Prekäre Lebenssituation für vulnerable Personen in Rumänien:
1. Die Lebensbedingungen in Rumänien verstoßen bei besonders schutzbedürftigen Personen gegen Art. 3 EMRK. Für Familien mit Kindern, alleinerziehende Personen, kranke, schwangere, behinderte und ältere Menschen besteht ein erhöhtes Gefährdungsrisiko. Aufgrund der prekären Lebenssituation wären sie nicht in der Lage, eine Existenz aufzubauen und selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt in Rumänien zu sorgen.
2. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Unterkunft, Ausbildung und Sozialhilfe hängt ferner vom Bewusstsein verschiedener öffentlicher und privater Akteure ab. Es gibt keine zielgerichteten Unterstützungsprogramme für Flüchtlinge. Der Schulbesuch wird Kindern häufig verweigert.
3. Für die Zustellung von Post in Gemeinschaftsunterkünften gelten die Zustellungsvorschriften des § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG und der §§ 177 bis 182 ZPO. Eine Zustellung an den Leiter einer Gemeinschaftseinrichtung kann erst dann erfolgen, wenn die unmittelbare Zustellung an den Adressaten nicht möglich ist, § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Ist die Ersatzzustellung an den Leiter der Einrichtung nicht möglich, ist grundsätzlich nach § 181 ZPO (Ersatzzustellung durch Niederlegung) zu verfahren.
(Leitsätze der Redaktion)
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Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 VwZG gelten für die Ausführung der Zustellung mittels Postzustellungsurkunde die §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend. Wird die Person in einer Gemeinschaftsunterkunft, in der sie wohnt, nicht angetroffen, kann das Schriftstück nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 ZPO dem Leiter der Einrichtung oder einen dazu ermächtigten Vertreter zugestellt werden. Die Zustellung an den Leiter einer Gemeinschaftseinrichtung kann jedoch erst dann erfolgen, wenn die unmittelbare Zustellung an den Adressaten nicht möglich ist. Ist auch die Ersatzzustellung an den Leiter der Einrichtung nicht möglich, ist grundsätzlich nach § 181 ZPO (Ersatzzustellung durch Niederlegung) zu verfahren.
Ausgehend von diesen Vorgaben erweist sich die vorgenommene Zustellung als fehlerhaft. Ausweislich der Postzustellungsurkunde wurde der Bescheid in der Gemeinschaftsunterkunft am 13. Dezember 2023 dem empfangsberechtigten Vertreter des Leiters übergeben. Diese Zustellungsart kann jedoch erst erfolgen, wenn eine unmittelbare Zustellung an den Adressaten nicht möglich ist. Dass dieses bei der vorgenommenen Zustellung der Fall war, lässt sich jedoch der Postzustellungsurkunde nicht entnehmen. Ein entsprechender Zustellungsversuch an die Klägerin ist auf der Postzustellungsurkunde, der als öffentliche Urkunde Beweiskraft zukommt (§ 418 Abs. 1 ZPO i.V. m. § 173 Satz VwGO), gerade nicht vermerkt. Ausweislich des Bestätigungsschreibens der Stadt ... wurde der Klägerin der Bescheid erst am 3. Januar 2024 persönlich übergeben. [...]
1. Das Bundesamt hat den Asylantrag zu Unrecht nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt. [...]
Ausgehend von diesen Maßstäben ist zwar nicht anzunehmen, dass die Aufnahmebedingungen für anerkannt Schutzberechtigte in Rumänien grundsätzlich so ausgestaltet sind, dass bei einer Überstellung von Personen, die keine besondere Schutzbedürftigkeit aufweisen, generell von der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGrCh bzw. Art. 3 EMRK auszugehen ist.
So geht die wohl überwiegende Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit davon aus, dass die Lebensbedingungen in Rumänien nicht gegen Art. 3 EMRK verstoßen, sofern nicht besonders schutzbedürftige Personen betroffen sind. Dies ist - unter Vorbehalt besonderer Umstände - insbesondere dann anzunehmen, wenn es sich um arbeitsfähige, gesunde Männer handelt. [...]
Indes gehört die Klägerin aufgrund ihrer spezifischen Situation zu dem Kreis der besonders schutzbedürftigen Personen, die im Falle der Überstellung nach Rumänien tatsächlich eine solche Gefahrenlage im Sinne des Art. 3 EMRK zu gewärtigen haben.
