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VG Freiburg

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Zitieren als:
VG Freiburg, Beschluss vom 09.09.2024 - A 3 K 3871/24 - asyl.net: M32813
https://www.asyl.net/rsdb/m32813
Leitsatz:

Zur Zustellung in Gemeinschaftsunterkünften: 

1. Auf eine Gemeinschaftsunterkunft ist die Zustellungsvorschrift des § 10 Abs. 4 AsylG nicht anwendbar.

2. Für die Zustellung durch die Post mit Postzustellungsurkunde gelten die §§ 177 bis 182 Zivilprozessordnung (ZPO). Kann eine Zustellung nicht durch Übergabe an den Adressaten bewirkt werden, ist eine Ersatzzustellung an die Leitung der Gemeinschaftsunterkunft oder ihre Vertretung zu bewirken, § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Kann weder an die Leitung noch an die Vertretung zugestellt werden, ist eine Ersatzzustellung in einer Gemeinschaftsunterkunft durch Einlegen in den Briefkasten nur möglich, wenn der Adressat in der Gemeinschaftsunterkunft einen eigenen Briefkasten hat (in analoger Anwendung des § 180 ZPO). Eine Zustellung durch Einlegen in den Briefkasten der Gemeinschaftseinrichtung ist nach § 180 ZPO nicht möglich. Eine Ersatzzustellung kann nur nach § 181 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch Niederlegung des Schriftstücks bei der mit der Ausführung der Zustellung beauftragten Poststelle erfolgen.

3. Bei fehlerhafter Zustellung kommt es gemäß § 189 ZPO auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs beim Adressaten an.

 

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Zustellung, Ersatzzustellung, Zustellungsurkunde, Gemeinschaftsunterkunft, Asylverfahren, Griechenland, internationaler Schutz in EU-Staat, Suspensiveffekt,
Normen: AsylG § 10 Abs. 4, ZPO § 178 Abs. 1 Nr. 3, ZPO § 181 Abs. 1 S. 2, ZPO § 180, ZPO § 189
Auszüge:

[...]

I. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ist nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i. V. m. § 75 Abs. 1 Satz 1 AsylG statthaft und auch im Übrigen zulässig. [...]

Auf die Postzustellurkunde, wonach der Bescheid, weil die Übergabe des Schriftstücks nicht möglich gewesen sei, bereits am 23.07.2024 in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung eingelegt worden sei, kann vorliegend nämlich nicht abgestellt werden. Denn diese Zustellung genügt nicht den gesetzlichen Vorgaben.

Da sich das Bundesamt entschieden hat, den Bescheid förmlich zuzustellen, sind gemäß § 41 Abs. 5 (VwVfG) für die "Bekanntgabe" des Bescheids die Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) maßgebend. Für die gewählte Zustellung durch die Post mit Postzustellungsurkunde gelten nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZVG die §§ 177 bis 182 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend. Da es sich nach Auskunft des Leiters um eine Gemeinschaftsunterkunft und nicht um eine Aufnahmeeinrichtung handelt, sind die Besonderheiten des § 10 Abs. 4 AsylG nicht anwendbar [...]. Von daher gilt hinsichtlich der Zustellung, die gemäß § 177 ZPO durch Übergabe an den Adressaten zu bewirken ist, dass sie bei fehlender Übergabemöglichkeit an den Adressaten ersatzweise dadurch bewirkt werden kann, dass nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO dann, wenn eine Person, in einer Gemeinschaftseinrichtung wohnt, sie aber dort nicht angetroffen wird, das Schriftstück an den Leiter dieser Gemeinschaftseinrichtung oder seinem dazu ermächtigten Vertreter übergeben wird. Ist auch ein solcher Leiter beziehungsweise sein Vertreter nicht anzutreffen, an den das Schriftstück übergeben werden kann, so scheidet eine Ersatzzustellung durch Einlegung in den Briefkasten nach § 180 ZPO bei Gemeinschaftseinrichtungen aus, da diese Vorschrift nur auf die Zustellungen nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2, nicht aber auf die Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 (an den Leiter der Gemeinschaftseinrichtung) Anwendung. In diesem Fall ist lediglich eine Ersatzzustellung nach § 181 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch Niederlegung des Schriftstücks bei der mit der Ausführung der Zustellung beauftragten Poststelle zulässig. Nur dann, wenn der Adressat in der Gemeinschaftseinrichtung (ausnahmsweise) einen eigenen Briefkasten unterhält, ist nach überzeugender Auffassung eine analoge Anwendung des § 180 ZPO und damit eine Ersatzzustellung auch durch Einlegen in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zulässig [...].

Der Leiter der Gemeinschaftsunterkunft gab auf telefonische Nachfrage an, dass die Post dort zentral bei ihm eingehe und täglich zur Abholung bereitgehalten werde. Die Asylsuchenden würden sowohl über den allgemeinen Ablauf der Postverteilung als auch über den Posteingang informiert. Mitunter hielten sich die Asylsuchenden jedoch auch für längere Zeit nicht in der Einrichtung auf. Werde die Post später abgeholt, werde dies auf dem Umschlag vermerkt. Demnach hat der Antragsteller wohl schon keinen mit seinem Namen beschrifteten Briefkasten, in den das Schriftstück hätte eingelegt werden können. Dies entspricht der regelmäßig in Gemeinschaftsunterkünften vorzufindenden Situation. Typischerweise verfügen diese lediglich über einen Gemeinschaftsbriefkasten. Insoweit ist zwar durchaus vorstellbar, dass der beurkundende Postzusteller einen Briefkasten des Büros der Unterkunft zum Einwurf des Bescheides genutzt und diese Vorrichtung auf der Zustellungsurkunde als zur Wohnung gehörend angegeben hat. Damit jedoch kann eine - wie oben aufgezeigt - nach der gesetzlichen Konzeption eine wirksame Zustellung nicht bewirkt werden.

Bei fehlerhafter Zustellung kommt es gemäß § 189 ZPO auf den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs beim Adressaten an. Dies ist vorliegend ausweislich des Vermerks auf dem Briefumschlag der 02.08.2024. Damit wurde der Antrag fristgerecht erhoben.

II. Der Antrag hat auch in der Sache Erfolg. [...]

b) Vorliegend bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass dem Antragsteller in der Hellenischen Republik (im Folgenden: Griechenland) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i. S. d. Art. 4 GRCh droht. [...]

Soweit der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Urteil vom 06.08.2024 - 2 A 1131/24.A - (juris) ausgeführt hat, dass eine menschenrechtswidrige Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh und Art. 3 EMRK durch systemische Schwachstellen jedenfalls nicht für anerkannte männliche Schutzberechtigte bestehe, die allein nach Griechenland zurückkehren und jung, gesund und arbeitsfähig sind, wurde die Revision zum Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der allgemeinen abschiebungsrelevanten Lage in Griechenland zugelassen. Eine Entscheidung steht insoweit aus [...]