Keine menschenrechtswidrigen Bedingungen für junge männliche Schutzberechtigte in Griechenland:
"1. Das griechische Aufnahmesystem weist für anerkannte international Schutzberechtigte weiterhin erhebliche Defizite auf. Dies führt aber für Rückkehrer nicht allgemein zu systemischen Mängeln.
2. Eine menschenrechtswidrige Behandlung im Sinne von Art. 4 GrCh und Art. 3 EMRK durch systemische Schwachstellen besteht jedenfalls nicht für anerkannte männliche Schutzberechtigte, die allein nach Griechenland zurückkehren und jung, gesund und arbeitsfähig sind. Denn Angehörige dieser Gruppe können die erheblichen Defizite während der ersten sechs Monate, in denen kein Anspruch auf das garantierte Mindesteinkommen besteht, im Allgemeinen durch Eigeninitiative bei der Suche nach einer Unterkunft und einer Arbeit überwinden.
3. Diese Bewertung gilt in besonderem Maße für Personen, die Teil einer zahlenmäßig starken Einwanderungsgruppe aus demselben Sprach- und Kulturkreis (hier: Palästina) sind."
(Amtliche Leitsätze, Tatsachenrevision zugelassen: BVerwG 1 C 18.24 u.a.)
[...]
40 4. Unter Beachtung der dargestellten Grundsätze weist das griechische Aufnahmesystem in Bezug auf international anerkannte Schutzberechtigte, die nach ihrer Anerkennung das Land verlassen haben und erst nach einem Auslandsaufenthalt von mehr als einem Jahr nach Griechenland zurückkehren, in mehreren Bereichen erhebliche Defizite auf. Für sie ist zumindest in den ersten sechs Monaten nach Rückkehr der Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen unabhängig von ihren Bemühungen mit sehr großen Schwierigkeiten verbunden.
41 a) Die Lage für international anerkannte Schutzberechtigte stellt sich nach den dem Senat zur Verfügung stehenden aktuellen Erkenntnisquellen wie folgt dar: [...]
46 Anerkannte Schutzberechtigte sind nach ihrer Ankunft für die Regelung ihres legalen Aufenthalts sowie für die Beschaffung einer Unterkunft und der existenznotwendigen Güter mit verschiedenen bürokratischen Herausforderungen konfrontiert. [...]
72 bb) Für anerkannte Schutzberechtigte bestehen bei der Suche nach einer Unterkunft verschiedene bürokratische und tatsächliche Hindernisse.
73 Anerkannte Schutzberechtigte haben zwar unter denselben rechtlichen Voraussetzungen Zugang zu Wohnraum wie griechische Staatsangehörige und alle sich legal in Griechenland aufhaltende Drittstaatsangehörige. Jedoch hindern die lückenhaften staatlichen Maßnahmen zur Bewältigung der besonderen Wohnungsprobleme von Personen mit internationalem Schutzstatus diese daran, ihre Rechte wahrzunehmen. Erschwerend kommen die massiven Einschränkungen in der sozialen Wohnungspolitik hinzu (AIDA, Country Report Greece 2023, 01.06.2024, S. 270). [...]
76 (2.) Von Seiten des griechischen Staates gibt es keine spezifischen Wohnungsangebote für anerkannte Schutzberechtigte.
77 Die Unterbringungsprogramme wie ESTIA II, Filoxenia und HARP wurden Ende des Jahres 2022 eingestellt. Das einzige nunmehr noch in Griechenland existierende offizielle Programm für anerkannte Schutzberechtigte – HELIOS (Hellenic Integration Support of Beneficiaries of international Protection) – lief zunächst am 30. Juni 2024 aus (EC, Helios Project; AIDA, Country Report: Greece Update 2023, 01.06.2024, S. 270). Das Programm ist nach Angaben des ehemaligen Verbindungsbeamten ... bis Ende September 2024 verlängert worden. Ab dem 1. Oktober 2024 soll das Programm HELOS PLUS eingeführt werden. Derzeit liefen Gespräche über die genauen Modalitäten dieses Programms. Die entsprechenden Verträge zwischen Griechenland und der Europäischen Union, die HELIOS zu 75 % finanziert, seien im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch nicht unterzeichnet. [...]
