Keine Fluchtgefahr vor Ablauf der Ausreisefrist:
Gemäß § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG wird eine Fluchtgefahr widerleglich vermutet, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Abschiebehaft kann nicht mit dem Vorliegen einer Fluchtgefahr begründet werden, wenn sich die Behörde zur Begründung der Haft auf § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG stützt, die Ausreisefrist aber noch nicht abgelaufen ist.
(Leitsatz der Redaktion)
[...]
Der Vollzug der Abschiebungshaft hat den Betroffenen im in der Beschlussformel genannten Zeitraum in seinen Rechten verletzt. [...]
Weder der Haftantrag der Beteiligten zu 2) vom 16.07.2024 noch der Beschluss des Amtsgerichts Dortmund vom selben Tage tragen den Haftgrund der erheblichen Fluchtgefahr. [...]
Eine Fluchtgefahr wird gemäß § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG vermutet, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Die Anzeigepflicht folgt aus § 50 Abs. 4 AufenthG. Dabei kommen nur Aufenthaltswechsel nach dem Entstehen der Ausreisepflicht und Ablauf der Ausreisefrist in Betracht [...]. Beides muss also kumulativ vorliegen. Bei der hier vorliegenden Abschiebungsanordnung nach § 34a AslyG wurde aber keine Ausreisefrist gesetzt. Ohne diese ist der Tatbestand des § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG aber nicht erfüllt, unabhängig davon, ob die übrigen Voraussetzungen der Norm vorliegen. Auch, dass § 34a Abs. 1 Satz 3 AsylG normiert, dass es einer vorherigen Androhung und Fristsetzung nicht bedarf, ändert daran nichts. Denn § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG verlangt ausdrücklich das Ablaufen einer gesetzten Ausreisefrist. Praktisch wird die Vorschrift daher selten relevant. Art. 2 Buchstaben) Dublin-III-VO erlaubt mit dem Erfordernis gesetzlich festgelegter Kriterien keine Analogie [...].
Dass § 2 Abs. 14 Satz 1 AufenthG eine "entsprechende" Anwendung der Vermutungs- und Indiztatbestände des § 62 Abs. 3a und 3b AufenthG zulässt, kann nicht dazu führen, dass das Tatbestandsmerkmal des § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG, dass eine Ausreisefrist abgelaufen sein muss, nicht vorliegen muss. Denn maßgeblich für die Vermutung, dass die Abschiebung ohne die Inhaftnahme erschwert oder vereitelt wird, ist der Umstand, dass Betroffene nach Ablauf der Ausreisefrist für die Durchführung der Abschiebung nicht zur Verfügung steht, weil er die Ausländerbehörde nicht über seinen Aufenthaltsort unterrichtet hat. Wird dem Betroffenen eine Frist zur Ausreise gewährt, muss er vor Ablauf der Frist mit Abschiebungsmaßnahmen nicht rechnen. Daher begründet eine vor Ablauf der Ausreisefrist unterlassene Mitteilung eines Aufenthaltswechsels nicht die Vermutung des § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG, der Betroffene werde für eine Abschiebung nicht zur Verfügung stehen. Die gesetzliche Vermutung kommt vielmehr erst dann zum Tragen, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Betroffene nun seine geänderte Anschrift nicht mitteilt; denn ab diesem Zeitpunkt muss er sich auf Abschiebungsmaßnahmen einstellen und seine Erreichbarkeit für eine Abschiebung gewährleisten. Geschieht dies nicht, ist allein aufgrund der Nichtanzeige seines Aufenthalts die Vermutung gerechtfertigt, dass er sich dem Zugriff der Ausländerbehörde entziehen will [...]. Die zu setzende Ausreisefrist ist daher wesentlicher Bestandteil der Vermutung der Fluchtgefahr. Würde man das Setzen einer Ausreisefrist nicht verlangen, würde die Begründung für die Vermutung der Fluchtgefahr unterlaufen. [...]