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VG Köln

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Zitieren als:
VG Köln, Beschluss vom 10.09.2024 - 27 L 1491/24.A - asyl.net: M32739
https://www.asyl.net/rsdb/m32739
Leitsatz:

Verlöbnis steht einer Abschiebungsandrohung als familiäre Bindung nicht entgegen: 

1. Ein Verlöbnis begründet keine familiären Bindungen im Sinne des  § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG, sofern die Eheschließung nicht unmittelbar bevorsteht und die Nachholung eines Visumsverfahrens zumutbar ist. 

2. Ein Asylantrag kann auch dann als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG abgelehnt werden, wenn eine Furcht vor Verfolgung wegen der Konversion zum Christentum geltend gemacht wird, eine mögliche Verfolgungshandlung aber nur pauschal und vage vorgetragen wurde und zudem interner Schutz besteht. 

(Leitsätze der Redaktion)

Schlagwörter: Asylverfahrensrecht, Asylantrag, offensichtlich unbegründet, ohne Belang, familiäre Belange, interner Schutz, Konversion, Tunesien, Verlobung, Verlöbnis, Achtung des Familienlebens, Konvertiten, Abschiebungsandrohung
Normen: AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 1, AsylG § 34 Abs. 1 S. 1 Nr. 4
Auszüge:

[...]

Ohne Belang für die Prüfung des Asylantrags sind von dem Ausländer vorgebrachte Umstände zum einen dann, wenn sie selbst im Fall der Wahrunterstellung keinen Schutzstatus begründen können [...].

Zudem ist das Vorgebrachte für die Prüfung auch dann nicht von Belang, wenn das Vorbringen in tatsächlicher Hinsicht in für den Asylantrag wesentlichen Punkten derart pauschal und oberflächlich ist, dass es an Tatsachenbehauptungen fehlt, die als wahr unterstellt werden könnten [...].

Davon zu unterscheiden ist, dass der Vortrag des Asylsuchenden lediglich unglaubhaft oder unsubstantiiert ist, für das Asylgesuch des Betroffenen relevante Tatsachen aber geschildert werden. Dann kann eine Ablehnung des Antrags als offensichtlich unbegründet nicht auf § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG (und auch nicht auf § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG) gestützt werden [...].

Dies gilt sowohl für die geltend gemachte Verfolgung durch die Polizei und seine Familie wegen der Konversion zum Christentum. Zwar wären solche Verfolgungshandlungen dem Grunde nach für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geeignet. Der Antragsteller hat aber selbst geschildert, dass es ihm möglich war, internen Schutz (§ 3e AsylG) in Anspruch zu nehmen. Er gab an, dass es ihm in Tunis gut gegangen sei: "Solche Probleme gibt es in Tunis nicht" [...].

Daran ändert auch nichts, dass der Vater des Antragstellers oder andere Familienmitglieder ihn in Tunis angeblich finden würden. Auf die Frage, welche konkreten Anhaltspunkte der Antragsteller dafür hätte, machte der Antragsteller so vage Ausführungen, dass sie einer Prüfung nicht zugänglich sind und der Vortrag für die Prüfung damit ohne Belang ist: "Ich kenne wie die Leute dort denken, sie würden mich finden."

Von einer landesweiten Verfolgung durch die Polizei geht der Antragsteller selbst nicht aus. Denn er gab an, er müsse (könne) in Djerba bei den Juden leben. Damit hat der Antragsteller selbst noch einen weiteren Ort genannt, wo er internen Schutz finden würde. Sollte der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren erstmals eine landesweite Verfolgung durch die Polizei wegen seiner Religionszugehörigkeit geltend machen wollen, wären die Angaben offensichtlich unwahrscheinlich und würden im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen. Der Antrag wäre insoweit dann gestützt auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen. [...]

4. Es liegen auch keine ernstlichen Zweifel an dem Vorliegen der weiteren Voraussetzungen für den Erlass der Abschiebungsandrohung vor. Der Abschiebung stehen insbesondere nicht familiäre Bindungen oder der Gesundheitszustand (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG) entgegen.

Das geltend gemachte Verlöbnis begründet keine familiären Bindungen im Sinne der Vorschrift. Zum einen hat der Antragsteller schon nicht nachgewiesen, dass die Eheschließung unmittelbar bevorsteht. Selbst wenn dies anders wäre, müsste der Antragsteller zudem nach Tunesien zurückkehren und das Visumsverfahren durchlaufen.

Der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG schützt nicht nur die schon bestehende Ehe, sondern auch die Freiheit, die Ehe mit einem selbst gewählten Partner einzugehen. Diese Eheschließungsfreiheit ist als Vorwirkung der Ehe ebenso vor Eingriffen geschützt. Um sich bezüglich der Eheschließung auf Art. 6 Abs. 1 GG berufen zu können und eine rechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung geltend machen zu können, muss die Eheschließung schon konkret absehbar sein. Der bloße Wille zur Eheschließung ist insoweit nicht ausreichend, um den Schutzbereich von Art. 6 GG zu eröffnen. Die Eheschließung muss also unmittelbar bevorstehen. Dies ist anzunehmen, wenn sämtliche formelle Voraussetzungen für die Eheschließung erfüllt sind und unabhängig vom Verschulden der Eheschließenden für Verzögerungen des Verfahrens nur noch der standesamtliche Termin wahrgenommen werden muss, wenn also die Eheschließung nur aus terminlichen Gründen noch nicht erfolgt ist [...].

Dabei stehen dem Schutz der familiären Bindungen Sinn und Zweck des in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und § 6 Abs. 3 AufenthG vorgeschriebenen Visumverfahrenes gegenüber, der darin besteht, die Zuwanderung nach Deutschland wirksam steuern und begrenzen zu können, so dass es mit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG grundsätzlich vereinbar ist, den Ausländer auf die Einholung eines für den begehrten Aufenthaltstitel erforderlichen Visums zu verweisen, das den zuständigen Behörden die Gelegenheit bietet, die Erteilungsvoraussetzungen (vgl. § 5 AufenthG und für den Ehegattennachzug § 28 AufenthG) vor der Einreise des Ausländers zu überprüfen. Der mit der Durchführung des Visumverfahrens üblicherweise einhergehende Zeitablauf ist regelmäßig hinzunehmen [...].

Dementsprechend ist von der gesetzlichen Voraussetzung, dass ein Aufenthaltstitel nur erteilt werden kann, wenn der Ausländer mit dem erforderlichen Visum eingereist ist, gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 AufenthG nur dann abzusehen, wenn es dem Ausländer aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren nachzuholen. Allein das Bestehen einer familiären Lebensgemeinschaft führt nicht zur Unzumutbarkeit der Einhaltung des Visumsverfahrens. [...]

Ist dem Antragsteller zumutbar das Visumsverfahren nachzuholen, ist der Erlass einer Abschiebungsandrohung ebenfalls rechtmäßig. [...]