Kein Unterschied zwischen der Gefahreneinschätzung bei vulnerablen und nichtvulnerablen Personen:
1. Die Lebensumstände in Italien sind zumindest für gesunde und arbeitsfähige Menschen zwar hart, jedoch nicht existenzbedrohend. Schutzberechtigte haben stets die Möglichkeit, eine auskömmliche Erwerbstätigkeit aufzunehmen, selbst wenn es sich dabei um eine geringqualifizierte oder auch informelle Tätigkeit in Landwirtschaft, Tourismus oder Gastronomie handelt.
2. Die nie gänzlich zu eliminierende Gefahr vorübergehender Obdachlosigkeit kann nicht nach dem ausschlaggebenden Maßstab beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden. Bei Dublin-Rückkehrern ist die Unterbringung bei Ankunft durch die italienischen Behörden sichergestellt, soweit eine Zustimmung zur Rücknahme vorliegt. Vulnerable Personengruppen kommen zudem in den Genuss bevorzugter Behandlung. Für sie gelten besondere Verfahrensgarantien, die eine priorisierte Bearbeitung sicherstellen.
3. Der vorübergehende Rücknahmestopp seitens Italiens zeigt zudem, dass die Rechte von Drittstaatsangehörigen geschützt werden sollen, indem bei fehlender Unterbringungsmöglichkeit einer Rücknahme nicht zugestimmt wird.
4. Es stellt keinen systemischen Mangel des italienischen Rückkehrverfahrens dar, wenn Rückkehrende bei Neubeantragung ihrer Aufenthaltstitel in Italien – die verloren gegangen oder abgelaufen sind – erneut ihre Fluchtgründe darzulegen haben. Dies ist mit Unionsrecht vereinbar (Art. 11 Abs. 1 lit. e) der Richtlinie 2011/95/EU).
(Leitsätze der Redaktion, ausdrücklich entgegen OVG Koblenz, Beschluss vom 23. 01. 2024 - 13 A 10945/22 - Asylmagazin 3/2024, S. 100 f. - asyl.net: M32163; in der Begründung folgend: OVG Schleswig-Holstein, Urteil vom 04.10.2024 – 4 LB 2/23 – asyl.net: M32829; Bayerischer Verwaltungsgerichtshofs, Urteil vom 21. März 2024 – 24 B 23.30860 und Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. November 2021 – A 4 S 2850/21)
[...]
Die Klage ist jedoch unbegründet. [...]
Zunächst durfte die Beklagte den Asylantrag der Kläger nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig ablehnen (Ziff. 1), da die Kläger bereits in Italien internationalen Schutz zuerkannt bekommen hatten.
Dabei stellt es keinen systemischen Mangel des italienischen Rückkehrverfahrens dar, dass die Kläger bei Neubeantragung ihrer Aufenthaltstitel in Italien – die ebenso verloren gegangen wie abgelaufen sind – erneut ihre Fluchtgründe darzulegen haben. Soweit sie vortragen, dies gehe mit dem Risiko einher, ihnen werde der Schutzstatus aberkannt, ist darauf hinzuweisen, dass diese Möglichkeit bei Änderungen der Lage im Herkunftsstaat auch nach deutschem Recht besteht und auch nicht den unionsrechtlichen Mindestschutzstandard unterschreitet. Im Einklang mit Art. 11 Abs. 1 lit. e) der Richtlinie 2011/95/EU (Anerkennungsrichtlinie) erlischt der Schutz bei Wegfall der Anerkennungsumstände. [...]
Nach bisheriger Rechtsprechung der 1. Kammer ist bei nichtvulnerablen Personen, denen in Italien internationaler Schutz gewährt wurde, eine Überstellung grundsätzlich möglich [...].
Hieran wird, auch vor dem Hintergrund der neuesten Entwicklung und unter Einbezug der persönlichen Situation der Kläger im konkreten Falle, weiter festgehalten.
Unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisquellen [...] sowie der jüngsten Rechtsprechung der 7. Kammer des erkennenden Gerichts [...] ist nunmehr auch kein entscheidender Unterschied zwischen der Gefahreneinschätzung bei vulnerablen und nicht vulnerablen Personen zu erkennen, weshalb die Rückkehr nach Italien in der Regel für alle dort anerkannt Schutzberechtigten als zumutbar eingestuft wird. Dabei folgte das Gericht in der hiesigen Entscheidung ausdrücklich nicht der Rechtsprechung des OVG Nordrhein-Westfalen in seinen Entscheidungen vom 25. November 2021 [...] und vom 20. Juli 2021 [...], sondern schließt sich der Auffassung aus den Urteilen des Bayerischer Verwaltungsgerichtshofs [...] und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg [...] an, die auch von anderen Verwaltungsgerichten geteilt wird [...].
Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ist für eine Überstellung in die Republik Italien im auch hier konkret zu entscheidenden Fall der Kläger nach dem oben gezogenen Maßstab nicht überschritten. Zu den vorliegenden Erkenntnissen sind dort die Lebensumstände zumindest für gesunde und arbeitsfähige Menschen zwar hart, jedoch nicht existenzbedrohend. Es bleibt bei der Einschätzung des Gerichts, dass anerkannt Schutzberechtigte, die im Übrigen den gleichen Zugang zum Arbeitsmarkt haben wie Staatsbürger, stets eine auskömmliche Erwerbstätigkeit aufnehmen können, selbst wenn es sich dabei meist um eine geringqualifizierte oder auch informelle Tätigkeit in Landwirtschaft, Tourismus oder Gastronomie handeln dürfte [...]. Das SAI-Netzwerk ist bei der Arbeitssuche behilflich [...].
Auch Obdachlosigkeit haben die Kläger in Italien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten. Die naturgemäß nie gänzlich zu eliminierende Gefahr vorübergehender Obdachlosigkeit kann [...] nicht zum ausschlaggebenden Maßstab beachtlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden: Während bei Dublin-Rückkehrern im engeren Sinne der Zugang zu Aufnahmeeinrichtungen durch italienische Behörden bei Ankunft sichergestellt wird [...], erteilen die dortigen Behörden bei vulnerablen anerkannt schutzberechtigten Rückkehrern die Zustimmung zur Rücknahme überhaupt erst, wenn eine Unterkunft für den sofortigen Bezug nach Ankunft organisiert wurde [...].
Zudem kommen die Kläger bei Rückkehr nach Italien nach Erkenntnis des Gerichts in den Genuss bevorzugter Behandlung. Für verletzliche Personengruppen – namentlich: unbegleitete Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, betagte Personen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Folter, Vergewaltigungen oder sonstiger schwerer Gewalt sowie Personen mit schwerwiegenden körperlichen oder seelischen Gebrechen – gelten in Italien besondere Verfahrensgarantien ("special procedual guarantees"). Diese stellen insbesondere die priorisierte Bearbeitung der Anliegen von Rückkehrern sicher [...].
Die Kläger zu 1) und 2) sind substantiierten Vortrag schuldig geblieben, aus welchem Grund es ihnen unmöglich sein sollte, auch in Italien mit einfachster Erwerbstätigkeit zumindest den Lebensunterhalt der Familie im Sinne eines Existenzminimums zu sichern. Sie haben insbesondere nicht näher ausgeführt, welche konkreten Anläufe sie unternommen haben, um Arbeit zu finden und an welchen Umständen ihre Versuche gescheitert sein sollen. Wenngleich die Kläger körperliche Leiden dargelegt haben, erschließt sich dennoch nicht, inwiefern diese ihrer Erwerbstätigkeit prinzipiell entgegenstünden. Die Kläger zu 1) und 2) befinden sich noch im arbeitsfähigen Alter. Sie haben im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt, in Deutschland arbeiten zu wollen. Dies wird ihnen auch in Italien möglich sein.
Keine Änderungen an der Beurteilung der Rückkehrsituation ergeben sich zudem durch die neuerlichen Mitteilungen des italienischen Innenministeriums, keine Rücküberstellungen mehr entgegenzunehmen [...]. Diese sowie die daraufhin ergangene Rechtsprechung zum Stopp der Rückführungen nach Italien [...] bezieht sich auf sogenannte Dublin-Fälle im engeren Sinne, also Unzulässigkeitsentscheidungen bei bloßer Erstzuständigkeit italienischer Behörden gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG. Im Übrigen bedeuten diese Mitteilungen auch keinesfalls die beabsichtigte Schlechterstellung von Rückkehrern, sondern zeigen, dass Italien mit dem vorläufigen Stopp gerade die Rechte der Drittstaatenangehörigen schützen möchte. So müssen lediglich vorübergehend Abschiebungen aufgeschoben werden ("temporarily suspend"). Da auch im Jahr 2023 die Ankunftszahlen in Italien gestiegen sind, konnte der Aufschub noch nicht beendet werden. Es ist aber innerhalb überschaubarer Zeit mit einem Wegfall dieses Hindernisses zu rechnen. Zudem wird das Dublin-Verfahren mit Italien nach Auskunft des BAMF auch weiterhin durchgeführt, es fanden auch nach der Mitteilung zwischen Januar und Oktober 2023 zehn Ausreisen statt. [...]