81 (3.) Bis zur Ausstellung der Aufenthaltserlaubnis ist es für anerkannte Schutzberechtigte in der Praxis nahezu unmöglich, auf dem griechischen Wohnungsmarkt eine legale Unterkunft zu finden. [...]
84 (4.) Einige Nichtregierungsorganisationen betreiben Unterkünfte für anerkannte Schutzberechtigte. Insgesamt stehen aber nur wenige Plätze zur Verfügung. Teilweise sind diese ausschließlich für bestimmte Zielgruppen vorgesehen wie z.B. weibliche Gewaltopfer oder psychisch erkrankte Personen (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Griechenland, 21.06.2024, S. 29, 30).
85 (5.) Als weitere offizielle Anlaufstellen existieren für anerkannte Schutzberechtigte nur noch die Obdachlosenunterkünfte.
86 Im sozialen Wohnbereich beschränken sich – abgesehen vom HELIOS-Programm – die staatlichen Hilfsmaßnahmen auf die Bereitstellung von Notunterkünften für Obdachlose. Bezahlbarer Wohnraum wird von öffentlichen Stellen für anerkannte Schutzberechtigte nicht zur Verfügung gestellt. In diesem Bereich sind vor allem private Organisationen tätig (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigter in Griechenland, 01.02.2023, S. 4).
87 Für den Betrieb von Notunterkünften sind grundsätzlich die Zentren für soziale Dienste der Gemeinden zuständig. Neben den anerkannten Schutzberechtigten haben allerdings auch griechische Staatsangehörige Zugang zu den Notunterkünften. [...]
89 Diese Anzahl der Unterbringungsmöglichkeiten ist nach der dem Senat vorliegenden Auskunftslage noch Anfang des Jahres 2024 bei weitem nicht ausreichend gewesen (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Griechenland, 31.01.2024, S. 27, 23). [...]
91Unter Berücksichtigung der dargestellten Erkenntnislage und der Darlegungen der Beklagten ist davon auszugehen, dass die zurückgekehrten anerkannten Schutzberechtigten in Anbetracht des knappen Angebots an Notunterkünften und mangels Ortskenntnissen jedenfalls viel Zeit und Mühe aufbringen müssen, um in einer der Unterkünfte einen freien Platz zu finden. [...]
96 (6.) Trotz der Schwierigkeiten, eine Unterkunft zu finden, bildet Obdachlosigkeit unter Flüchtlingen in Athen kein augenscheinliches Massenphänomen. Soweit anerkannte Schutzberechtigte ein Obdach finden, ist dies auch auf die Bildung von eigenen Strukturen und Vernetzungen innerhalb der jeweiligen Landsleute zurückzuführen, über die informelle Unterkünfte gefunden werden können (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Griechenland, 31.01.2024, S. 23, 24 und vom 21.06.2024, S. 27). So sind eine Reihe herbergsartige Unterkünfte für Landsleute entstanden (vgl.: Solomon, Masafarhana: inside the invisible refugee house in Athens, 10.03.2022). Durch das Anwachsen sozialer Strukturen unter den anerkannten Schutzberechtigten ist die Obdachlosigkeit zurückgedrängt worden (AA, Auskunft an VG Berlin, 04.12.2019, S. 6).
97 cc) Anerkannte Schutzberechtigte müssen in Griechenland nach ihrer Anerkennung weitgehend selbst für ihren Lebensunterhalt aufkommen. Sie sind daher auf den Erhalt einer Arbeit angewiesen. [...]
107 (1.) Der Zugang zum regulären Arbeitsmarkt gestaltet sich für zurückgekehrte anerkannte Schutzberechtigte schwierig. [...]
110 (2.) Die größten Chancen, eine Arbeit zu finden, bietet der Sektor der Schattenwirtschaft. [...]
