Ermessensausübung bei § 25 Abs. 5 AufenthG
1. Neben der Frage nach der Verantwortlichkeit und dem Maß der Vorwerfbarkeit für die Nichterfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen ist auch in den Blick zu nehmen, in welchem Umfang der Ausländer den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht gerecht wird. Bei der Frage der Lebensunterhaltsicherung ist ein maßgeblicher Aspekt, in welchem Umfang die Sicherung des Lebensunterhalts nicht gelingt. Gelingt dies nur in geringen Umfang nicht, erweist sich der hinter der Forderung nach einer Lebensunterhaltssicherung stehende öffentliche Belang grundsätzlich als zunächst von geringerem Gewicht im Rahmen des Abwägungsvorgangs.
2. Im Rahmen dieses Abwägungsvorgangs spielt es keine Rolle, ob der Ausländer bei Versagung der begehrten Aufenthaltserlaubnis einen Anspruch auf Duldung hat. Eine solche Betrachtungsweise stünde im Widerspruch zur Systematik des Aufenthaltsgesetzes. Gerade die Schaffung des Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG ist Ausdruck der gesetzgeberischen Entscheidung, dass dem Fall einer Unmöglichkeit der Ausreise nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht nur durch Aussetzung der Abschiebung, sondern auch durch die Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels begegnet werden kann.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Das Ermessen gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist nicht weiter gebunden [...]. Erforderlich ist eine umfassende Interessenabwägung, bei der nach Ermessen darüber zu entscheiden ist, ob in Hinblick auf die Gewichtigkeit der einschlägigen öffentlichen und privaten Interessen sowie der gesetzgeberischen Intention, Kettenduldungen möglichst zu vermeiden, auf eine allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG verzichtet werden kann [...]. Da Art. 6 GG auch nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt gewährt [...], setzen sich auch gewichtige familiäre Belange nicht stets gegenüber gegenläufigen öffentlichen Interessen durch [...]. Die in Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 GG enthaltene wertentscheidende Grundsatznorm, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichtet jedoch dazu, im Rahmen der gebotenen Einzelfallbetrachtung die bestehenden familiären Bindungen im Bundesgebiet entsprechend ihrem Gewicht zur Geltung zu bringen [...]. Zudem sind in die Abwägung auch die Gründe einzustellen, aufgrund derer die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht vorliegen [...]. Neben der Frage nach der Verantwortlichkeit und dem Maß der Vorwerfbarkeit für die Nichterfüllung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung [...] ist dabei auch in den Blick zu nehmen, in welchem Umfang der Ausländer den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nicht gerecht wird. Gerade bei der Frage, ob der Lebensunterhalt gesichert ist, ist ein maßgeblicher Aspekt, in welchem Umfang dies nicht gelingt. Gelingt dies nur in geringen Umfang nicht, erweist sich der hinter der Forderung nach einer Lebensunterhaltssicherung stehende öffentliche Belang grundsätzlich zunächst von geringerem Gewicht im Rahmen des Abwägungsvorgangs. Ob er dennoch überwiegt, hängt von dem Gewicht der privaten Belange ab, auf die sich der Ausländer für seinen weiteren Aufenthalt beruft.
Demgegenüber spielt es im Rahmen dieses Abwägungsvorgangs keine Rolle, ob der Ausländer bei Versagung der begehrten Aufenthaltserlaubnis einen Anspruch auf Duldung hat. Eine solche Betrachtungsweise würde dem Geltungsgehalt des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG nur unzureichend gerecht und stünde im Widerspruch zur Systematik des Aufenthaltsgesetzes. So ist gerade die Schaffung des Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG Ausdruck der gesetzgeberischen Entscheidung, dass dem Fall einer Unmöglichkeit der Ausreise nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG nicht nur durch Aussetzung der Abschiebung, sondern auch durch die Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels begegnet werden kann [...]. Jedenfalls in ihrer durch den Gesetzgeber zumindest unwidersprochen geblieben Ausformung durch die Rechtsprechung [...] sichert die Norm damit auch die verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen - auch in Bezug auf Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG -, soweit der Gesetzgeber hiervon bei der Schaffung der Regelungen zum Familiennachzug abgesehen hat [...]. Dies kann nicht dadurch unterlaufen werden, dass der Ausländer zur Wahrung des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 GG auf die Aussetzung seiner Abschiebung verwiesen wird. [...]