Anordnung der aufschiebenden Wirkung bei offenen Erfolgsaussichten:
1. Eine umfassende Prüfung der menschenrechtlichen Situation im Fall einer Abschiebung nach Griechenland ist im Eilverfahren aufgrund der unterschiedlichen Bewertungen der Verwaltungsgerichte, Obergerichte und der beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Tatsachenrevision nicht möglich.
2. Lässt sich eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten in einem Eilverfahren aufgrund einer unklaren Erkenntnislage nicht mit der gebotenen Sicherheit durchführen, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Hierbei sind die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn die aufschiebende Wirkung der Klage nicht angeordnet würde, die Klage in der Hauptsache aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage erlassen würde, die Klage in der Hauptsache aber erfolglos bliebe.
(Leitsätze der Redaktion, in Bezug auf BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 13. August 2024 - 2 BvR 44124 - asyl.net: M31884)
[...]
Allerdings folgt aus dem Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG), dass dann, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, eine nicht lediglich summarische, sondern abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache geboten ist (BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 13. August 2024 - 2 BvR 44124 -, juris Rn. 15 f.). [...] Lässt sich eine abschließende Prüfung der Erfolgsaussichten aufgrund einer unklaren Erkenntnislage nicht mit der gebotenen Sicherheit durchführen, ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden [...]. Diese Folgenabwägung muss die verfassungsrechtlich geschützten Belange des Asylantragstellers hinreichend zur Geltung bringen [...].
Gemessen an den soeben dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen ist eine summarische Prüfung der Voraussetzungen der Rechtsgrundlage nicht ausreichend; vielmehr hat im Eilverfahren eine umfassende Prüfung der menschenrechtlichen Situation des Antragstellers im Fall der Abschiebung nach Griechenland zu erfolgen. Denn aus den dem Gericht vorliegenden Erkenntnissen, die von der ganz herrschenden Rechtsprechung zur abschiebungsrelevanten Lage in Griechenland geteilt und bestätigt werden, droht dem Antragsteller im Fall der Abschiebung eine wenigstens vorübergehende Phase der Obdachlosigkeit ohne Zugriff auf staatliche Hilfe und damit eine schwere Beeinträchtigung grundlegender Bedürfnisse nach Obdach, ausreichender Ernährung und Hygiene. [....]
Offen bleiben kann an dieser Stelle, ob die Beeinträchtigung des Antragstellers durch die Abschiebung menschenrechtswidrig im Sinne von Art. 3 EMRK, Art. 4 GrCh ist. Denn jedenfalls wird der Antragsteller bei der Abschiebung nach Griechenland mit einer Situation konfrontiert, in der sein Wohlergehen allein davon abhängt, ob es ihm ohne staatliche Hilfeleistung und ohne Verlass auf eine Hilfestellung durch Nichtregierungsorganisationen und karitative Organisationen gelingen wird, Obdach, Nahrung und eine grundlegende Versorgung zu erhalten. [...]
Die demnach gebotene umfassende Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache ist zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht mit der gebotenen Sicherheit zu leisten.
Die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse werden zwar vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof mit überzeugenden Argumenten dahingehend gewertet, dass trotz der erheblichen menschenrechtlichen Defizite in Griechenland jedenfalls bei jungen, gesunden arbeitsfähigen Männern, die auf die Solidarität einer landsmannschaftlichen Community in Griechenland zurückgreifen können, keine menschenrechtswidrige Situation im Sinne der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR entsteht. Angehörige dieser Gruppe könnten im Allgemeinen die erheblichen Defizite während der ersten sechs Monate, in denen kein Anspruch auf das garantierte Mindesteinkommen bestehe, vielfach durch Eigeninitiative bei der Suche nach einer Unterkunft und einer Arbeit überwinden [...]. Dieser Wertung stehen die Entscheidungen zahlreicher Obergerichte entgegen, die allerdings auf die Erkenntnisse zur Sach- und insbesondere Wirtschaftslage während der Covid 19-Pandemie abstellen [...]. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat deswegen folgerichtig die Tatsachenrevision zugelassen; die sodann auch eingelegt wurde (Az. des BVerwG: 1 C 18.24).
