dessen die fortbestehende Möglichkeit, dass die Machthaber in der Russischen Föderation den Einsatz Wehrdienstleistender zu Kampfhandlungen durchsetzen könnten, wenn sie sich davon einen Vorteil versprechen, für die richterliche Überzeugungsbildung nach § 108 Abs. 1 VwGO nicht aus.
ccc) Dem Verwaltungsgericht kann auch nicht darin gefolgt werden, dass eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Kläger nach einer Einberufung zum Grundwehrdienst genötigt werden wird, sich als Vertragssoldat zu verpflichten und sodann in der Ukraine eingesetzt werden könnte.
(1) Auch insoweit gibt die Erkenntnislage zu dieser Form der verdeckten Mobilisierung zu wenig her, um die volle richterliche Überzeugung für einen solchen Hergang zu gewinnen. Allgemein werden "Medienberichte" für eine Rekrutierung unter Zwang angeführt [...]
e) Nach allem lässt die aktuelle Erkenntnislage die Feststellung nicht zu, dass dem Kläger infolge des Umstands, dass er sich im wehrpflichtigen Alter befindet und bei einer ihm als Tschetschenen als interne Schutzmöglichkeit zumutbaren Rückkehr in die Russische Föderation mit der Einberufung zum Grundwehrdienst rechnen muss, im Zusammenhang mit dem gegen die Ukraine geführten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg aktuell ein ernsthafter Schaden gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 2 AsylG droht. Das geht zu Lasten des sich auf die nichterweisliche Behauptung berufenden Klägers. [...]