113 Nach Auffassung des Senats ist es auch nicht unzumutbar, anerkannte Schutzberechtigte nach Rückkehr für eine Übergangszeit auf eine Arbeit im Bereich der Schattenwirtschaft zu verweisen, bis sie eine offizielle Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt gefunden haben (zur grundsätzlichen Zumutbarkeit: BVerwG, Beschluss vom 27.01.2022 – 1 B 93.21 –, juris, Rn. 25). Stellt die griechische Arbeitsaufsichtsbehörde (SEPE) bei ihren Inspektionen "Schwarzarbeit" fest, werden Sanktionen ausschließlich gegen die Arbeitgeber verhängt. Sie verfolgt in der Regel nicht die Arbeitnehmer, die nicht versichert sind bzw. keine gültigen Papiere haben (GRETA, Report concerning the imlementation oft he Council of Europe Convention on Action against Traficking in Human Beings by Greece, 23.03.2023, S.20). Soweit gegen Schwarzarbeiter selbst vorgegangen wird, betrifft dies vor allem illegale Migranten (vgl. VG Hamburg, Urteil vom 28.06.2024 – 12 A 4023/22 –, juris Rn. 75; zu Italien: OVG Schleswig-H., Urteil vom 25.01.2024 – 4 LB 3/23 –, Rn. 104).
114 dd) Für viele anerkannte Schutzberechtigte bereitet die Deckung ihrer Grundbedürfnisse große Probleme. Sie sind auf finanzielle Unterstützung sowie auf die Verteilung von Nahrungsmitteln und anderen Gütern angewiesen (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Griechenland, 31.01.2024, S. 32 und vom 21.06.2024, S. 32). [...]
122 ee) Anerkannte Schutzberechtigte haben in Griechenland rechtlich in gleichem Maße Zugang zu medizinischer Versorgung wie griechische Staatsangehörige (AIDA, Country Report: Greece Update 2023, 01.06.2024, S. 278).
123 (1.) Ein Hindernis beim Zugang zu einer öffentlichen Gesundheitseinrichtung bildet die grundsätzlich zu erfüllende Anforderung, eine Sozialversicherungsnummer vorzuweisen. [...]
125 Die Wartefrist in einer öffentlichen Gesundheitseinrichtung variiert zwischen mehreren Wochen und mehreren Monaten, je nach medizinischem Fachgebiet oder Art der Untersuchung. [...]
126 Darüber hinaus stellt auch die Sprachbarriere eine große Herausforderung bei der medizinischen Versorgung dar. In vielen Krankenhäusern gibt es aber inzwischen Dolmetscher (Deutsche Botschaft Athen, Unterbringung und Sicherung des Existenzminimums anerkannt Schutzberechtigte in Griechenland, 01.02.2023, S. 6).
127 Die öffentlichen medizinischen Einrichtungen sind verpflichtet, in Notfällen auch ohne Vorlage der AMKA eine medizinische Erstversorgung zu leisten und die erforderlichen Medikamente abzugeben. [...]
131 b) Unter Auswertung der genannten Erkenntnisquellen ist festzustellen, dass das griechische Aufnahmesystem für dort anerkannte international Schutzberechtigte weiterhin erhebliche Defizite aufweist. Dies führt für Rückkehrer aber insbesondere aufgrund der verbesserten Arbeitsmarktlage nicht allgemein zu systemischen Mängeln (a.A. OVG Saarl. Urteil vom 15.11.2022 – 2 A 81/22 –, juris Rn. 20; Sächs. OVG, Urteil vom 27.04.2022 – 5 A 492/21 A –, juris Rn. 42; OVG Berlin-Bdbg., Urteil vom 23.11.2021 – 3 B 54.19 –, juris Rn. 20; VGH BW, Urteil vom 27.01.2022 – A 4 S 2443/21 –, juris Rn. 22 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 05.04.2022, – 11 A 314/22.A –, juris Rn. 44; OVG Bremen, Urteil vom 16.11.2021 – 1 LB 371/21 –, juris Rn. 37, 51; OVG Nds., Urteil vom 19.04.2021 – 10 LB 244/20 –, juris Rn. 28, 49; Bay. VGH, Beschluss vom 27.09.2019 – 13a AS 19.32891 –, juris Rn. 34).
