Unterbliebener Informationsaustausch mit anderem Mitgliedstaat ist unbeachtlich
Das Unterlassen eines Informationsaustauschs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge mit einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union im Sinne des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 18. Juni 2024, Az. C-753/22 - asyl.net: M32485 - ist gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich, wenn offensichtlich ausgeschlossen ist, dass der Informationsaustausch zu einer anderen Bewertung des Asylantrags geführt hätte.
(Leitsätze der Redaktion, zur Entscheidung des EuGH, auf die Bezug genommen wird, siehe auch Asylmagazin 9/2024, S. 333-337)
[...]
I. Ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ergibt sich nicht daraus, dass den Klägern in einem anderen europäischen Land – hier Griechenland – internationaler Schutz zuerkannt worden ist.
1. Die Anerkennung als Flüchtling in einem anderen Staat hat weder völker- noch unions- oder nationalrechtlich bzw. nach sonst geltenden Grundsätzen insoweit eine Bindungswirkung für die Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere ergibt sich aus dem geltenden Unionsrecht keine Verpflichtung der Mitgliedstaaten die Entscheidung des anderen Mitgliedstaates über die Anerkennung des Antragstellers als Flüchtling gleichsam zu übernehmen (vgl. dazu grundlegend: EuGH, Urteil vom 18. Juni 2024 – C-753/22 –, juris Rn. 56, 63, 68f., 76; bereits zuvor VG Düsseldorf, Urteil vom 11. Oktober 2022 – 17 K 4350/20.A –, juris Rn. 13 bis 38).
2. Die Nichtdurchführung eines mit dem anderen europäischen Mitgliedstaat vorzunehmenden Informationsaustausches durch das Bundesamt im Rahmen des Asylverfahrens und die daraus resultierende Nichtberücksichtigung der Entscheidung des anderen Mitgliedstaates und der Anhaltspunkte, auf denen diese Entscheidung beruht, stellt einen Verfahrensfehler dar, der jedoch unbeachtlich ist. [...]
b) Das Fehlen eines Informationsaustauschs im zuvor dargelegten Sinne ist jedoch nach § 46 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) unbeachtlich. [...]
aa) Das Unionsrecht sperrt nicht die Anwendbarkeit der nationalen Bestimmung des § 46 VwVfG [...]
Bzgl. des Äquivalenzgrundsatzes bestehen keine Bedenken, insbesondere gilt § 46 VwVfG unterschiedslos für rein nationale sowie unionsrechtlich vorgeprägte Sachverhalte (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Juli 2020 – C-517/17 –, juris Rn 58; im Anschluss daran: BVerwG, Urteil vom 30. März 2021 – 1 C 41.20 –, juris Rn. 25 (Ebenso wird der Effektivitätsgrundsatz gewahrt. Auch im Unionsrecht besteht – wie im Rahmen der nationalen Vorschrift des § 46 VwVfG – die Möglichkeit, dass die Verletzung von Verfahrensrechten nur dann zur Nichtigerklärung der Entscheidung führt, die am Ende des fraglichen Verwaltungsverfahren erlassen wird, wenn das Verfahren ohne diese Regelwidrigkeit zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Diese Prüfung obliegt allein dem erkennenden nationalen Gericht (vgl. zu Verteidigungsrechten (Anspruch auf rechtliches Gehör): EuGH, Urteil vom 10. September 2013 – C-383/13 PPU –, juris Rn. 38-40)).
Bei dem Informationsaustausch handelt es sich nicht um ein Verfahrensrecht des Antragstellers, für das in der einschlägigen RL 2013/32 besondere Bestimmungen oder Verfahrensgarantien postuliert sind, die ihm eine besonders schutzwürdige Rechtsposition zuerkennen, welche bei fehlender Berücksichtigung durch die Behörde im Verwaltungsverfahren nur unter besonderen Bedingungen durch das Gericht selbst nachgeholt werden könnte (vgl. zum besonderen Fall der Anhörung: EuGH, Urteil vom 16. Juli 2020 – C-517/17 –, juris Rn 59ff., 70ff.). [...]
bb) Die Nichtdurchführung des Informationsaustausches im vorgenannten Sinne stellt einen Verfahrensfehler dar, der nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsakts nach § 44 VwVfG führt. Darüber hinaus ist offensichtlich, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Insbesondere wirkt sich ein Fehler nicht aus, wenn in der Sache ohnehin eine andere als die getroffene Entscheidung rechtlich nicht zulässig gewesen wäre, also insbesondere in den Fällen der Anwendung von striktem Recht, bei der für die Verwaltung kein Ermessensspielraum eröffnet ist (vgl. dazu: Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 46 Rn. 25a.) [...]
Es ist im gegebenen Verfahren offensichtlich ausgeschlossen, dass ein durchgeführter Informationsaustausch im Sinne des Urteils des Europäischen Gerichtshof vom 18. Juni 2024, Az. C-753/22 zu einer anderen Entscheidung über den Asylantrag geführt hätte.
Denn der Kläger zu 1. hat – auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung – dargelegt, dass er bei seinem Asylverfahren in Griechenland keine weitergehenden Angaben als vor dem Bundesamt und in der heutigen mündlichen Verhandlung vorgetragen habe. Er führte ergänzend aus, dass gleiches für seine Ehefrau, die Klägerin zu 2., gelte. Die Klägerin zu 2. erklärte, sie könne sich nicht mehr daran erinnern, erhob jedoch keine Einwände gegen das Vorbringen des Klägers zu 1. Besondere Umstände bezüglich ihrer minderjährigen Kinder, die Kläger zu 3. bis 5. sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Das Gericht unterliegt auch keiner weitergehenden Nachforschungspflicht hinsichtlich möglicherweise nicht geltend gemachter Fluchtgründe. Denn nach § 25 Abs. 1 AsylG, der die zu Grunde liegende Richtlinienbestimmung des Art. 4 Abs. 1 und 2 RL 2011/95 umsetzt, liegt es allein im Verantwortungs- und Pflichtenkreis des Asylantragstellers, umfassend und selbstständig die Tatsachen vorzutragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen (vgl. dazu bereits zuvor: BVerwG, Beschluss vom 15. August 2003 – 1 B 107.03 –, juris Rn. 5; BVerwG, Beschluss vom 20. Mai 1992 – 9 B 295.91 –, juris Rn. 5).
Die rechtlichen Erwägungen der zuerkennenden Behörde des Mitgliedstaates sind für das erkennende Gericht unerheblich, da jedenfalls das nationale Gericht in eigener Verantwortung und nach Befragung der Antragsteller nunmehr in Kenntnis der beachtlichen und damit vollen Sachlage den Antrag rechtlich prüfen kann. [...]