VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 26.09.2024 - 15 L 1556/24.A - asyl.net: M32741
https://www.asyl.net/rsdb/m32741
Leitsatz:

"Ohne Belang" sind nicht nur asylfremde Gründe:

1. Die Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unbegründet nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, weil nur Umstände vorgebracht sind, die für die Prüfung des Asylantrages ohne Belang sind, kommt dann in Betracht, wenn das Vorbringen für die Prüfung des Asylantrages aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erheblich oder unbeachtlich ist. Das ist der Fall, wenn das Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht in wesentlichen Punkten unsubstanziiert oder in sich widersprüchlich ist. Die Neufassung orientiert sich dabei an den Maßstäben zu § 30 Abs. 1 AsylG a.F.

2. Ein rein verfahrensbezogener Ansatz bei der Auslegung der Norm kommt inhaltlich zum selben Ergebnis. Danach sind Umstände "ohne Belang" im Sinne des  § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, wenn bereits ohne Prüfung der Glaubhaftigkeit des Vortrags und vollständige Erforschung des Sachverhalts feststeht, dass sie nicht asylrelevant sind. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn rein wirtschaftliche Gründe als Fluchtgründe angegeben werden, aber auch, wenn nicht die erforderliche Schwelle der Intensität von Verfolgungshandlungen bzw. eines ernsthaften Schadens oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung überschritten wird.

3. Hingegen ist nicht erforderlich, dass nur asylfremde Tatsachen vorgetragen werden. Danach käme eine Ablehnung nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nur dann in Betracht, wenn sämtliche vorgebrachten Gründe nicht nur nicht zu einer Schutzzuerkennung führen, sondern per se asylfremd seien. Eine solche enge Auslegung des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG kann weder dem Wortlaut noch dem Willen des Gesetzgebers entnommen werden.

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: offensichtlich unbegründet, ohne Belang, asylfremd, nicht von Belang,
Normen: AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 1
Auszüge:

[...]

Rechtsgrundlage für die Ablehnung des Asylantrags des Antragstellers als offensichtlich unbegründet ist § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG. Danach ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrages nicht von Belang sind. [...]

Umstritten ist, ob für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "nicht von Belang" auf die in der Rechtsprechung entwickelten Maßstäbe zu § 30 Abs. 1 AsylG a.F. zurückgegriffen werden kann oder ob der Gesetzgeber mit der Formulierung einen neuen, davon abweichenden Prüfungsmaßstab vorgesehen hat [...]

Soweit auf die in der Rechtsprechung geklärten Maßstäbe zu § 30 Abs. 1 AsylG a.F. zurückgegriffen wird, ist ein Vorbringen nicht von Belang im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG insbesondere dann, wenn es für die Prüfung des Asylantrages aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erheblich oder unbeachtlich ist. Dies ist wiederum insbesondere der Fall, wenn das Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht in wesentlichen Punkten unsubstantiiert oder in sich widersprüchlich ist. Denn dann ist ein Fall gegeben, in dem an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Bundesamtes vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung geradezu aufdrängt [...].

Nach anderer Auffassung ist der neue § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG nicht ergebnisbezogen, sondern ausschließlich verfahrensbezogen. Die Norm stelle ab auf die Relevanz des Vorbringens des Asylbewerbers für die "Prüfung" des Asylantrags. Die Bedeutung der vom Asylantragsteller vorgetragenen Umstände müsse bereits beurteilt werden ohne vorherige Prüfung der Glaubhaftigkeit wie auch der Übereinstimmung des Vorbringens mit aktuellen Erkenntnismitteln zu Gefahren im Herkunftsland. Die Entscheidung nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG setze damit keine vollständige Erforschung des Sachverhalts mehr voraus. In die Prüfung des Vorbringens einzusteigen sei etwa entbehrlich, wenn der Asylantragsteller angebe, er habe sein Herkunftsland aus rein wirtschaftlichen Gründen verlassen (wie zuvor in § 30 Abs. 2 AsylG a.F. geregelt), für bessere Bildungschancen, um in Deutschland wieder mit Familienmitgliedern vereint zu sein, oder aber aufgrund von Schwierigkeiten, welche nicht die Schwelle von Verfolgungshandlungen bzw. die eines ernsthaften Schadens oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung überschritten [...].