132 aa) Größere Defizite im griechische Aufnahmesystem für anerkannte Schutzberechtigte sind auf der Grundlage der aktuellen Erkenntnisquellen, insbesondere aus den Jahren 2023 und 2024, in den nachfolgenden Bereichen festzustellen:
133 (1.) Anerkannte Schutzberechtigte in Griechenland sind weiterhin mit chronischen rechtlichen und praktischen Hindernissen beim Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis und weiteren Dokumenten konfrontiert. Infolgedessen hindern die aufgezeigten Hürden und erheblichen Verzögerungen viele Personen mit internationalem Schutzstatus zeitweise oder gänzlich an der Wahrnehmung ihrer sozialen Rechte und setzen sie so der Gefahr der Obdachlosigkeit und der Mittellosigkeit aus.
134 Nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 Anerkennungs-RL haben die Mitgliedstaaten nach Zuerkennung des internationalen Schutzes denjenigen Personen, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden ist, sobald wie möglich einen Aufenthaltstitel auszustellen, der mindestens drei Jahre gültig ist und verlängerbar sein muss, soweit nicht zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung entgegenstehen. Nach Art. 24 Abs. 2 Anerkennungs-RL haben die Mitgliedstaaten Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, sobald wie möglich einen verlängerbaren Aufenthaltstitel auszustellen, der mindestens ein Jahr gültig ist.
135 Diesen Vorgaben kommt Griechenland nicht in ausreichendem Maße nach. Es hat die Verfahren für die Ausstellung und für die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis, den Erhalt eines Reisedokuments, der AFM sowie der AMKA und in einer Weise ausgestaltet, die für anerkannte Schutzberechtigte nur sehr schwer zu bewältigen sind. [...]
138 (2.) Art. 26 Abs. 1 der Anerkennungs-RL sieht für anerkannte Schutzberechtigte einen uneingeschränkten und automatischen Zugang zum Arbeitsmarkt vor, und zwar unter den gleichen Bedingungen wie für Inländer. Dieser Zugang wird den erkannten Schutzberechtigten zumindest zeitweise verwehrt. Denn in der Praxis nimmt es regelmäßig mehrere Monate in Anspruch, um die für die Aufnahme einer legalen Erwerbstätigkeit erforderlichen Dokumente bei den jeweils für sie zuständigen Behörden zu erhalten.
139 (3.) Nach Art. 29 Abs. 1 Anerkennungs-RL tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die notwendige Sozialhilfe wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats erhalten.
140 Von der einzigen beitragsfreien Sozialleistung, dem garantierten Mindesteinkommen, sind anerkannte Schutzberechtigte, die aus einem anderen Mitgliedstaat zurückkehren, für die ersten sechs Monate ausgeschlossen, da sie die oben dargestellten Voraussetzungen eines entsprechend langen legalen Voraufenthalts nicht erfüllen können. Dies hat zur Folge, dass viele anerkannte Schutzberechtigte auf die Verteilung von Nahrungsmitteln angewiesen sind. [...]
142(4.) Nach Art. 32 Abs. 1 Anerkennungs-RL sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, Zugang zu Wohnraum unter den Bedingungen erhalten, die den Bedingungen gleichwertig sind, die für andere Drittstaatsangehörige gelten, die sich rechtmäßig in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten. Die Ausgestaltung der Verwaltungsverfahren und insbesondere die zeitlichen Verzögerungen bei der Ausstellung der notwendigen Dokumente für den Zugang zu Wohnraum, für den Zugang zu legaler Beschäftigung führt zu einer faktischen Ungleichbehandlung, die auch nicht in den ersten sechs Monaten durch staatliche Hilfeleistungen abgefangen wird. Dies hat zur Folge, dass die anerkannten Schutzberechtigten ohne festes Einkommen zumindest in den ersten sechs Monaten in der Regel keinen Wohnraum anmieten können. [...]
144 bb) Hinsichtlich der sonstigen Aufnahmebedingungen für anerkannte Schutzberechtigte sind keine größeren Defizite festzustellen.
145 (1.) Eine Verletzung von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK durch eine unzureichende medizinische Versorgung ist nicht mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit gegeben.
