OVG Berlin-Brandenburg

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Zitieren als:
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.08.2024 - 6 B 1/24 - asyl.net: M32775
https://www.asyl.net/rsdb/m32775
Leitsatz:

Unwirksamkeit einer Eheschließung per Videokonferenz:

Die Wirksamkeit einer Trauung per Videokonferenz, an der ein Teil des Brautpaars aus Deutschland teilnimmt, ist nach deutschem Recht zu bewerten, da der Ort der Eheschließung (auch) in Deutschland liegt. Daran ändert nichts, dass durch die per Videokonferenz abgegebene Willenserklärung ein Stellvertreter bevollmächtigt wird, das Jawort am zweiten Ort der Trauung formal zu sprechen. Es liegt daher kein Fall der sogenannten "Handschuhehe" vor.

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Eheschließung, Stellvertreterehe, Eheschließung im Inland, Wirksamkeit der Eheschließung, Ehegattennachzug, Online-Trauung, Handschuhehe, Videokonferenz
Normen: EGBGB Art. 11; EGBGB Art. 13; BGB § 1310; BGB § 1311; AufenthG § 30 Abs. 1; AufenthG § 27; AufenthG § 28 Abs. 1
Auszüge:

[...]

40 b) Die Wirksamkeit der Eheschließung richtet sich nach deutschem Recht, da sie zumindest auch im Inland geschlossen wurde. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es handele sich um eine als wirksam anzuerkennende Auslandsehe, ist unzutreffend.

41 Nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB ist ein Rechtsgeschäft formgültig, wenn es die Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts des Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird. Gemäß Art. 11 Abs. 2 EGBGB ist ein Vertrag, der zwischen Personen geschlossen wird, die sich in verschiedenen Staaten befinden, formgültig, wenn er die Formerfordernisse des Rechts, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist, oder des Rechts eines dieser Staaten erfüllt. Absatz 2 gilt bei der Beurteilung der Wirksamkeit einer Eheschließung allerdings nicht uneingeschränkt. Insoweit unterscheidet das deutsche Kollisionsrecht danach, ob der Ort der Eheschließung (auch) in Deutschland liegt. Nach Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB kann eine Ehe im Inland nur in der hier vorgeschriebenen Form geschlossen werden. Mit der vorgeschriebenen Form i.S.v. Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB wird in erster Linie auf § 1310 Abs. 1 Satz 1 BGB verwiesen, wonach eine Eheschließung im Inland nur unter Mitwirkung eines Standesbeamten erfolgen kann. Hält sich ein Verlobter bei Herstellung des Ehekonsenses in Deutschland auf, befindet sich der Ort der Eheschließung zumindest auch im Inland und liegt somit eine Inlandseheschließung i.S.v. Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB vor. Die formlos geschlossene Konsensehe verstößt dann gegen das Mitwirkungserfordernis des Standesbeamten nach § 1310 Abs. 1 Satz 1 BGB; eine aus Deutschland heraus geschlossene Konsensehe ist daher formunwirksam. In derartigen Fällen verdrängt die einseitige Kollisionsnorm des Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB als Spezialregelung das allgemeine Formstatut des Art. 11 EGBGB, und zwar nicht nur die Anknüpfung des Art. 11 Abs. 1 EGBGB, sondern auch die für Distanzverträge geltende Anknüpfung des Art. 11 Abs. 2 EGBGB (OLG Köln, Beschluss vom 8. März 2022 – I-26 Wx 3/22 u.a. – juris Os. 2 und Rn. 9 ff.; Wall, Wirksamkeit von Online-Eheschließungen in den USA aus Sicht des deutschen IPR – ein Beitrag zum Ort der Eheschließung i.S.v. Art. 13 Abs. 4, Art. 11 Abs. 1 EGBGB, in: StAZ Nr. 2/2022, 33-40, 36 m.w.N.).