Über diesen Ansatz hinausgehend wird vertreten, als belanglos könne nur ein Vorbringen bewertet werden, das von vorneherein keinen Bezug zur den die Schutzgewährung auslösenden Gefahren für den Schutzsuchenden beinhalte. Entscheidend sei demnach die Wertung, dass sämtliche vorgebrachten Gründe nicht nur nicht zu einer Schutzzuerkennung führten, sondern per se asylfremd seien (so VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 12. Juli 2024 – 7 L 1798/24.A –, juris, Rn. 22 ff., und vom 21. August 2024 – 14 L 2208/24.A –, juris, Rn. 14; ähnlich VG Berlin, Beschluss vom 16. April 2024 – 31 L 670/23 A –, juris: wenn der Vortrag des Antragstellers nicht an zu prüfende Tatbestandsvoraussetzungen der Gewährung internationalen Schutzes anknüpfe. Wohl anders VG Hannover, Beschluss vom 13. Juni 2024 – 10 B 1953/24 –, juris, Rn. 25, das für eine Belanglosigkeit zwar die Entbehrlichkeit einer Prüfung des Vorbringens "mangels – auch nur potenzieller – Asylrelevanz" verlangt, zugleich aber (wie dargelegt) den Vortrag von Schwierigkeiten für belanglos hält, "welche nicht die Schwelle von Verfolgungshandlungen bzw. die eines ernsthaften Schadens oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung überschreiten". Denn Schwierigkeiten, die (quantitativ) aufgrund fehlender Intensität belanglos sind, dürfte (qualitativ) eine zumindest potenzielle Asylrelevanz nicht per se abzusprechen sein).

Die letztgenannte Auffassung überzeugt nicht. Nach der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Verbesserung der Rückführung (Rückführungsverbesserungsgesetz), mit dem § 30 AsylG seine nunmehr geltende Fassung erhalten hat, umfasst § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG die nach der bisherigen Rechtslage geregelten Fälle, in denen die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes offensichtlich nicht vorliegen (vgl. BT-Drs. 20/9463, S. 56).

Anhaltspunkte, die für ein abweichendes Verständnis des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG sprächen, lassen sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Es war danach jedenfalls nicht Intention des Gesetzgebers, die Norm im Vergleich zur bisherigen Rechtslage enger zu fassen. Eine gegenüber der vorherigen Rechtslage engere, nämlich auf per se asylfremde Gründe beschränkte Auslegung könnte sich demgemäß nur aus dem Wortlaut des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG bzw. des – insoweit gleichlautenden – Art. 31 Abs. 8 Buchst. a Asylverfahrensrichtlinie oder aber aus sonstigen Umständen ergeben. Das ist indes nicht der Fall. Vom Asylantragsteller vorgebrachte Umstände sind nach allgemeinem Sprachverständnis schon dann für die Prüfung des Antrags "nicht von Belang", wenn ihnen bei dieser Prüfung nicht weiter nachgegangen werden muss. Das gilt nicht nur für per se asylfremde Gründe, sondern bereits dann, wenn aus dem Vorbringen des Antragstellers auch ohne vorherige Prüfung der Glaubhaftigkeit wie auch der Übereinstimmung mit aktuellen Erkenntnismitteln zu Gefahren im Herkunftsland, mit anderen Worten also bei Wahrunterstellung, kein Schutzstatus nach Artikel 16a Grundgesetz, § 3 oder § 4 AsylG folgen kann (so auch VG Köln, Beschluss vom 11. September 2024 – 27 L 1541/24.A –, juris, Rn. 14; Heusch, in: Kluth/Heusch (Hg.), Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, § 30 AsylG, Rn. 15).

Sonstige Umstände, die dafür sprächen, lediglich per se asylfremdes Vorbringen als belanglos i. S. v. § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu werten, bestehen nicht. Namentlich dem schon im Wortlaut des Art. 31 Abs. 8 Buchst. a Asylverfahrensrichtlinie zum Ausdruck kommenden Sinn und Zweck der Norm, Prüfverfahren "beschleunigt und/oder an der Grenze oder in Transitzonen" durchzuführen, ist Rechnung getragen, wenn das Vorbringen eines Antragstellers auch bei Wahrunterstellung nicht zum Erfolg des Antrags führen kann und deswegen keinen Anlass für eine weitergehende – ggf. zeitaufwändige – Prüfung bietet. Hinzu kommt noch, dass bei einer Verengung des Anwendungsbereichs des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG auf per se asylfremde Umstände die Norm praktisch weitgehend ohne praktische Relevanz sein dürfte. [...]