Auch in der erstinstanzlichen Rechtsprechung hat sich in jüngster Zeit keine einhellige Meinung über die Abschiebungslage in Griechenland gebildet, auch wenn die Stimmen, die die Verhältnisse für junge, alleinstehende, arbeitsfähige Männer als hinreichend akzeptabel betrachten, in der Mehrheit sind [...].
Die Erfolgsaussichten der Tatsachenrevision sind ihrerseits offen. Das Bundesverwaltungsgericht ist im Rahmen der Tatsachenrevision nicht an die Erkenntnisquellenauswahl des Verwaltungsgerichtshofs gebunden, sondern kann eigene Ermittlungen vornehmen (§ 78 Abs. 8 Satz 5 AsylG). Die Beteiligten können ihrerseits Beweismittel einbringen. Mit Blick auf die unterschiedlichen Bewertungen der Instanzrechtsprechung, die auslegungsbedürftigen Anforderungen des EuGH, des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts zu Umfang und Reichweite des Art. 3 EMRK und Art. 4 GrCh und die Unsicherheit über die Quellenlage beim Bundesverwaltungsgericht verbietet sich eine Prognose über den Ausgang der Tatsachenrevision.
Erscheinen die Erfolgsaussichten demnach offen, ist eine Folgenabwägung vorzunehmen. Hierbei sind die Folgen abzuwägen, die eintreten würden, wenn die aufschiebende Wirkung der Klage nicht angeordnet würde, die Klage in der Hauptsache aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage erlassen würde, die Klage in der Hauptsache aber erfolglos bliebe.
Die Folgenabwägung führt dazu, die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Unterbliebe dies, würde der Antragsteller möglicherweise nach Griechenland abgeschoben werden. Dort besteht, wie oben dargelegt, ein hohes Risiko, dass er sich ohne staatliche Hilfeleistung, um die er sich gleichwohl vom ersten Tag an bemühen wird müssen, ohne Sprachkenntnisse und ohne verlässliche Unterstützung durch nichtstaatliche Hilfseinrichtungen um Obdach, Arbeit und Grundversorgung kümmern muss. Selbst in der Annahme, dass er über einige Barmittel aus Deutschland verfügt, ist nicht sicher davon auszugehen, dass er hiermit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Mit einer gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache ist in diesem Zeitraum auch nicht zu rechnen. Hätte er dann Erfolg in der Hauptsache, erscheint es nicht sicher, dass er über seinen hiesigen Bevollmächtigten Kenntnis hiervon erhält. Damit werden die Grundrechte des Antragstellers aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 19 Abs. 4 GG beeinträchtigt.
Demgegenüber steht ein befristeter Aufenthalt in Deutschland in dem Fall, dass er im Eilrechtsschutz zwar obsiegt, sich aber - gegebenenfalls infolge der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts - die Erfolglosigkeit seines Hauptsacheverfahrens ergibt und an dessen Ende sodann die Abschiebung nach Griechenland steht. Zwar besteht mit Blick auf die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte und die Freihaltung notwendiger Kapazitäten im Asylsystem ein öffentliches Interesse an der effektiven und zeitnahen Beendigung des Aufenthalts ausreisepflichtiger Drittstaatsangehöriger, ggf. im Wege der Vollstreckung/Abschiebung. Im Einzelfall des Antragstellers würde diese Belastung allerdings nur einige Monate für die Dauer des Verfahrens der Tatsachenrevision und der dann sich zügig anschließenden Entscheidung in der Hauptsache dauern.
Vor diesem Hintergrund überwiegt im Fall des Antragstellers dessen grundlegender Anspruch auf Unterbringung und Versorgung, der im Fall der sofortigen Abschiebung nach den gezeigten Umständen in Griechenland unter Umständen erheblich beeinträchtigt würde. [...]