42 Bei Eheschließungserklärungen per Videokonferenz kommt es darauf an, wo sich der die Erklärung abgebende Verlobte aufhält. Hält er sich in Deutschland auf, so liegt der Ort der Eheschließung (zumindest auch) im Inland. Denn es handelt sich dabei um eine in Deutschland abgegebene Erklärung, die lediglich zeitgleich per Bild und Ton in einen anderen Staat übertragen wird. Das beabsichtigte Rechtsgeschäft "Eheschließung" ist damit (auch) im Bundesgebiet vorgenommen und aus diesem Grund hinsichtlich seiner Wirksamkeit an den hiesigen Vorschriften zu messen. Die nach Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB für Inlandseheschließungen maßgebliche Form des § 1311 Satz 1 BGB, der die physische Präsenz der Eheschließenden vor dem Standesbeamten verlangt, ist nicht erfüllt und die Ehe aus Sicht der deutschen Rechtsordnung als formunwirksam anzusehen (VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Februar 2022 – 7 L 122/22 – juris Rn. 29; OLG Köln, Beschluss vom 8. März 2022 – I-26 Wx 3/22 u.a. – juris Os. 2 und Rn. 9 ff.; VG Berlin, Urteil vom 1. Juni 2022 – 38 K 480/21 V – juris Rn. 28; VGH München, Beschluss vom 20. Juni 2022 – 10 CS 22.716 – juris Rn. 8; VG Karlsruhe, Beschluss vom 28. September 2023 – 1 K 3074/23 – juris Rn. 10; Wall, a.a.O., 38). [...]

44c) Nicht zu folgen ist daher der Auffassung des Verwaltungsgerichts, wonach ein Verlobter, der von Deutschland aus per Videokonferenz das Jawort gebe, damit mündlich eine am Amtssitz eines Trauorgans oder am Sitz des anderen Verlobten physisch präsente Person als Stellvertreter bevollmächtige, die dann in seinem Namen formal das Jawort spreche. Das Verwaltungsgericht berücksichtigt nicht, dass ein Verlobter bei einer Online-Videokonferenz seine Willenserklärung zum Ehekonsens selbst abgibt. Der Inlandsbezug beschränkt sich nicht auf eine bloße Beauftragung von Stellvertretern, die in dem Drittstaat die Erklärungen zur Eingehung der Ehe abgeben. Vielmehr ist die Erklärung der Ehe persönlich im Inland abgegeben worden (vgl. hierzu OLG Köln, Beschluss vom 8. März 2022 – I-26 Wx 3/22 u.a. – juris Os. 2 und Rn. 10-11; Wall, a.a.O., 38). Die vom Verwaltungsgericht der Sache nach angenommene sogenannte Handschuhehe liegt im Fall einer Online-Trauung gerade nicht vor (vgl. VGH München, Beschluss vom 20. Juni 2022 – 10 CS 22.716 – juris Rn. 7).

45 Diese Einschätzung folgt zudem aus Sinn und Zweck des § 1311 Satz 1 BGB. Das darin vorgesehene Erfordernis, Eheschließungserklärungen persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit abzugeben, will Ehen verhindern, die nicht auf einer freien und ernstlichen Willenseinigung der Verlobten beruhen. Ihr Konsens soll über jeden Zweifel erhaben, Bestand und Fortbestand der Ehe sollen gewiss sein (Wellenhofer, in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 1311 Rn. 1). Die Vorschrift bezweckt überdies, den Eheschließenden bewusst zu machen, dass sie unwiderrufliche, äußerst wichtige Erklärungen abgeben (Hahn, in: BeckOK BGB, 70. Edition, Stand: 1. Mai 2024, § 1311 Rn. 1). Dies alles wäre bei einer Online-Eheschließung, bei der zudem die Gefahr von Manipulationen und Betrug während der Bild- und Tonübertragung besteht, nicht gewährleistet. Auch Sinn und Zweck der einseitigen Kollisionsvorschrift des Art. 13 Abs. 4 Satz 1 EGBGB erfordern eine solche Auslegung, damit die in Deutschland vorgeschriebene Form der Eheschließung nicht mittels Videotelefonie unterlaufen werden kann (OLG Köln, Beschluss vom 8. März 2022 – I-26 Wx 3/22 u.a. – juris Rn. 9).

46 Über diese Formmängel hilft weder hinweg, dass nach islamischem Recht zur Eheschließung neben dem Konsens der Eheleute zwei geschäftsfähige, männliche, muslimische Zeugen erforderlich sind, noch ist insoweit von Bedeutung, ob die Ehe nach dem Recht des anderen betroffenen Staates wirksam ist. [...]

64 g) Der von der Klägerin zitierte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu einer "hinkenden Ehe" (BVerfG, Beschluss vom 30. November 1982 – 1 BvR 818/81 – juris) rechtfertigt keine abweichende Einschätzung. Der dort zugrunde liegende Sachverhalt ist mit dem hier gegebenen nicht vergleichbar. Die Beschwerdeführerin im Verfahren des Bundesverfassungsgerichts hatte eine Ehe in Großbritannien nach dortigem Recht wirksam geschlossen (vgl. BVerfG, a.a.O., juris Rn. 30). Dagegen bestehen hier an der wirksamen Eheschließung in Afghanistan bzw. im Iran aus den dargelegten Gründen durchgreifende Zweifel. [...]