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LG Halle

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Zitieren als:
LG Halle, Beschluss vom 10.05.2024 - 1 T 65/24 - asyl.net: M32649
https://www.asyl.net/rsdb/m32649
Leitsatz:

Keine einstweilige Anordnung nach objektiver Auslegung: 

1. Hat das Amtsgericht laut Tenor eine vorläufige Entscheidung über die Freiheitsentziehung getroffen, ergeben sich aber keine Anhaltspunkte aus der Entscheidung, dass es sich tatsächlich nur um eine vorläufige Entscheidung handelt, so ist hinsichtlich der geltenden Rechtsmittel und Rechtsmittelfristen auf objektive Kriterien der Entscheidung abzustellen. Ergibt die Auslegung, dass tatsächlich eine endgültige Freiheitsentziehung gewollt ist, gelten die dagegen eröffneten Rechtsmittel und Fristen. 

2. Lässt sich, unabhängig von § 62d AufenthG, aus der Äußerung des Betroffenen erkennen, dass er eine anwaltliche Vertretung wünscht, ist dem Verfahrensbevollmächtigten eine Teilnahme an der Anhörung zu ermöglichen. Ordnet das Amtsgericht nach Verkündung einer Entscheidung über die Freiheitsentziehung dem Betroffenen eine anwaltliche Vertretung bei, heilt dies nicht die fehlerhaft durchgeführte Anhörung. Eine Teilnahme an der Anhörung war durch den bloßen - insoweit nachträglichen - Beschluss gerade nicht ermöglicht worden.

(Leitsätze der Redaktion) 

Schlagwörter: Abschiebungshaft, Rechtsanwalt, einstweilige Anordnung, Beiordnung
Normen: FamFG § 417, § 427, § 62, AufenthG § 62d
Auszüge:

[...]

Vorliegend war dem Amtsgericht bekannt, dass der Betroffene ursprünglich einen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung seiner Rechte im Asylverfahren beauftragt hatte. Dies ergab sich bereits aus dem Antrag der Beteiligten zu 2 vom 12.03.2024. Auch wird aus der Akte ersichtlich, dass der Richter am Anhörungstag im Zeitraum zwischen 9:15 und 11:30 Uhr entsprechend seiner Verfügung bei dem Verfahrensbevollmächtigten anrief und auf dem Anrufbeantworter hinterließ, dass am selben Tag 11:30 Uhr die Anhörung in vorliegender Sache stattfinden soll. Auch äußerte der Betroffene während der Anhörung, dass er sich nicht selbst zur Sache äußern wolle, sondern dies nur über seinen Anwalt tun wolle. Dies allein hätte Anlass dafür sein müssen, die Entscheidung nur vorläufig zu erlassen unter kurzfristiger Nachholung einer ordnungsgemäßen Anhörung unter Beteiligung des Rechtsanwalts. Zwar hat das Amtsgericht nach seinem Tenor eine vorläufige Entscheidung gemäß § 427 FamFG vorgenommen, allerdings nicht - wie es dann geboten gewesen wäre - zur Nachholung einer Anhörung. Die Entscheidung enthält auch keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich tatsächlich um eine vorläufige handeln soll, weshalb auch die Rechtsbeschwerde vorliegend statthaft sein dürfte. Bei der Frage, welches Rechtsmittel statthaft ist und welche Frist ggf. gilt, kommt es allein auf den objektiven Inhalt der Entscheidung an. Ergibt deren Auslegung, dass tatsächlich eine endgültige Freiheitsentziehung gewollt ist, gelten die hiergegen eröffneten Rechtsmittel und deren Fristen. Dies gilt auch dann, wenn im Tenor die Formulierung "einstweilige Freiheitsentziehung" auftaucht und die erteilte Rechtsmittelbelehrung nicht auf die Monatsfrist nach § 63 Abs. 1 hinweist, sondern auf die für eine eA geltende Frist von zwei Wochen nach § 63 Abs. 2 Nr. 1.30 AufenthG [...].

Es kann dahinstehen, inwieweit aufgrund der Neuregelung in § 62 d Aufenthaltsgesetz nunmehr grundsätzlich im Vorfeld einer Anhörung ein anwaltlicher Vertreter zu bestellen ist, soweit der Betroffene keinen anwaltlichen Vertreter besitzt, denn auch ohne diese Regelung war die Rechtsprechung des BGH eindeutig, dass dann, wenn erkennbar ist, dass der Betroffene auf die Anwesenheit seines Anwalts Wert legt, diesem auch die Teilnahme an einer Anhörung zu ermöglichen ist. Soweit das Amtsgericht nach Verkündung der angefochtenen Entscheidung den Beteiligten zu 2 gemäß § 62b AufenthG als Verfahrensbevollmächtigten beigeordnet hat, konnte dies die vor der Entscheidung fehlerhaft durchgeführte Anhörung nicht heilen; eine Teilnahme an der Anhörung war durch den bloßen - insoweit nachträglichen - Beschluss gerade nicht ermöglicht worden. Eine dann deshalb gebotene Nachholung einer ordnungsgemäßen Anhörung ist bis zur nunmehr bereits erfolgten Abschiebung nicht vorgenommen worden. [...]