Notwendige Verteidigung im Strafverfahren bei schweren aufenthaltsrechtlichen Folgen:
"Wird Beschuldigten vorgeworfen, falsche Angaben in einem ausländerrechtlichen Verfahren oder Asylverfahren gemacht zu haben, so liegt ganz regelmäßig angesichts der drohenden Ausweisung (§ 54 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG) ein Fall notwendiger Verteidigung gem. § 140 Abs. 2 StPO vor."
(Amtlicher Leitsatz)
[...]
Dem Angeklagten wird gemäß § 68 Nr. 1 JGG i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO Rechtsanwalt Dr. ... als Pflichtverteidiger bestellt. [...]
Ein Fall des § 68 Nr. 1 JGG i.V.m. § 140 Abs. 2 StPO liegt vor, weil die Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge die Beiordnung eines Verteidigers gebietet. Dabei gilt, dass auch mittelbare schwerwiegende Nachteile, die der Angeklagte infolge einer Verurteilung zu erwarten hat, bei der Beiordnungsentscheidung zu berücksichtigen sind [...]. Zugleich ist - auch und besonders bei ausländischen Jugendlichen - eine jugendspezifische Auslegung im Lichte des § 68 JGG geboten [...].
Zwar liegt die im Strafverfahren zu erwartende Strafe im Bereich einer niedrigen Geldstrafe. Dennoch droht dem Beschuldigten durch die Verurteilung eine ganz erhebliche Folge: Die Ausweisung. Nach § 54 Abs. 2 Nr. 8a AufenthG liegt ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor, sofern in einem Verwaltungsverfahren falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat. Der vorliegende Vorwurf der Vorlage eines gefälschten Passdokuments inkludiert den Vorwurf, gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als zuständige Behörde des Verwaltungsverfahrens falsche Angaben gemacht zu haben. Die Tat kann vorliegend angesichts des Rückwirkungsverbots nicht nach § 85 Abs. 1 Nr. 5 AsylG verfolgt werden.
Anerkannt ist, dass die Ausweisung als Konsequenz eines Strafverfahrens einen schwerwiegenden Nachteil i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO darstellt [...]. Anders als etwa in Fällen des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG ist das Ausweisungsinteresse im hiesigen Fall zwar nicht unmittelbar an die Verurteilung im strafrechtlichen Wege gebunden. Das Ausweisungsinteresse wird bereits durch die Falschangaben im Asylverfahren begründet. Dennoch hat die strafrechtliche Verurteilung zumindest indizielle Bedeutung für das verwaltungsrechtliche Verfahren. Dementsprechend folgen aus einer Verurteilung aufgrund eines im Asyl- bzw. aufenthaltsrechtlichen Verfahren begangenen Urkundendelikts oder nach § 85 Abs. 1 Nr. 5 AsylG jedenfalls schwerwiegende mittelbare Nachteile, die eine Verteidigung nach § 140 Abs. 2 StPO notwendig machen.