146 Nach der dargestellten Auskunftsklage ist für anerkannte Schutzberechtigte auch ohne Einkommen und ohne erforderliche Dokumente die Notfallversorgung im öffentlichen Gesundheitssystem jederzeit gesichert. [...]
147(2.) Auf etwaige Defizite in Griechenland bei der Durchführung der nach Art. 34 Anerkennungs-RL vorgesehenen Integrationsprogramme ist nicht weiter einzugehen. Denn soweit solche Mängel vorliegen, stellen deren Auswirkungen grundsätzlich keine Verletzung von Art. 4 GRCh dar, die der Entscheidung eines Asylantrages als unzulässig gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG entgegensteht (BVerwG, Urteil vom 07.09.2021 – 1 C 3.21 –, juris Rn. 24). [...]
152 5. Die aufgezeigten Defizite im griechischen Aufnahmesystem haben zur Folge, dass ein erheblicher Anteil der anerkannten Schutzberechtigten für die ersten sechs Monate nach ihrer Rückkehr von großer materieller Not bedroht ist, weil der griechische Staat sie weder bei der Suche nach einer angemessenen Unterkunft noch bei der Suche nach einer Erwerbstätigkeit unterstützt und auch keine Hilfestellung durch die Gewährung von staatlicher Unterstützung in Form von Sozialleistungen bietet. Diese Defizite erreichen allerdings nicht für alle anerkannten Schutzberechtigten die notwendige besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit, die eine menschenrechtswidrige Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK durch eine systemische Schwachstelle begründet (vgl. VG Ansbach, Beschluss vom 23.02.2024 – AN 17 S 23.50064 –, juris Rn. 39; VG Frankfurt Oder, Urteil vom 28.02.2024 – 8 K 727/23.A –, juris Rn. 19; wohl auch VG Bayreuth, Urteil vom 6.11.2023 – B 7 K 23.30771 –, juris Rn. 38).
153 a) Eine menschenrechtswidrige Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK durch eine systemische Schwachstelle besteht jedenfalls nicht für männliche anerkannte Schutzberechtigte, die allein nach Griechenland zurückkehren und jung, gesund und arbeitsfähig sind. Denn Angehörige dieser Gruppe können im Allgemeinen die erheblichen Defizite während der ersten sechs Monate, in denen kein Anspruch auf das garantierte Mindesteinkommen besteht, vielfach durch Eigeninitiative bei der Suche nach einer Unterkunft und einer Arbeit überwinden. Außer Betracht bleiben Personen, bei denen individuelle Besonderheiten vorliegen. [...]
157 Soweit anerkannte Schutzberechtigte eine informelle Unterkunft gefunden haben oder in einer offiziell angemieteten Wohnung gemeinsam mit anderen Personen einen Raum bewohnen, können diese – sicher sehr ärmlichen – Verhältnisse entgegen der veröffentlichten obergerichtlichen Rechtsprechung nicht mehrheitlich als prekär und damit als menschenunwürdig betrachtet werden [...].
