Widersprüchliche Angaben zum Verlust des Passes rechtfertigen noch keine qualifizierte Ablehnung:
1. Widersprüchliche Angaben zum Verlust eigener Identitätspapiere rechtfertigen noch nicht die Annahme der Beseitigung oder Vernichtung der Papiere und die Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Für die Vernichtung, d.h. Zerstörung oder Beseitigung müssen schlüssige Anhaltspunkte vorliegen.
2. Die Tatbestandsvoraussetzungen für einen offensichtlich unbegründeten Asylantrag im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 3 AsylG sind nicht erfüllt, wenn durch die Vorlage von Lichtbildern des Reisepasses keine Anhaltspunkte für eine Täuschung über die Identität oder Staatsangehörigkeit vorliegen, auch wenn die Pflicht zur Vorlage oder Aushändigung von Papieren verletzt wird.
3. Ein Vorbringen für die Prüfung eines Asylantrages ist nur dann ohne Belang und offensichtlich unbegründet im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG, wenn keine tatsächlichen oder rechtlichen Gründe vorgetragen sind, die auch bei Wahrunterstellung zu einer Schutzzuerkennung führen könnten.
(Leitsätze der Redaktion)
[...]
Die Voraussetzungen der vom Bundesamt zur Begründung des Offensichtlichkeitsurteils herangezogenen Vorschrift des § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG liegen nicht vor.
Nach § 30 Abs. 1 Nr. 4 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer ein Identitäts- oder ein Reisedokument, das die Feststellung seiner Identität oder Staatsangehörigkeit ermöglicht hätte, mutwillig vernichtet oder beseitigt hat oder die Umstände offensichtlich diese Annahme rechtfertigen.
Die Umstände rechtfertigen nicht offensichtlich die Annahme, die Antragstellerin habe ein Identitäts- oder Reisedokument mutwillig vernichtet oder beseitigt. Die Antragstellerin, die gemeinsam mit ... nach Deutschland gereist ist, hat angegeben, die Tasche mit ihrem Reisepass sowie weiteren Dokumenten ihrer Verwandten sei am Bahnhof in S. verloren gegangen, weil jeder darauf vertraut habe, dass ein anderer aufpasse. Ihre Halbschwester und ihr Schwager haben in ihren Asylverfahren insoweit teilweise abweichend angegeben, die Tasche sei am Bahnhof in M. verloren gegangen bzw. gestohlen worden. Diese widersprüchlichen Angaben zum Ort des behaupteten Geschehens lassen nicht offensichtlich den Schluss zu, die Antragstellerin habe ihren Reisepass mutwillig vernichtet oder beseitigt. Aufgrund der abweichenden Darstellung durch die genannten Asylsuchenden bestehen zwar Anhaltspunkte für die Annahme, die Behauptung zum "Verlorengehen" der Dokumente sei unwahr. Dass die Antragstellerin ihren Pass vernichtet oder beseitigt hat, lässt sich daraus jedoch nicht schlussfolgern. Denn eine Vernichtung setzt die Zerstörung des Passpapiers voraus; für einen derartigen Sachverhaltsablauf gibt es jedoch auch bei Unglaubhaftigkeit des Vortrags keinen schlüssigen Anhaltspunkt. Gleiches gilt für das Tatbestandsmerkmal "beseitigen". Denn "beseitigen" bedeutet – bezogen auf Dinge – "wegbringen, wegschaffen, entfernen, zum Verschwinden bringen, aus der Welt schaffen" (Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 6. Auflage 1997).
Ob die Antragstellerin ihren Reisepass in diesem Sinne "beseitigt" hat – etwa indem sie ihn in den Müll geworfen, auf einer Bank liegengelassen oder einem unbekannten Dritten ausgehändigt hat –, ist jedoch offen. Ebenso möglich ist, dass sie noch im Besitz des Reisepasses ist, ohne dies dem Bundesamt oder Gericht zu offenbaren. Ein solches Verhalten fällt jedoch nicht unter das Tatbestandsmerkmal des "Beseitigens". [...]
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 3 AsylG liegen ebenfalls nicht in Gänze vor. Selbst wenn angenommen werden könnte, dass die Antragstellerin ihren Reisepass – etwa um eine zügige Abschiebung im Falle der Erfolglosigkeit ihres Asylgesuchs zu verhindern – entgegen der aus § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG folgenden Pflicht, ihren Pass den mit der Ausführung des Asylgesetzes betrauten Behörden vorzulegen, auszuhändigen und zu überlassen, zurückbehält, so ist im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts nicht feststellbar, dass sie die Behörden dadurch über ihre Identität oder Staatsangehörigkeit offensichtlich getäuscht hat. Vielmehr hat die Antragstellerin beim Bundesamt ein auf ihrem Mobiltelefon gespeichertes Foto ihres Passes vorgezeigt, das offenbar die von ihr angegebenen Personalien aufwies und neben der Pass-Nummer auch Ausstellungsdatum und Ablaufdatum erkennen ließ. [...]
Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind.
Umstände sind jedenfalls dann nicht von Belang, wenn sie die geltend gemachten Ansprüche offensichtlich nicht zu tragen vermögen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Vorbringen für die Prüfung des Asylantrags aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht erheblich oder unbeachtlich ist, etwa weil aus ihm auch bei Wahrunterstellung rechtlich kein Schutzstatus nach Art. 16a GG oder §§ 3, 4 AsylG folgen kann [...].
Schließlich liegen auch die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG nicht vor. Die Antragstellerin hat keine eindeutig unstimmigen und widersprüchlichen oder eindeutig falschen Angaben gemacht. Sie hat auch keine offensichtlich unwahrscheinlichen Angaben gemacht, die im Widerspruch zu gesicherten Herkunftslandinformationen stehen. Auch wenn die Angaben der Antragstellerin wegen einzelner Unstimmigkeiten im Vortrag als eher unwahrscheinlich anzusehen sein dürften, so steht jedenfalls die eine erlittene staatliche Verfolgung begründende Behauptung, in der Mongolei könne man sich unter Umständen von Strafverfolgung freikaufen, nicht grundsätzlich in Widerspruch zu den dem Gericht vorliegenden Erkenntnisquellen. [...]