Keine Zulassung der Berufung wegen schlechter humanitärer Lage in Mali:
"1. Die Frage, ob möglicherweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen der schlechten sozioökonomischen und humanitären Bedingungen im Herkunftsland in Betracht kommt, ist deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie in dieser allgemein gehaltenen Form nicht fallübergreifend geklärt, sondern nur anhand der Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls beantwortet werden kann.
2. Auch wenn das Verwaltungsgericht seine Bewertung von bestimmten tatsächlichen Verhältnissen im Herkunftsland des Asylklägers nicht mit dem Verweis auf einzelne konkret benannte Erkenntnismittel untermauert, bedarf es zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zumindest ansatzweise Ausführungen dazu, aus welchen Gründen in tatsächlicher Hinsicht Klärungsbedarf besteht und welche (neueren) Erkenntnismittel für eine vom Verwaltungsgericht abweichende Tatsacheneinschätzung sprechen.
3. Die Frage, ob sich mit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. Juni 2021 - C-901/19 - die Rechtslage in zuvor bestandskräftig abgeschlossenen Asylverfahren im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat und somit ein Asylfolge- oder Zweitverfahren durchzuführen ist, kann abschließend nur anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls beantwortet werden und ist deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung."
(Amtliche Leitsätze)
[...]
II. Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, hat keinen Erfolg.
Die Berufung ist nicht gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG wegen der von dem Kläger geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. [...]
Der Kläger hat zunächst die Frage aufgeworfen, "ob alle Asylfolgeanträge nach § 71a AsylG von malischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, deren Erstverfahren vor der Coronakrise, spätestens jedoch nach dem ersten Militärputsch abgeschlossen worden sind, aufgrund der massiven deutlichen Verschlechterung der Sicherheits- (und Versorgungs-) Lage wieder aufgegriffen werden müssen, da es aufgrund der veränderten Lage in der Republik Mali zumindest möglich ist, dass eine andere Entscheidung getroffen wird und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1-3 VwVfG – mindestens im Hinblick auf eine veränderte Sachlage – in der Regel vorliegen."
Soweit diese Frage sich auf eine zwischenzeitliche Verschlechterung der Versorgungslage in Mali bezieht und damit darauf abzielt, ob in einem Asylzweitverfahren möglicherweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK wegen der schlechten sozioökonomischen und humanitären Bedingungen im Herkunftsland in Betracht kommt, ist sie deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie nicht fallübergreifend geklärt, sondern nur anhand der Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls beantwortet werden kann. Denn die Antwort hängt von einer Vielzahl individueller Umstände und Faktoren wie etwa dem Alter, dem Geschlecht, dem Gesundheitszustand, der Volkszugehörigkeit, der Ausbildung, dem Vermögen und familiären oder freundschaftlichen Verbindungen ab [...].
Und soweit sich die von dem Kläger aufgeworfene Frage auf eine zwischenzeitliche Verschlechterung der Sicherheitslage in Mali bezieht, hat er nicht ausreichend dargelegt, dass sie im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte.
Das Verwaltungsgericht hat seine Auffassung, wonach in der Stadt Timbuktu und in den von der Regierung beherrschten südlichen Landesteilen auch unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel derzeit keine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit des Klägers infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines landesweiten innerstaatlichen bewaffneten Konflikts besteht, zwar nicht mit dem Verweis auf einzelne konkret benannte Erkenntnismittel untermauert (Urteilsabdruck, S. 5). Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache hätte es ungeachtet dessen jedoch zumindest ansatzweise Ausführungen dazu bedurft (vgl. Senatsbeschl. v. 7.9.2021 - 4 LA 123/21 -, V.n.b.), aus welchen Gründen davon auszugehen ist, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen in Mali möglicherweise zwischenzeitlich ein Ausmaß erreicht haben, bei dem landesweit auch ohne gefahrerhöhende Umstände im Einzelfall die Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG vorliegen. Hieran fehlt es. [...]
Aus diesem Vorbringen ergeben sich zwar deutliche Hinweise auf eine Verschlechterung der Sicherheitslage in Mali. Keine der vom Kläger zitierten Aussagen aus Erkenntnisquellen enthält jedoch auch nur ansatzweise konkrete Hinweise, die dafürsprechen, dass sich die Verschlechterung der Sicherheitslage auf das gesamte Staatsgebiet von Mali bezieht und (möglicherweise) landesweit zu einer Gefahrenlage für die Zivilbevölkerung führt, die den Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG entspricht.
Der Kläger hat ferner die Frage formuliert, "ob bei einem Asylfolgeantrag für Asylverfahren, die vor dem 28.11.2019 abgeschlossen wurden (Zeitpunkt des Vorlagebeschlusses des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg), zu prüfen ist, ob subsidiärer Schutz nach der Entscheidung vom 10.06.2021 zu prüfen ist." Diese Frage zielt darauf ab, ob mit dem auf den Vorlagebeschluss des Verwaltungsgerichts Baden-Württemberg vom 29. November 2019 - A 11 S 2374/19, A 11 S 2375/19 - (in juris) ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. Juni 2021 - C-901/19 - (in juris) sich die Rechtslage in zuvor bestandskräftig abgeschlossenen Asylverfahren im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat und somit ein Asylfolge- oder Zweitverfahren durchzuführen ist.
Diese Frage ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung. In Teilaspekten kann sie bereits anhand der vorhandenen Rechtsprechung ohne weiteres beantwortet werden, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf. [...]
In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist bereits geklärt, dass jedes Urteil des Gerichtshofs, und zwar auch ein Urteil, das sich auf die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts beschränkt, die bei Erlass einer Entscheidung über einen früheren Antrag bereits in Kraft war, unabhängig von seinem Verkündungsdatum einen neuen Umstand bzw. ein neues Element im Sinne von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d und Art. 40 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/32/EU dieser Bestimmungen darstellt, wenn es erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beiträgt, dass der Antragsteller als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist (EuGH, Urt. v. 8.2.2024 - C-216/22 -, juris Rn. 54). Entsprechendes muss somit auch für die Auslegung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in asylrechtlichen Folge- oder Zweitantragsverfahren gelten.
Deshalb kann sich prinzipiell auch aus vom Kläger genannten Urteil vom 10. Juni 2021 - C-901/19 -, in dem sich der Gerichtshof zur Prüfung des subsidiären Schutzes gemäß Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU geäußert hat, eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen ergeben. Ob dies der Fall ist, hängt – wie soeben ausgeführt – davon ab, ob der Inhalt dieses Urteils erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beiträgt, dass für den Antragsteller nunmehr ein Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist. [...]