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VG Kassel

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Zitieren als:
VG Kassel, Urteil vom 14.08.2024 - 7 K 1101/24.KS.A - asyl.net: M32714
https://www.asyl.net/rsdb/m32714
Leitsatz:

Offensichtlich unbegründet bei Folgeanträgen zwingend: 

"1. Ausweislich des klaren Wortlauts von § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG ist ein unbegründeter Asylantrag auto­matisch und zwingend als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer einen Folgeantrag (§ 71 Abs. 1 AsylG) gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde.

2. Die Vorschrift des § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG ist auch für die gerichtliche Entscheidung nach § 78 Abs. 1 AsylG bindend."

(Amtliche Leitsätze, entgegen VG Schwerin, Beschluss vom 19.07.2024 - 15 B 1344/24 SN - asyl.net: M32650)  

 

Schlagwörter: Asylfolgeantrag, offensichtlich unbegründet,
Normen: AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 8, AsylG § 78 Abs. 1
Auszüge:

[...]

I. Zunächst hat die Beklagte mit Recht die Voraussetzungen für einen Folgeantrag bejaht. Das Gericht kann selbstständig über das Vorliegen der Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 S. 1 AsylG befinden, da es sich um eine Zulässigkeitsvoraussetzung für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens handelt, bezüglich der dem Bundesamt kein Beurteilungsspielraum zusteht [...]

III. Die Klage ist auch als offensichtlich unbegründet abzuweisen, weil – wie vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid zu Recht festgestellt – die Voraussetzungen des § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG vorliegen. Ausweislich des klaren Wortlauts ist ein unbegründeter Asylantrag automatisch und zwingend als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer einen Folgeantrag (§ 71 Abs. 1 AsylG) gestellt hat und ein weiteres Asylverfahren durchgeführt wurde. Der Kläger hat einen Folgeantrag gestellt, die Beklagte hat ein weiteres Asylverfahren durchgeführt und den Folgeantrag des Klägers inhaltlich abgelehnt.

Die gegenteilige Auffassung des VG Schwerin (BeckRS 2024, 19371), das eine teleologische Reduktion der Vorschrift vornimmt und eine "eindeutige Aussichtslosigkeit" des Antrags fordert, vermag nicht zu überzeugen. Sie geht zum einen über den Wortlaut hinweg und ist insbesondere mit dem Willen des Gesetzgebers nicht vereinbar. In der Begründung zur Neufassung (BT-Ds 20/9463 S. 57 heißt es unmissverständlich: "Liegen die Voraussetzungen des § 71 Abs. 1 oder § 71a vor, ist ein Folge- oder Zweitverfahren durchzuführen. Sofern der Ausländer in diesem Verfahren nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, ihm kein internationaler Schutz zuerkannt wird und kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG festgestellt wird, ist der unbegründete Asylantrag nach dem neu gefassten § 30 Abs. 1 Nr. [8] als offensichtlich unbegründet abzulehnen". Die vom VG Schwerin konstruierte zusätzliche "eindeutige Aussichtslosigkeit" karikiert diesen gesetzgeberischen Willen sowie die bei Erlass der neuen Vorschriften im Vordergrund stehende Verfahrensbeschleunigung. Zum anderen gebietet Art. 19 Abs. 4 GG eine solche Auslegung nicht. Er gewährleistet weder eine Hauptsacheentscheidung in jedem Einzelfall noch einen vollständigen Instanzenzug [...]. Aus der o.g. Gesetzesbegründung ("ein Folge- oder Zweitverfahren, in diesem Verfahren") ergibt sich auch eindeutig, dass die einmalige Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ausreichend ist.

Die Vorschrift des § 30 Abs. 1 Nr. 8 AsylG ist auch für die gerichtliche Entscheidung nach § 78 Abs. 1 AsylG bindend. Der Gesetzgeber hat die Maßstäbe für eine Abweisung als offensichtlich unbegründet nicht in § 78 Abs. 1 AsylG (noch einmal) regeln müssen, weil er dies bereits in § 30 AsylG getan hat. Wegen der Wesentlichkeitstheorie ist das Parlament verpflichtet, in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen [...]. Dies ist hier wegen der Verkürzung des Rechtsschutzes gegeben. Der Gesetzgeber hat entsprechend die Fälle der Abweisung als offensichtlich unbegründet abschließend und verbindlich in § 30 AsylG geregelt. Die Lösung des VG Schwerin führt hingegen dazu, sie in das Belieben des Richters zu stellen und so die Gewaltenteilung zu missachten. [...]