158 Auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnisquellen vermag der Senat nicht zu beurteilen, in welchem Umfang die über die sozialen Netzwerke gefundenen Unterkünfte menschenunwürdig und damit unzumutbar sind (ebenso Sächs. OVG, Urteil vom 27.04.2022 – 5 A 492/21 A –, juris Rn. 82). Denn der Umstand, dass ein anerkannter Schutzberechtigter einen Schlafplatz gefunden hat, der sich in einer staatlich geduldeten informellen Siedlung befindet, oder dass er sich eine Mietwohnung mit mehreren Mitbewohnern teilen muss, kann für die Erfüllung der Grundbedürfnisse genügen, sofern die Räumlichkeiten zumindest zeitweilig Schutz vor Kälte, Feuchtigkeit oder Sommerhitze bieten und Raum für alle notwendigen Lebensbedürfnisse lassen (BVerwG, Beschluss vom 19.01.2022 – 1 B 83.21 –, juris Rn. 14). Entsprechendes gilt nach Auffassung des Senats im Falle des Fehlens von fließendem Wasser in der Wohnung, wenn Wasser aus einem Brunnen in der Umgebung beschafft werden kann oder von Hilfsorganisationen in Kanistern zuverlässig zur Verfügung gestellt wird. Auch ein fehlender Stromanschluss in der Wohnung führt nicht zwingend zu einer menschenrechtswidrigen Unterbringung, vorausgesetzt es besteht für die Bewohner die Möglichkeit, sich mit Gaskochern warme Getränke und warmes Essen zuzubereiten. Gleiches gilt für das Bedürfnis, in den Wintermonaten von November bis März nachts zu heizen. Griechenland ist zwar das Land mit den wärmsten Wetterbedingungen in Europa. Von Anfang Mai bis Mitte Oktober herrschen nahezu durchweg sommerliche Temperaturen. Im Winter wird in Griechenland üblicherweise mit Heizöl geheizt (Griechenland Reise-Block: Heizen in Griechenland). Allerdings sieht sich ein Viertel der griechischen Staatsangehörigen außer Stande, Wohnräume in den Wintermonaten genügend zu heizen (Griechenland-Zeitung, 01.02.2019). Zurückgekehrte anerkannte Schutzberechtigte befinden sich daher in der gleichen Lage wie verarmte griechische Staatsangehörige. Die von zurückgekehrten anerkannten Schutzberechtigten zu bewältigenden Probleme sind zweifellos hart. Der Mangel an fließendem Wasser, an Strom und an Heizung erreicht indes unter den vorgenannten Umständen nicht die hohe Schwelle der Verelendung im Sinne eines Verstoßes gegen Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK. [...]
160 (2.) Aufgrund der dargestellten Auskünfte kann im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht davon ausgegangen werden, dass für die genannte Gruppe der allein nach Griechenland zurückkehrenden jungen, gesunden und arbeitsfähigen Männer die beachtliche Wahrscheinlichkeit besteht, das notwendige Existenzminimum nicht durch Einsatz der eigenen Arbeitskraft erwirtschaften zu können. [...]
162 b) Die Bewertung des Senats gilt in besonderem Maße für Personen, die – wie der Kläger – aus der Region Palästina stammen und damit Teil einer zahlenmäßig starken Einwanderungsgruppe aus demselben Kulturkreis sind. Angehörige dieser Gruppe können leichter auf ein Netzwerk von Menschen aus ihrem Sprach- und Kulturkreis treffen als anerkannte Schutzberechtigte aus anderen Herkunftsregionen. Damit wächst die Chance, zeitnah zur Ankunft in Griechenland auf Personen zu treffen, die anfängliche Unterstützung bieten können und durch ihre kulturelle Verbundenheit dazu auch bereit sind. [...]
164 Über die Vernetzungen innerhalb der arabischen Landsleute aus Palästina und Syrien vermag ein erheblicher Anteil der anerkannten Schutzberechtigten auch eine Arbeit in der Schattenwirtschaft zu finden (BFA, Länderinformation der Staatendokumentation: Griechenland, 31.01.2024, S. 32).
165 Eine vergleichbare Bewertung der Aufnahmebedingungen dürfte auch für andere anerkannte männliche Schutzberechtigte gelten, die einer personenstarken Gruppen aus demselben Sprach- und Kulturkreis angehören sowie jung, gesund und arbeitsfähig sind. So bildeten etwa afghanische Staatsangehörige bei den im Jahr 2023 anerkannten Schutzberechtigten die die größte Gruppe (UNHCR, 12.03.2024, Greece Fact sheets). [...]
187 F. Die Revision ist gemäß § 78 Abs. 8 Satz 1 AsylG zuzulassen. Denn der Senat weicht bei der Überprüfung der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in seiner Beurteilung, dass im Allgemeinen für männliche anerkannte Schutzberechtigte, die allein nach Griechenland zurückkehren und jung, gesund und arbeitsfähig sind, eine menschenrechtswidrige Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh und Art. 3 EMRK nicht beachtlich wahrscheinlich ist, von der Beurteilung anderer Oberverwaltungsgerichte ab (vgl. oben Seiten 34, 40).