Insoweit bewertet das Gericht schon seit geraumer Zeit die Situation für anerkannt Schutzberechtigte in Rumänien aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen als durchaus prekär. So besteht jedenfalls für solche Personen, die zu dem Kreis der besonders Schutzbedürftigen zählen — wie etwa Familien mit Kindern, alleinerziehende Personen, Kranke, Behinderte sowie ältere Menschen — ein erhöhtes Gefährdungsrisiko. Je nach Ausgestaltung der Situation sowie der Disposition der Betroffenen kann daher nach der Rechtsprechung in solchen Fällen die Annahme der Gefahr einer drohenden unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK wegen der. in Rumänien sich als äußerst schwierig darstellenden Existenz- und Versorgungslage gerechtfertigt sein. [...]
Vorliegend ist eine solche Gefährdungslage für die Klägerin zu bejahen. Die Klägerin gehört als schwangere Frau zu dem besonders schutzwürdigen Personenkreis. Aufgrund der weiterhin prekären Lebenssituation für anerkannt Schutzberechtigte in Rumänien, die sich schon für Familien mit Kindern als äußerst schwierig darstellt [...], ist erst recht nicht davon auszugehen, dass die sich im fünften Monat befindende schwangere Klägerin durch eine hohe Eigeninitiative - wie dies von jungen alleinstehenden Männern erwartet wird - in der Lage sein wäre, eine Existenz aufzubauen und selbst für ihre Unterbringung und ihren Lebensunterhalt in Rumänien sorgen zu können.
Bei der Bewertung ist zu beachten, dass die besonderen staatlichen Leistungen für anerkannt Schutzberechtigte schon aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr zur Verfügung stehen und Rückkehrer deshalb auf die allgemeinen staatlichen Hilfen angewiesen sind. Bei der Inanspruchnahme von Sozialleistungen lässt sich indes eine erhebliche Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis feststellen. So unterscheidet sich der tatsächliche Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Unterkunft, Sicherstellung von Ausbildung und Sozialhilfe je nach Landesteil und hängt ferner vom Grad des Bewusstseins verschiedener öffentlicher und privater Akteure, welche die Verantwortung für die Sicherstellung dieses Zugangs tragen, ab. Es gibt keine Gemeinde, die zielgerichtete Unterstützungsprogramme oder Integrations- und Inklusionsprogramme für Flüchtlinge anbietet. Zwar besteht bspw. theoretisch ein Anspruch auf Unterbringung in Sozialwohnungen. Doch hat in der Praxis kaum jemand auf diese Weise eine Unterkunft erhalten. Der tatsächliche Zugang zu einer Ausbildung ist ebenfalls schwierig. Schon der Schulbesuch für Kinder wirft oft Probleme auf, weil nicht wenige Schulen die Aufnahme von Kindern Schutzsuchender verweigern. Auch Diskriminierungen durch Lehrer und Mitschüler kommen häufig vor. In Städten wie Bukarest und Timisoara kam es sogar zur zeitweiligen Weigerung von Schulen, Flüchtlinge einzuschreiben. Schließlich stößt auch der eigentlich rechtlich garantierte Zugang zum Arbeitsmarkt in der Praxis wegen des Mangels an Arbeitsplätzen, niedrigen Löhnen, Sprachbarrieren und Problemen bei der Anerkennung ausländischer Universitäts- oder Berufsabschlüsse auf erhebliche Schwierigkeiten mit der Folge von Arbeitslosigkeit oder irregulären Arbeitsverhältnissen. In der Konsequenz ist es für Schutzberechtigte nicht einfach, überhaupt einen legalen Arbeitsvertrag zu erhalten, wobei steuerliche Erwägungen teilweise ebenso eine Rolle spielen wie der Widerwillen von Arbeitgebern, Flüchtlinge anzustellen. Ähnlich verhält es sich mit dem Zugang zur öffentlichen Krankenversorgung, welcher oft mit erheblichen praktischen Schwierigkeiten verbunden und regional sehr unterschiedlich ausgestaltet ist. [...]
Unabhängig vom Problem des effektiven Zugangs zu allgemeinen staatlichen Hilfen genügen diese alleine objektiv nicht, um den Lebensunterhalt zu sichern. [...]
Deshalb sind Schutzberechtigte letztlich darauf angewiesen, durch eigene Erwerbstätigkeit für ihren Unterhalt zu sorgen. Dabei ist es zwingend notwendig, einen legalen Arbeitsplatz zu finden, um Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erlangen. Schon vor den negativen wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie war die Unterhaltssicherung durch eigene legale Erwerbstätigkeit in Rumänien als ärmstem Land der EU eine enorme Herausforderung. Diese Situation hat sich in der Folgezeit weiter verschärft. [...]